"... und dahinter ein Rattenstadl"
Der Wiener Stadtrat Rudolf Schicker (SPÖ) ist für Stadtenwicklung und Verkehr zuständig - zwei Bereiche, in denen er oft mit Bürgerprotesten konfrontiert ist. Im Interview mit ORF.at sagt Schicker, dass es auch eine Holschuld der Menschen gibt, was Informationen betrifft.
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ORF.at: Das Problem vieler Bürgerinitiativen mit der Stadtplanung ist offenbar der relativ späte Zeitpunkt, an dem der Prozess der Bürgerbeteiligung einsetzt. Was können Sie dem entgegenhalten?
Schicker: Es gibt neben dem Stadtentwicklungsplan Instrumente, die in der Bauordnung gar nicht vorgesehen sind, deren müssten wir uns gar nicht bedienen. Gerade, damit man frühzeitig in Diskussion kommt, haben wir zum Beispiel das Instrument der Masterpläne geschaffen. Die sind, was Details betrifft, noch sehr offen. Sie geben uns aber die Chance, die groben Entwicklungslinien in einem Viertel schon früh öffentlich zu diskutieren.

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Stadtrat Rudolf Schicker (SPÖ)
Zunächst findet die Diskussion mit den politischen Parteien statt. Der Gemeinderat nimmt die Pläne zur Kenntnis, damit sich das Magistrat dann damit beschäftigen kann. Erst danach beginnt der konkretere, formalisierte Prozess der Flächenwidmungs- und Bebauungsplanung. Bis zu diesem Zeitpunkt haben schon sieben Bürgerinformationsveranstaltungen, Bürgerdiskussionen und Internetdiskussionen stattgefunden. Danach beginnt die sogenannte „öffentliche Auflage“, wo jeder sechs Wochen lang die Unterlagen einsehen kann. Der Gemeinderat hat 1996 schon beschlossen, dass man den sogenannten Gründruck der Pläne, also das Vorlaufinstrument, das noch der amtsinterne Entwurf ist, allen politischen Parteien zur Verfügung stellt - und auch dem betroffenen Bezirk.<<
ORF.at: Und der Blaudruck, der schon vor dem Gründruck existiert?
Schicker: Der Blaudruck ist eine rein interne Information. Die Verwaltung muss sich zunächst intern über den groben Umriss der Pläne klar werden. Der Blaudruck ist nicht öffentlich - ganz bewusst nicht. Da können Ideen enthalten sein, die sich überhaupt nicht realisieren lassen. Warum soll ich damit jemanden belästigen?
ORF.at: Der Vorwurf lautet, dass man den Gründruck zwar offenlegt, dass aber beim Blaudruck die tatsächliche Planung schon sehr weit fortgeschritten ist und danach nur noch ganz wenig Einfluss genommen werden kann.
Schicker: Schon vor dem Blaudruck gibt es eine Phase, in der öffentlich diskutiert wird, bei den Masterplänen. Dann wird erst innerhalb der Verwaltung geprüft: Habe ich dort einen Kanal, oder brauche ich einen neuen? Gibt es dort Grundwasser, von dem man nicht allgemein weiß? Gibt es dort eine Altlast wie eine Deponie oder Ähnliches? All das muss geprüft werden, bevor ich zur Bevölkerung gehe. Sonst stelle ich mir mit dem Gründruck ja etwas vor, das gar nicht realisierbar ist.

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Pläne von aktuellen Bauprojekten im Büro von Rudolf Schicker
ORF.at: Eine weitere Kritik lautet, dass die Informationen in der öffentlichen Auflage für Laien unverständlich sind. Das versteht kein Gemeinderat, heißt es.
Schicker: Ich gehe immer davon aus, dass Menschen, die Beschlüsse fassen, sich davor informieren und genau wissen, was sie tun. Ich habe es zumindest so gehalten, wie ich Gemdeinderat war. Außerdem gibt es die Planauskunft, wo jedem genau detailliert erklärt wird, worum es geht, auch während der öffentlichen Auflage. Jeder, der mehr wissen möchte oder Verständnisfragen hat, ist herzlich eingeladen, während der sechs Wochen in die Planauskunft zu kommen. Die ist mit Experten besetzt, die alles genau erklären können. Wer das nicht tut, kann der Stadt später keinen Vorwurf daraus machen.
ORF.at: Wie weit geht denn die Bürgerbeteiligung, wenn man etwa das Komet-Projekt oder das Projekt Monte Laa hernimmt?
Schicker: Ich spreche nicht über jedes Projekt.
ORF.at: Da hat es offenbar viele Stellungnahmen aus der Bevölkerung gegeben. In dem einen Fall rund 750, in dem anderen über 1.000. Haben diese Stellungnahmen Einfluss auf den Planungsprozess?
