Gewissenlos und dauergeil
Bret Easton Ellis bleibt seinen Wahnsinnigen treu, er begleitet sie durchs Leben. Nach einem kurzen Abstecher ins autobiografische Psychoanalyse-Horrorfach („Lunar Park“) kehrt der 46-jährige US-Schriftsteller mit „Imperial Bedrooms“ wieder zu seinen alten Themen zurück - und zu seinen wohlbekannten, gewissenlosen und dauergeilen Figuren.
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Ob betuchte angehende Akademiker und Künstler („Unter Null“, 1985), Investmentbanker („American Psycho“, 1991), Promis, Starlets und Models („Glamorama“, 1999) oder nun die Filmsociety von Hollywood: Ellis führt dem Durchschnittsmenschen vor Augen, dass gerade jene erfolgreichen Menschen, denen man nacheifert, am verludertsten sind. In seinem Universum an Querverweisen innerhalb des eigenen Werks tauchen dabei immer wieder dieselben wohlstandsverwahrlosten Gestalten auf.

APA/Roland Schlager
Bret Easton Ellis
Patrick Bateman etwa ist die Hauptfigur von „American Psycho“ und mischt später in „Lunar Park“ als Angstgestalt mit. Um Clay geht es in Ellis erstem Roman „Unter Null“, später wird er der Erzähler von „Einfach unwiderstehlich“ sein, wo übrigens Patrick Batemans Bruder Sean Bateman auftritt. In der Kurzgeschichtensammlung „Die Informanten“ kommen sowohl Clay als auch Patrick vor. Und nun ist Clay die Hauptfigur von „Imperial Bedrooms“, das als Fortsetzung von „Unter Null“ zu lesen ist.
In „Unter Null“ folgt man Clay im Studentenalter von Party zu Party, wo er mit seiner Freundin Blair und einigen Kumpels, wie etwa dem schwer drogensüchtigen und absturzgefährdeten Julian, Orgien feiert. Clay und Blair sind die Einzigen, die schockiert sind, als ein Snuffvideo gezeigt wird und als ein zwölfjähriges Mädchen, dass im Bett eines Bekannten gefesselt liegt, später tot aufgefunden wird. Trotz aller Sexeskapaden und Rauscherlebnisse ist hier noch ein Rest an Moral vorhanden. Die Handlung von „Imperial Bedrooms“ setzt 25 Jahre später ein - und irgendwo auf dem Weg dorthin ist dieser letzte Rest an Moral abhanden gekommen.
Keine Gnade
Nach einer langen Zeit der Abwesenheit kehrt Clay von New York nach L. A. zurück, er ist mittlerweile ein recht erfolgreicher Drehbuchautor. Er fühlt sich verfolgt - zu Recht, wie sich im Lauf der Thrillerhandlung herausstellen wird. Bei den Castings für seinen neuen Film geht es Clay aber zunächst vor allem um eines: Material fürs Bett zu finden, möglichst jung, egal ob Männchen oder Weibchen.
Clay im Gespräch mit Rip: „‚Sie erwidern deine Gefühle nicht und werden sie auch nie erwidern‘, sagt Rip. ‚Zumindest nicht auf die Art, wie du das gerne hättest, und trotzdem kannst du sie ein Weilchen kontrollieren, weil sie ja auch was von dir wollen. Es ist ein ganz schönes System, das du dir da aufgebaut und eingerichtet hast.‘“
Doch dann passiert das Unerwartete: Clay verliebt sich ausgerechnet in die undurchsichtige Rain, eine dieser Schauspielerinnen, die alles für einen Job tun würden - alles. Das ist Clays Dilemma: Er liebt sie, weiß aber, dass die Beziehung erstens von ihrer Seite nicht auf Liebe beruht, und zweitens ein klares Verfallsdatum hat - nämlich jenen Zeitpunkt, an dem er ihr eine Rolle in seinem Film verschafft hat - oder ihr eröffnet, dass sie keine bekommt.
