Themenüberblick

Bahnhof als PR-Debakel

Selbst Befürworter von Stuttgart 21 räumen ein: Das Projekt ist ein PR-Desaster. Weil Bund, Bahn, Land und Stadt die Kommunikation zu lange schleifen ließen, stehen sie dem massiven Protest nun ohnmächtig gegenüber. Denn Schlagzeilen machte das Bahnvorhaben Stuttgart 21 erst, seit in der beschaulichen Schwabenhauptstadt massiver Widerstand dagegen aufflammt.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Zehntausende empörte Menschen, die mehrmals pro Woche auf die Straße gehen, rücken das 4,1 Milliarden Euro teure Vorhaben in den medialen Fokus. Dass das komplexe und durch seine städtebauliche Dimension äußerst spannende Infrastrukturprojekt zuvor kaum auf Interesse gestoßen war, haben sich die Projektträger auch selbst zuzuschreiben.

„Das neue Herz Europas“

Jahrelang wusste man nicht einmal, wie das gemeinsame Kind von Bahn, Bund, Land und Stadt Stuttgart heißen soll. Der Ursprungsname Stuttgart 21 war manchen zu provinziell, dann wurde es mit Blick auf die landesweiten Auswirkungen in Baden-Württemberg 21 umgetauft. „Das neue Herz Europas“, eine weitere Bezeichnung, die die Anbindung an die transeuropäische Magistrale ins Zentrum rücken sollte, konnte sich ebenso wenig durchsetzen. Schließlich blieb es bei Stuttgart 21.

In der Landeshauptstadt selbst erinnerte lange Zeit nur eine Ausstellung im Bahnhofsturm an das Projekt, die von vielen gar nicht wahrgenommen wurde. Der Versuch, zentral in der Fußgängerzone einen Informationspavillon zu etablieren, scheiterte ebenfalls. Auch Experten schütteln ob der mangelnden Werbung für das Projekt den Kopf.

„Dilettanten am Werk“

Der größte Fehler von Bahn, Bund, Land und Stadt Stuttgart sei bei der Vorstellung des Projektes vor 15 Jahren gewesen, zu glauben, das Vorhaben laufe von allein, meint der Kommunikationsprofessor Frank Brettschneider. „Vor allem bei Großprojekten, die abstrakt sind und viele Ansatzpunkte für Ängste bieten, ist es unverzichtbar, Vertrauen zu schaffen.“ Angesichts dieser Herausforderung seien in Stuttgart und Berlin nur Dilettanten am Werk.

Doch dieses Vertrauen zu fassen, war für die Bürger in der Landeshauptstadt in der Tat schwer. Denn immer wieder wurden neue Fakten und Gutachten zutage gefördert. Diese Salamitaktik ließ sogar eingefleischte Befürworter die Haare raufen. Der Karlsruher Verkehrsökonom Werner Rothengatter, der für das Land bereits Wirtschaftlichkeitsgutachten angefertigt hatte, sagte: „Die Geheimniskrämerei von Bahn, Land und Bund hat die Proteste noch angestachelt. Wenn man mit offenen Karten gespielt und die Bürger in den Entscheidungsprozess einbezogen hätte, wäre das für die Akzeptanz besser gewesen.“

Überforderter Oberbürgermeister

Vor allem der Stuttgarter Rathauschef macht aus Sicht der Bürger keine gute Figur. Die Kritiker, darunter auch CDU-nahe Bewohner, fühlen sich von Wolfgang Schuster (CDU) in keiner Weise wahrgenommen, geschweige denn vertreten. Die „Stuttgarter Zeitung“ betitelte ihren Kommentar mit: „Stadt ohne Oberhaupt“. Der Oberbürgermeister selbst sieht allerdings bei sich keine Fehler und steht nach eigenen Worten in ständigem Gespräch mit den Bürgern.

Die Ansatzpunkte für den Dialog wären vielfältig: Denn auf der Fläche, die im Zentrum der Stadt durch den Abbau der Gleise frei wird, soll ein neues Stadtquartier entstehen. Hier böte sich die Möglichkeit, die Gegner in die Gestaltung einzubeziehen. Der Argwohn der Bürger könnte entkräftet werden, wenn endlich günstiger Wohnraum für Familien oder barrierefreies Wohnen für Behinderte und Senioren ins Gespräch gebracht würden, ist Brettschneider überzeugt. „Die ganzen Gewinne, die damit verbunden sind, sind doch viel zu wenig kommuniziert.“

Aus Sicht des Experten wirft sich keiner der Projektträger so richtig in die Schlacht. Zu spät habe man im Sommer vergangenen Jahres den SPD-Politiker Wolfgang Drexler als Sprecher eingesetzt. „Der Einzige, der gegenhält, ist Drexler, ansonsten überlässt man das Feld den Gegnern“, sagte Brettschneider - und meint mit seiner Kritik auch Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU). Und selbst der Regierungschef räumt ein: „Wenn es mal einen Preis für die schlechteste Marketingkampagne gibt, haben wir mit Stuttgart 21 gute Chancen.“

Julia Giertz, dpa

Links: