Wolfsegg und ein Ende
Kurz vor seinem Tod trifft Thomas Bernhard bei einem Notar eine scheinbar weitreichende Verfügung. Darin heißt es: „Ausdrücklich betone ich, dass ich mit dem österreichischen Staat nichts zu tun haben will und ich verwahre mich nicht nur gegen jede Einmischung, sondern auch gegen eine Annäherung des österreichischen Staates meine Person und meine Arbeit betreffend in aller Zukunft.“
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Bernhard hatte, wenige Wochen nach Ende des „Bedenkjahres“ 1988 und den medialen Aufregungen über die Burgtheater-Inszenierung seines Stückes „Heldenplatz“, einen Schlussstrich unter sein Verhältnis zu Österreich gesetzt. Der Schriftsteller war schwer krank, und wie sein Halbbruder und Internist Peter Fabjan kurz nach Bernhards Tod festhielt, nur mit einem „Maximaleinsatz von Medikamenten“ am Leben zu erhalten.
Der Schlussstrich war in seiner Kunst minuziös angelegt und vorbereitet: Ein Großteil seines Prosawerkes ist Nachlassverwaltung, testamentarische Verfügung - und, wie in seinem letzten großen Roman „Auslöschung“, hybride Tilgung der Herkunftsspur. „Ich wollte von Wolfsegg und also auch von ihnen schon lange nichts mehr wissen, umgekehrt sie nichts von mir, das ist die Wahrheit“, hält Franz-Josef Murau über seine Familie und seine Heimat fest. Auch diese Sätze hatte Bernhard in die Struktur eines fiktiven Nachlasses verpackt. Und einmal mehr erzählt eine Arbeit von der notwendigen physischen Entfernung von der Heimat, vom Abstand zum „rauen“ und „stumpfen“ Klima.
In der „Auslöschung“ sind Rom und die Geisteswelt der Privatgelehrten Gambetti und Murau der Fluchtort vor der Heimat, die aber gerade dort mit größerer Brutalität in die konstruierte Geisteswelt einbricht. Bernhard selbst hatte sich in den 80er Jahren wegen seiner lebensbedrohlichen Herz- und Lungenkrankheit zum Schreiben immer wieder in den Süden zurückgezogen.
Mediales Gesamtkunstwerk
Mit dem Erscheinen der „Auslöschung“ Mitte der 80er Jahre wurde Bernhard zum medialen Gesamtkunstwerk. Die Öffentlichkeit konnte und wollte nicht mehr unterscheiden zwischen dem „Österreich“ einer mehrfach gebrochenen literarischen Kunstwelt und seinem Schöpfer, der sich auf seinen Reisen in den Süden begleiten ließ und gegenüber der Kulturjournalistin Krista Fleischmann auch zur Gesamtabrechnung mit Österreich ausholte. „Die Monologe auf Mallorca“ (1981) sind 20 Jahre nach Bernhards Tod hierzulande zumindest ebenso bekannt wie manches seiner Werke.
Und alles strebte, so sieht es gerade im Rückblick aus, auf den dramatischen Höhepunkt zu: die Inszenierung von „Heldenplatz“ durch Claus Peymann, die Doppelung des Theaterstücks in der öffentlichen Reaktion - und schließlich das Ableben des Dichters. Die testamentarische Verfügung sollte bald mehr Kunstcharakter als reale Wirkungskraft erlangen. Denn auch wenn dem Staat untersagt wurde, sich am Bernhard’schen Werk zu vergreifen, so tat das posthum auch die Politik.
Bernhard bekam auch aus konservativen Kreisen den Status des Klassikers umgehängt, ja fast musste man fürchten, nur noch die Bilder von Bernhard zu sehen, die ihn in der ländlichen Tracht anstatt im feinen Großstadtzwirn zeigten. In Facetten schrieb sich sein Werk weiter, holte die Realwelt seine Kunstwelt ein, ja überholte sie noch. Da konnten schon ehemalige Kritiker an Bernhards Österreich-Bild zu liberalen Vorzeigestimmen werden. „In Österreich ist alles / immer am schlimmsten gewesen“, heißt es in „Heldenplatz“.