Deshalb muss er die Zeit bis zu diesem Tag optimal nützen, was für ihn heißt: Mit ihr so viel Sex zu haben wie möglich. Für Sentimentalitäten ist da keine Zeit, obwohl er sie, auf seine Weise, liebt. Selbst wenn sie unglücklich ist und weint, wird sie penetriert. Clay kennt keine Gnade.
Einer der brutalsten Autoren der Gegenwart
Und so macht er es auch mit all seinen blutjungen Sexualpartnern, egal, ob Bursche oder Mädchen, bis hin zu perversen Folterexzessen, die so brutal sind, dass Patrick Bateman aus „American Psycho“ noch etwas dazulernen könnte. Und der war bis dato die brutalste Romanfigur eines der brutalsten Autoren der Gegenwart.
„‚Dir sind so viele Anspielungen auf mich entgangen‘, flüstere ich ihr zu, wie sie jetzt betäubt im Schlafzimmer liegt. ‚Die sind mir nicht ... entgangen‘, sagt sie, das Gesicht voller Blutergüsse, die Lippen nass von Tequila. ‚Das liegt daran, was dieser Ort mit dir gemacht hat‘, flüstere ich und streiche ihr das Haar aus der Stirn. ‚Dieser Ort hat mir gar nichts getan.‘ Sie bedeckt ihr Gesicht mit den Händen, eine nutzlose Geste.“
Dabei hatte Ellis rund um das Erscheinen seines letzten Romans „Lunar Park“ in Interviews gesagt, dass er nun, wo er nach vielen Jahren der legendären Drogeneskapaden wieder clean war und älter, verstehe, warum sich viele Menschen von der Gewalt in „American Psycho“ abgestoßen fühlten.
Die Sprache passt Ellis wie eh und je seinen Beobachtungsgegenständen an: trocken, oberflächlich, aalglatt. Seinen Figuren geht es um die reine Oberfläche. Es wimmelt vor schönheitschirurgisch entstellten Gestalten und Model-Hungerhaken. Wie immer werden zahlreiche Markennamen zitiert. Ständig nesteln die Protagonisten an ihren iPhones herum.
Elvis Costello, Beck, The Fray
Vor allem aber werden ganz viele Songs genannt, die sich zu einem Soundtrack verdichten. Schon der Titel ist einem Elvis-Costello-Album von 1982 entliehen, wie schon bei „Less than Zero“ („Unter Null“). Costello kommt auch in beiden Büchern wiederholt vor. An einer anderen Stelle schreibt Ellis: „Im Wagen laufen unentwegt Songs von The National", und zitiert die Band: "... one time you were blowing young ruffians ...“.

Kiepenheuer & Witsch
Buchhinweis
Bret Easton Ellis: Imperial Bedrooms. Übersetzt von Sabine Hedinger. Kiepenheuer & Witsch, 215 Seiten, 19,50 Euro.
Auf einer Party läuft im Hintergrund Beck, nein, er „dröhnt durch die gesamte Lounge“. Und Rain hört die Band „The Fray“, deren bekanntester Song passenderweise eine seelenlose Indie-Suderei mit dem Titel „How to safe a live“ ist.
Von Bloc Party gibt es übrigens den schönen „Song for Clay“ (auf dem Album „A Weekend in the City“, 2007), der sich auf „Unter Null“ bezieht. In diesem Lied heißt es: „I’m trying to be heroic - in an age of modernity“. Das hat Clay aufgegeben - und mit ihm sein Erschaffer Ellis, der mit seinem jüngsten Buch auf dem depressiven Tiefpunkt seines pessimistischen Werks angelangt.
Ellis erweist sich dennoch als Meister des von ihm selbst geschaffenen Fachs der höchst aggressiven und kulturkritischen Popliteratur. Fad wird es dem Leser nie, das Buch ist ein Page-Turner. Staunend Lesen bis zum Entsetzen und bis zur Übelkeit ist hier die Devise.
Simon Hadler, ORF.at
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