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„Nichts bedeutet irgendetwas“

„Ein Buch, das die Gemüter mit Sicherheit erregen wird“, prognostizieren Kenner der Buchbranche, wenn es um Janne Tellers Roman „Nichts. Was im Leben wichtig ist“ geht. In den dänischen Schulen war der Jugendroman zunächst verboten, dann erhielt er den Kinderbuchpreis des dortigen Kulturministeriums und in Frankreich einen renommierten Jugendbuchpreis.

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Dem Buch vorangestellt:

„Nichts bedeutet irgendetwas, das weiß ich seit langem. Deshalb lohnt es sich nicht, irgendetwas zu tun. Das habe ich gerade herausgefunden.“

Auf Deutsch wurde er gleich gar nicht übersetzt - erst jetzt, nach zehn Jahren, hat sich der Hanser Verlag des Romans angenommen. Und auch im deutschsprachigen Raum ist die Aufregung groß, das Buch scheint in den letzten zehn Jahren nichts an Brisanz eingebüßt zu haben. In Deutschland fordern laut „Berliner Kurier“ Eltern und Lehrer ein Verbot des Buches.

In den Feuilletons und Tageszeitungen wird mit dem „Skandalösen“ des Romans kokettiert - die „FAZ“ hat die diesbezüglichen Zitate zusammengefasst: „Von einer ‚perfiden Geschichte‘, mit der Teller ‚provoziere‘, schrieb Focus Online, ‚verstörende Fragen‘ und ‚Brutalität‘ fand die ‚Berliner Zeitung‘ in dem Roman, die ‚Welt‘ witterte gar einen ‚Skandalroman‘, und der ‚Berliner Kurier‘ porträtierte Teller (‚eine freundliche, gutaussehende Frau, die viele Lachfältchen im Gesicht trägt‘) unter der Überschrift: ‚Vergiftet ihr Buch die Seelen unserer Kinder?‘“

Was also ist das angeblich so skandalöse Element in Tellers Buch? Allzu explizite Gewalt und Sexzenen enthält es nämlich nicht. Am Anfang des Buches erkennt der Schüler Pierre, dass nichts wirklich irgendetwas bedeutet. Um ihm das Gegenteil zu beweisen, beginnt die Klasse alles zu sammeln, was Bedeutung hat. Was mit harmlosen Fotos beginnt, droht bald zu eskalieren: Als ein Mädchen seine Unschuld und ein Schüler einen Finger opfern muss, setzt das eine Kettenreaktion der Gewalt frei. Teller hat eine erschütternde Parabel über Erwachsenwerden, Erziehung und Aggression in einer egoistischen Gesellschaft geschrieben.

Buchcover "Nichts"

Hanser Verlag

Buchhinweis:

Janne Teller: Nichts. Was im Leben wichtig ist. Übersetzt von Sigrid C. Engeler. Hanser, 139 Seiten, 13,30 Euro.

„Weniger Brutalität als jede Detektivgeschichte“

„Dass ein Buch, das sexuell nicht besonders freizügig ist, keinen extremen Slang benutzt und weniger Brutalität enthält als jede Detektivgeschichte, in Westeuropa noch so vehement abgelehnt werden kann, ist schon interessant“, meinte die Autorin einmal in einem Interview. Gleichwohl geht das „moderne Märchen“ von Jugendlichen auf ihrer verhängnisvollen Suche nach Sinn in einer sinnentleerten Gesellschaft an die Nieren, schreibt die dpa-Journalistin Susanna Gilbert-Sättele.

In einem dänischen Städtchen in der Provinz sehen die Schüler der siebten Klasse dem neuen Schuljahr entgegen. Sie sind keine Kinder mehr, „wussten natürlich längst, dass sich alles mehr darum drehte, wie etwas aussah, als wie es tatsächlich war“. Einer der Schüler, Pierre Anthon, macht den anderen Angst: Nichts bedeute etwas, ruft er seinen Klassenkameraden zu, während er, auf einem Baum thronend, Pflaumen hinter ihnen herwirft. „In wenigen Jahren seid ihr alle tot und vergessen und nichts.“

Angst vor Nihilismus

Der Nihilismus des Burschen macht den Kindern Angst. Sie beschließen, heimlich in einem stillgelegten Sägewerk zu sammeln, was Bedeutung hat. Der Reihe nach bestimmen die Kinder, was ein anderer hergeben muss, damit es auf dem Berg der Bedeutung landet. Die Aktion beginnt harmlos, mit Fotos oder einem Fahrrad, „so kam die Bedeutung langsam in Gang“, doch bald, ungeachtet der Tatsache, dass es „nicht mehr so viel Spaß wie am Anfang“ macht, werden größere Opfer verlangt.

„Die Bedeutung“, hält Sophie ihrem schimpfenden Lehrer entgegen, als am Ende ihr Geheimnis aufgedeckt ist, „Sie haben uns ja nichts darüber beigebracht. Also haben wir sie selbst gefunden.“

„Igitt, der pisst!“

Ein Hundekadaver, die Leiche eines kleinen Kindes - der „Berg aus Bedeutung“ wird immer größer:

„Eins konnten wir jedoch nicht ändern: Der Berg aus Bedeutung hatte angefangen, wenig angenehm zu riechen. Wenig angenehm. Unangenehm. Eklig. Zum Teil lag das an Aschenputtels Hinterlassenschaften auf Jesus und dem Rosenkreuz und zum Teil an den Fliegen, die um Aschenputtels Kopf und Rumpf schwirrten. Ein sehr unangenehmer Dunst stieg aus dem Sarg mit Klein Emil auf.“

Besonders beklemmend wirkt Tellers Gleichnis durch die Sprache: Hier schildert Agnes, eine der Beteiligten, alle Ungeheuerlichkeiten mit der Unschuld eines Kindes: „Hussein machte so viel Ärger, dass wir gezwungen waren, ihn zu verprügeln“, ist da zu lesen, oder: „Jan-Johan stand auf und schlang die Arme um einen Pfosten, und Ole und der große Hans mussten lange kämpfen, bevor sie seine Arme lösen konnten. Als sie ihn freibekommen hatten, mussten Richard und der fromme Kai tragen helfen, so sehr wand er sich. ‚Igitt, der pisst!‘, rief Richard plötzlich. Es stimmte. Gerda kicherte.“

Janne Teller hält mit ihrem Buch einer Gesellschaft der Karrieristen und Egoisten, der Castingshows und Modelwettbewerbe einen Spiegel vor. Bedenken, ihr Buch könnte Jugendliche überfordern, teilt sie nicht. „Im Gegensatz zu Erwachsenen haben Kinder den großen Vorteil, in ihrem Leben noch keine falschen Entscheidungen getroffen zu haben“, sagte die Dänin in einem Interview von Spiegel Online. „Vielleicht fühlen sie sich durch das Buch deshalb weniger provoziert als manche Erwachsene.“ Ihr Roman jedenfalls ist keineswegs „Nichts“, er ist von Bedeutung.

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