Trennstrich unter die „biografische Illusion“?
Und dennoch: 20 Jahre nach seinem Tod böte sich die Gelegenheit zu einem klareren Strich zwischen Werk und Autor, gäbe es Anlass, die von Pierre Bourdieu festgemachte „biografische Illusion“, dass das Lebens des Künstlers „als eine Geschichte organisiert ist, sich nach einer gleichzeitigen logischen und chronologischen Ordnung abspielt“, fallenzulassen.
Denn auch Bernhards fünfteilige „Autobiografie“ aus den 70er Jahren ist eben keine selbst geschriebene Autoren-Biografie. Sie ist künstlerische Verdichtung, möglicherweise Selbstbefreiung, aber keine Selbsterklärung. Gleiches gilt für den nun posthum erschienen Band „Meine Preise“. Bernhard bearbeitet sich selbst und legt wie so oft auch falsche Fährten.
Vom Persönlichen gelangt man bei Bernhard zur Kunstwelt, aber nie aus der Kunstwelt zurück zum Persönlichen. Ebenso verhält es sich mit den Orten. Reale Orte sind der Einstieg in die Kunstwelt - doch der Weg zum realen Schloss Wolfsegg unweit des Wohnortes Bernhards im oberösterreichischen Ohlsdorf bringt keine weiteren Aufschlüsse über das Wolfsegg der „Auslöschung“. Anders gesagt: Das künstlerische Wolfsegg erschließt sich auch ohne das reale Wolfsegg. Oder, wie es Bernhard in einem Interview zuspitzte: „Ich schreib’ ja nicht für Depperte, denen man alles vorgeben muss.“
Der Weg nach Hochgobernitz
Bernhard beginnt im Realen und lässt es nicht selten im Irrealen stranden. Der Weg nach Hochgobernitz („Verstörung“) ist ein Irrweg - oder, für den Leser, ein Weg, der auf ihn selbst und seinen prekären Status verweist. Bernhard setzt sein Publikum in Bewegung, er setzt es in Unruhe - unterwegs kommt es durch Österreich durch und an Österreich vorbei, und doch kommen Erzähler und Leser niemals irgendwo an - vielleicht einer der Gründe, warum man ihn als „Alpenbeckett und Menschenfeind“ bekalauerte. Selbst die Position im Ohrensessel in „Holzfällen“ führt zu keiner Ruhe des Beobachters - auf dem Sitzplatz wird nur die Anfälligkeit und Verstörbarkeit des Ich evident.
Tipp:
Thomas Bernhard/Christa Fleischmann, Monologe auf Mallorca & Die Ursache bin ich selbst. DVD, 94 Minuten, filmedition suhrkamp, 20,50 Euro.
Das Werk von Thomas Bernhard ist bei Suhrkamp und im Residenz Verlag erschienen.
Mit Thomas Bernhard starb vor 20 Jahren ein Moralist, allerdings einer, dessen Nähe man am ehesten beim vielzitierten Montaigne verorten müsste. Neben dem Zeigefinger weisen drei Finger auf sich selbst und die fragile Natur zurück. „Ich fühle, wie der Tod mich beständig in seinen Klauen hält. Wie ich mich auch verhalte, er ist überall da“, stellt Bernhard ein Zitat Montaignes der „Auslöschung“ voran. Montaigne war ein stiller Radikaler seiner Zeit. Gegen die Zwänge eines rhetorischen Wissenssystems setzte er die Beharrlichkeit der eigenen Hinfälligkeit. Bernhard kämpfte mit seiner Kunst sehr lange gegen diese Hinfälligkeit.
Gerald Heidegger, ORF.at
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