Schicker: Ich nenne Ihnen ein Beispiel. In Floridsdorf wollten wir einen alten Tennisplatz, der nicht mehr genutzt wurde, für Wohnbauten samt Kindergarten umwidmen. Es gab zahlreiche Diskussionen und eine Abschlussvereinbarung, die von allen unterschrieben wurde. Danach wurden in den Gremien einstimmige Beschlüsse gefasst. Und trotzdem wird behauptet, das sei alles undemokratisch gewesen. Das richtet die Aktion 21. Zu anderen Projekten nehme ich nicht Stellung. Das ist exemplarisch, was hier gespielt wird.

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Schicker zeigt die Unterschriften für den Beschluss des Lorettoplatzes
ORF.at: Die Aktion 21 vernetzt nur. Die einzelnen Bürgerinitiativen agieren autonom. Da kann man nur schwer eine Initiative mit ihrem Vorgehen exemplarisch nennen für zahlreiche andere, denen es um etwas komplett anderes geht, vom Hochhaus bis zur Tiefgarage. Was also macht man mit den vielen Stellungnahmen zum Komet- und Monte-Laa-Projekt?
Schicker: Das ist in der Bauordnung exakt geregelt. Deshalb bin ich so sauer auf die Pressekonferenz der Aktion 21. Jede Stellungnahme muss im Flächenwidmungsakt dokumentiert und bewertet werden. Und das geschieht.
ORF.at: Aber wie wirkt es sich aus?
Schicker: Jeder Gemeinderat bekommt den Akt samt den Stellungnahmen, bevor er in den Gemeinderatsausschuss geht und seine Stimme abgibt. Daher ist es vollkommen falsch, dass hier etwas unter den Teppich gekehrt wird. Die Informationen liegen vor und sind einsehbar.
ORF.at: Der Gemeinderat trifft seine Entscheidungen - und ihm liegen diese Stellungnahmen vor. Aber werden diese Stellungnahmen auch in der Planungsphase berücksichtigt? Wenn etwa 750 Menschen nicht im Schatten eines Hochhauses leben wollen - wirkt sich das auf die Planung aus?
Schicker: Im Flächenwidmungsplan darf nicht einfach nur stehen: „Diese oder jene Stellungnahme ist eingelangt.“ Es muss gesagt werden: „Das ist etwas, was berücksichtigt werden kann“, oder: „Das ist etwas, was nicht berücksichtigt werden kann, aus folgenden Gründen ...“. Dieser Akt wird öffentlich, mitsamt des Gemeinderatsprotokolls. Wo ist da Geheimdiplomatie? Diese Stadt wächst. Vielleicht ist nicht jeder Einzelne immer zufrieden, aber Hunderte oder Tausende haben den Vorteil.
ORF.at: Wo liegt dieser Vorteil, etwa im Fall der Hochhäuser Komet und Monte Laa?
Schicker: Gefällt ihnen das Komet-Gebäude derzeit?
ORF.at: Die Fassade ist verdeckt.
Eben. Und dahinter ein Rattenstadl. Und der wird de facto als erhaltenswert eingestuft. Super. Für so eine Stadtentwicklung stehe ich nicht.
ORF.at: Warum aber ist es wichtig, dass Wien Hochhäuser bekommt wie die beiden genannten?
Schicker: Wir haben in Wien Punkte, wo ich höchste Qualität an öffentlichem Verkehr habe. So ist etwa die Meidlinger Brücke beim geplanten komet-Gebäude ein Verkehrsknotenpunkt. Dadurch kann man das Einkaufen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln erleichtern. Das ist kein Shoppingcenter auf der grünen Wiese, sondern dort, wo die Menschen ganz leicht aus allen Himmelsrichtungen hinkommen können.
ORF.at: Aber die Meidlinger Hauptstraße ist als Einkaufsstraße ja schon vor Ort.
Schicker: Die Meidlinger Hauptstraße gibt es, aber die hat keinen echten Endpunkt. Das heißt, dass ich nicht dort, wo ich den Schwerpunkt des Einkaufsgeschehens habe, auch die öffentliche Zugänglichkeit habe. Genauso wie man es am Südteil der Straße vom Meidlinger Bahnhof aus gemacht hat. Dort ist am Eingang zur Meidlinger Hauptstraße ein Schwerpunkt gesetzt mit einem Einkaufszentrum. Das zieht die Menschen hinein in die Straße und das Viertel. Das ist eine der Auflagen für das Komet-Projekt: dass die Verbindung zur Meidlinger Hauptstraße von den Betreibern mitgestaltet werden muss.
Was die Hochhausstandorte insgesamt betrifft: Das Hochhauskonzept ist erstellt worden, nachdem meine Vorgänger die Monte-Laa-Platte genehmigt hatten. Ich kann denen nicht Auflagen machen, die damals noch nicht gegolten hatten. So viel Rechtssicherheit gibt es bei uns.
