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Filmbiografie ohne Wahrheitsanspruch

Als „Jud Süß - Film ohne Gewissen“ im Frühjahr auf der 60. Berlinale präsentiert wurde, waren die Reaktionen heftig. Der Film über den Holocaust-Propagandafilm „Jud Süß“ aus dem Jahr 1940 erntete laute Buhrufe und breite Ablehnung bei Publikum und Kritik. Neben formalen Beanstandungen war vor allem der Vorwurf der Geschichtsfälschung das am häufigsten gehörte Argument gegen den Film.

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Regisseur Oskar Roehler legte den Fokus auf die Lebensgeschichte des Hauptdarstellers Ferdinand Marian. Dieser war vor seiner Entdeckung durch den Propagandaminister Nazi-Deutschlands eher als windiger Frauenheld in Filmen wie „La Habanera“ mit Zarah Leander und „Die Stimme des Herzens“ bekannt. Nachdem bereits mehrere namhafte Schauspieler, darunter Emil Jannings, Willi Forst und Gustaf Gründgens, die Titelrolle des Hetzfilms abgelehnt hatten, konnte Goebbels Marian schließlich für den Part gewinnen.

In Roehlers Filmbiografie war die Entscheidung für die Rolle keineswegs eine sehr freiwillige: Der Regisseur dichtet Marians Ehefrau (in Wirklichkeit Katholikin) eine jüdische Herkunft an und macht den Schauspieler dadurch erpressbar. Dass Marian den Verlockungen erliegt, wird er sich selbst irgendwann nicht mehr verzeihen können.

Absturz eines Nazi-Filmstars

Schon vor seiner Frau (gespielt von Martina Gedeck) und seinem ehemaligen Schauspielkollegen Adolf Wilhelm Deutscher (Heribert Sasse) kann er sein Engagement nicht wirklich rechtfertigen. Dass beide später deportiert werden, gibt seinem schlechten Gefühl ein reales Gesicht. Dabei wurde Marian mit „Jud Süß“ beim Filmfestival in Venedig gefeiert - doch die anschließende Werbetour und das schlechte Gewissen ersäuft er im Alkohol.

Nach Kriegsende endet der Prozess gegen Veit Harlan - „des Teufels Regisseur“ - mit einem Freispruch. Marian verliert jeden Halt. Der Schauspieler stirbt 1946 unter mysteriösen Umständen bei einem Autounfall - im Film begeht er betrunken Selbstmord, als er von der Ermordung seiner Frau im KZ erfährt.

Stilistische und dramaturgische Schwächen

Neben dem losen Umgang mit der wahren Geschichte hat der Film auch stilistisch Schwächen. So taumelt Roehlers „Jud Süß“ zwischen Melodram, Satire, Tragödie und Film Noir, wobei auch tragische Szenen teilweise lächerlich wirken und Klischees bedient werden. Im zweiten Teil bleiben dramaturgische Lücken, Zeitsprünge und personelle Unklarheiten. Die Unentschlossenheit des Regisseurs ist auch dem Schauspiel von Moretti anzumerken, der ab der Hälfte des Films eigentlich nur mehr einen Betrunkenen spielen darf.

Kinohinweis

Oscar Roehlers Film „Jud Süß - Film ohne Gewissen“ ist ab 24. September in österreichischen Kinos zu sehen.

Gedecks schauspielerische Leistung sticht sehr positiv hervor. Bleibtreu spielt Goebbels als Charmeur, mit clownesk überzeichneter Mimik und Gestik, was ihm zwar sehr gut gelingt, jedoch im Kontext des Films oft fehl am Platz wirkt. Die Kritik, die ihm das auf der Berlinale einbrachte, empfindet der Schauspieler selbst als ungerechtfertigt: „Wenn man sich Archivmaterial anguckt, wird man sehen, dass in Bezug auf Gestik und Mimik das, was ich da mache, nicht übertrieben ist. Der öffentliche Goebbels, der war genau so manieriert, wie ich es spiele.“

Roehler verteidigte sich gegen die Vorwürfe mit dem Argument, der Film sei keine Dokumentation „und nimmt sich daher die Freiheit der künstlerischen Bearbeitung, worauf ausdrücklich im Abspann des Filmes hingewiesen wird“. Doch auch als Spielfilm kann „Jud Süß - Film ohne Gewissen“ nicht überzeugen.

Sophia Felbermair, ORF.at

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