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Der unfassbare Couturier

Karl Lagerfeld ist ein Mann voller Geheimnisse. Nicht nur, weil er über sein genaues Alter schweigt, das irgendwo zwischen 72 und 77 liegen soll. Auch sonst lässt sich das Multitalent kaum in die Karten schauen. Seine Geschichte, meint er, sei sowieso anders als das, was man über ihn erzähle.

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Und somit begnügt sich der Designer damit, kleine Details und Anekdoten über seine Macken beim Kauf von Schuhen zu enthüllen, die er immer eine Nummer zu klein wähle. Oder er erzählt Journalisten amüsiert, dass er seine Wäsche nach dem ersten Gebrauch wegwerfe. Sein größter Feind sei die Langeweile - und darin dürfte wohl sein Erfolgsrezept liegen. Denn als umtriebiger „Rundum-Erneuerer“ hat er in der launischen Modebranche den richtigen Platz gefunden.

Modeschöpfer Karl Lagerfeld

AP/Roland Weihrauch

Karl Lagerfeld zeichnet erste Designs für Textilfrabrikant Klaus Steilmann

Elegante Klassik und Innovation

Seine Kollektionen und Modelle sind eine gelungene Kombination aus Eleganz, Klassik und Innovation. In diesem Sinne machte er das klassische Chanel-Kostüm als schwarzes Lederoutfit auf oder kombinierte Abendkleider mit Motorradstiefeln. Einer seiner größten Geniestreiche gelang dem Sohn aus einer großbürgerlichen Industriellenfamilie, als er 1983 als künstlerischer Direktor bei Chanel einstieg. Er brachte frischen Wind in das müde gewordene Label. Mit einer perfekten Symbiose aus traditionellem Chanel-Stil und trendsetzenden Elementen brachte er den internationalen Modedampfer wieder auf Erfolgskurs.

Seine gelungenste Kreation liegt möglicherweise in der eigenen Person. Mit seinem weißgepuderten Zopf, seiner schwarzen, übergroßen Sonnenbrille, den zahlreichen Ringen an seinen Fingern und seinem Fächer hat sich „Kaiser Karl“ zu einem wandelnden Markenzeichen gemacht. Er kreierte einen sehr persönlichen, fast schon maskenhaften Stil, der ihn unnahbar erscheinen lässt. Er spiegelt das geheimnisvolle Wesen des Modeschöpfers wider, der nirgendwo zu Hause ist - weder zeitlich noch räumlich.

Vorurteile? Nur über Intellektuelle

Lagerfeld mag keine Retrospektiven und Hommagen. „Man gibt keinen Kredit auf die Vergangenheit“, meinte er. Deshalb hänge er auch nicht an Hamburg, nur weil er dort geboren sei. Sein Lieblingsort sei der, an dem er sich gerade aufhalte. „Ich habe keine Vorurteile, weder über Orte noch über Menschen“, sagte er weiter. Mit einer Ausnahme vielleicht: Intellektuelle. „Ich will alles wissen, aber ich bin kein Intellektueller, und ich mag auch nicht deren Gesellschaft. Im Grunde bin ich der oberflächlichste Mensch auf der Welt“, sagte er in einem Interview mit der britischen Zeitung „Sunday Times“.

Dafür ist der deutsche Couturier jedoch zu perfektionistisch, zu gründlich. Er ist ein „Workaholic“, dessen Biografie eine Aneinanderreihung von Superlativen ist. Bereits als Teenager ging Lagerfeld nach Paris. Dort gewann er im Jahr 1954 den ersten Preis des Internationalen Wollsekretariats für den Entwurf eines Mantelmodells. Nach einer Schneiderlehre bei Pierre Balmain übernahm er die künstlerische Leitung des Haute-Couture-Hauses Patou. Als „König Karl“ dirigierte er seitdem Nobelhäuser wie Chloe. Und noch immer bestimmt er die Trends der Modewelt mit.

Das Beste kommt noch, angeblich

Daneben schuf er unter dem Namen Lagerfeld Gallery noch seine eigene Kollektion, machte sich als Modefotograf einen Ruf, gestaltete Inneneinrichtungen und Porzellan und bringt Parfüms und Bildbände heraus. Und dennoch hat das Multitalent, das bis zu 20 Stunden am Tag an seinem Schreibtisch sitzt und Strandurlaube entsetzlich findet, sein Ziel noch nicht erreicht: „Ich bin so eingebildet zu glauben, dass meine beste und einflussreichste Kollektion noch vor mir liegt.“

„Lederhäutiger Mann mit Pferdeschwanz“

Im persönlichen Umgang mit Mitarbeitern gilt Lagerfeld als unberechenbarer Despot. Je nach Laune lasse er Menschen fallen oder überhäufe sie mit Zuneigung, schrieb der ehemalige Assistent des Couturiers, Arnaud Maillard, unlängst in seinem Buch „Karl Lagerfeld und ich. 15 Jahre an der Seite des Modezaren“ (Heyne Verlag). Lagerfelds Verschrobenheit ist Legende. Als Talkshow-Gast ist der Schnellsprecher unschlagbar. Sein Anekdoten- und Aphorismenschatz scheint unerschöpflich.

Der Kolumnist Harald Martenstein („Zeit Magazin“) beschrieb Lagerfeld vor ein paar Jahren als „einen dürren, lederhäutigen Mann mit Pferdeschwanz“, der „wirr“ rede, „dies aber auf geistig anregende Weise“. Typisches Verhalten: „Mit dem Gesichtsausdruck eines Leguans“ geradeaus starren und dabei verächtlich den „Schildkrötenhals“ zucken lassen.

Martensteins Beschreibung und viele andere Berichte lassen den kapriziösen Karl immer weniger als Menschen denn als Karikatur seiner selbst, als Marke, erscheinen. Auch Maillards Buch ist eigentlich mehr Markenwerbung als Abrechnung. Es passt bestens in den Mythos und das Bild, das der Designer sowieso von sich zeichnet. Lagerfeld könnte Maillard, wenn er diese Regung denn kennt, dankbar sein.