ORF.at: Aber er ist ja komplett umgewidmet worden. Da war ja etwas ganz anderes geplant.
Schicker: Wissen Sie, was gewesen wäre? Dort wo die Schule ist, hätten wir einen wesentlich höheren, durchgehenden Trakt gehabt. Die Schule wäre komplett beschattet gewesen. Das ist den Menschen offenbar lieber gewesen, die sich jetzt aufregen. Was wir erreichen konnten, ist eine deutliche Verbesserung für den ganzen Standort.
ORF.at: Eine Privatperson hat gegenüber ORF.at erzählt, dass sie sich eine Genossenschaftswohnung im guten Glauben angeschafft hat, es würde dort keinen Schatten geben, weil das bei der ursprünglichen Flächenwidmung nicht der Fall gewesen wäre. Diese Person hat sich beschwert, über die Umwidmung nicht ordentlich informiert gewesen zu sein.
Schicker: Es gibt immer Einzelpersonen, die überrascht sind und sich den Ort, wo sie hinziehen, ganz anders vorgestellt haben. Das kommt regelmäßig vor, wenn die Wohnbaugenossenschaften mit „Lage am See“ oder „Blick bis zum Anninger“ werben. Wenn man dann in die Urdokumente schaut, kommt man drauf, dass dort immer schon lange, bevor die Genossenschaft den Grund gekauft hat, andere Planungsabsichten bestanden haben. Für die Informationspolitik der Genossenschaften kann ich nichts.
ORF.at: Die Bürger sagen, sie fühlen sich gefrotzelt. Die Stadt habe bei der Entfernung zur nächsten U-Bahn geschummelt und kein räumliches Modell anfertigen lassen. Ähnlich verhält es mit Visualisierungen in digitaler Form. Die Betroffenen sagen, wenn sie sich ernst genommen fühlen würden, hätten sie vielleicht gar nichts gegen das Projekt.
Schicker: Diskussion und politische Prozesse machen nur dann Sinn und sind breitenwirksam und positiv, wenn man die Bereitschaft hat, Erkenntnisse zu berücksichtigen. Es kommt auf die Frage an: Ist die innere Bereitschaft da, Veränderung zu erwägen? Nur dann kommt bei der Mediation für beide Seiten ein positives Ergebnis heraus. Die PORR Solutions, die das Projekt am Monte Laa baut, hat Bilder vom Projekt zur Verfügung gestellt, die einsehbar sind. Auch hier gilt: Holschuld.
ORF.at: Wenn man sich die große Zahl an Menschen vor Augen hält, die Bürgerinitiativen unterstützen, sind ja viele unzufrieden mit dem Prozess der Bürgerbeteiligung. Sie aber würden sagen, die Kommunikation vonseiten der Stadt Wien läuft lückenlos ideal?
Schicker: Ich möchte das mit einem Beispiel beantworten: Donauinsel, Hochwasserschutz. Gut, oder nicht? Funktionsfähig, super, gut, Erholungsgebiet. 1973 ist eine ganze Traditionspartei dagegen Sturm gelaufen. In der repräsentativen Demokratie sind die Bürgerverfahren vorgeschaltet, aber irgendwann müssen Entscheidungen getroffen werden.
Als gewählter Verantwortlicher einer Stadt hat man auch die Aufgabe, große Linien in der Stadtplanung zu verfolgen. Dazu stehe ich, auch wenn in bestimmten Phasen der Entscheidungsfindung ein kleinerer oder auch größerer Teil der Bevölkerung nicht zufrieden ist.
ORF.at: Beim komet-Projekt sollen die Präsentationen im Rathaus und auf Bezirksebene unter anderem vom ehemaligen Innenminister Karl Schlögl (SPÖ) bestritten worden sein. Zudem soll der ehemalige Chef einer Magistratsabteilung als Berater fungiert haben. Kritiker sprechen von Mauscheleien.
Schicker: Was würden Sie sagen, wenn das nicht der Bürger X sagt, sondern die Partei F?
ORF.at: Es sagt aber der Bürger X.
Schicker: Da würden Sie Sudelpropaganda dazu sagen. Es gab im Fall von komet einen jahrelangen Diskussionsprozess - und dann eben eine Entscheidung. Die Flächenwidmung ist seit längerem rechtsgültig. Die Menschen sind noch immer nicht zufrieden, aber dabei handelt es sich immer noch um dieselbe kleine Gruppe. Ich kenne sie fast alle. Es ist ihr gutes Recht, noch immer nicht zufrieden zu sein. Aber dann zu kommen und zu sagen: „Weil der dabei war, deshalb ist das gemauschelt“ - das ist ja kein Argument. Das ist schlicht eine Propagandamasche, die der Menschen, die bei der Initiative mitmachen, eigentlich nicht würdig ist.
Das Gespräch führte Simon Hadler, ORF.at
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