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„Normale Tür hätte auch gereicht“

Der Rummel um Natascha Kampusch und ihre achteinhalbjährige Entführung findet seit ihrer Flucht vor vier Jahren kaum ein Ende. In einer diese Woche erscheinenden Autobiografie hat die heute 22-Jährige mit Hilfe von Koautoren ihre Geschichte selbst niedergeschrieben.

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Im Interview erzählt die junge Frau über die Zeit in Gefangenschaft und ihr Buch „3096 Tage“.

Frau Kampusch, warum haben Sie dieses Buch geschrieben?

Kampusch: „Ich wollte mit der ganzen Geschichte abschließen. Ich wollte auch, dass sich gewisse Menschen, die sich dafür interessieren, etwas haben, woran sie sich orientieren können. Dass die nicht immer das glauben, was Verschwörungstheoretiker verbreiten. Dass sie eine authentische Schilderung dessen haben, was passiert ist.“

Was wird denn aus Ihrer Sicht häufig falsch dargestellt?

Kampusch: „In dem Buch kommt ja auch meine Kindheit vor. Viele kritisieren meine Mutter, aber die sehen meine Mutter ganz falsch. In dem Buch wird ihnen erklärt, wie das Verhältnis zu meiner Mutter ist. Danach ist es eben nicht mehr verbreitbar, dass sie mich beispielsweise geschlagen hat oder dass sie total brutal gewesen ist. Und das mit der Gefangenschaft wollte ich auch einmal sagen. Ich wollte einfach, dass es mal von meiner Seite eine längere Aussage gibt. Etwas, das für sich steht. Ich wollte auch die Leute, die mich kennen, nicht belasten, indem ich ihnen Einzelheiten erzähle. Die können das Buch nehmen und lesen und genau an der Stelle, an der sie es nicht mehr verkraften, können sie das Buch zuklappen.“

Gab es etwas, das Sie mit dem Buch geraderücken wollten?

Kampusch: „Ganz am Anfang wurde alles immer in verschiedene Richtungen ausgelegt, die alle irgendwie eher extrem waren. Ich wollte zeigen, dass der Täter ein Mensch ist, und dass Leiden und schlimme Zeiten nicht überzeichnet werden müssen. Dass dieses Gefängnis ja auch innen ist und es reicht, wenn man ein zehn-, elf-, zwölfjähriges Mädchen in einen Keller einsperrt. Dass es sich nicht wehren kann oder irgendwelche Fluchtpläne schmieden kann, wenn es da in diesem Keller ist. Es hätte vielleicht sogar gereicht, wenn es eine ganz normale Tür gewesen wäre.“

Wie genau ist denn das Buch entstanden?

Kampusch: „Am Anfang dachte ich, ich könnte das Buch selbst schreiben. Aber dann hatte ich so eine Blockade, weil das einfach nicht aus mir rauswollte. Ich wollte es nicht zusätzlich selbst noch aufschreiben und dann vor mir auf dem Papier sehen. Die Methode, es jemand anderem zu erzählen, war einfacher. Ich wusste am Anfang auch nicht, wie ich das alles bewerten sollte, damit es andere Menschen auch nachvollziehen können. Weil es ist ja doch sehr, sehr (...) es sind ja erst ein paar Jahre vergangen, seit ich wieder da bin und (...) ja, es war wirklich schwierig. Wenn ich einen Roman hätte schreiben sollen, hätte ich das schon viel leichter tun können - aber eine echte Geschichte, die noch dazu mir passiert ist? Ja - ich brauchte jemanden, der objektiv ist.“

Wie sah dann die tägliche Arbeit mit der Ghostwriterin aus?

Kampusch: „Es war nicht so einfach. Wir haben uns oft zusammengesetzt, und es ist oft so ein betretenes Schweigen aufgekommen. Es gab auch dazwischen Tage, wo beide einfach so fertig waren von der ganzen Geschichte, dass wir Abstand gebraucht haben. Sowohl zueinander als auch zu dem Thema.“

Hat Ihnen die Arbeit am Buch geholfen, die Zeit in Gefangenschaft zu verarbeiten?

Kampusch: „Ja, es hat schon geholfen. Wir brauchten wie gesagt immer diese Pausen, weil durch das Nochmal-Erzählen so viele Aspekte aufgekommen sind, die ich verdrängt hatte oder die ich nicht bedacht hatte. Mir ist das Ganze nochmal so entgegengesprungen. Als wäre die Geschichte jemand anderem passiert. Vorher, als ich sie irgendwo da oben (tippt sich an den Kopf, Anm.) gut verstaut oder ich weiß nicht wo hatte, konnte ich mir einreden, dass das alles doch nicht so schlimm war. Und ich hatte ja alles gut überstanden. Aber als ich das dann gelesen habe, ist mir klar geworden, wie schrecklich das eigentlich war. Mir hat die Person, der das passiert ist, dann so leidgetan. Ich tue mir aber eigentlich nicht leid - das war wie eine Rückkoppelung.“

Hat die Arbeit am Buch auch Ihre Sicht auf die Tat verändert?

Kampusch: „Viele Erkenntnisse hatte ich schon vorher, mit dem Buch wurde es nochmal deutlicher. Mit dem Buch musste ich das Ganze aussprechen. Dass das Ganze mir sehr viel genommen hat, dass da ununterbrochen Menschenrechtsverletzungen passiert sind - das war mir schon währenddessen klar. Aber die Tragweite und Tragik dessen auf der Gefühlsebene, das ist mir erst durch das Buch klargeworden.“

In ihrem Buch wird Wolfgang Priklopil durchgängig nur „Täter“ genannt. Wie ist das entstanden?

Kampusch: "Das war sehr kompliziert. Weil, wie sollte man ihn nennen?! Es wäre seltsam, ihn mit Wolfgang zu bezeichnen. Das Buch ist ja für andere Menschen geschrieben, und ich wollte nicht, dass die dann so auf „Du und Du" mit dem Täter sind. Das wäre unpassend und würde dem Ganzen ein bisschen den Ernst nehmen und wieder von dem ablenken, was mir passiert ist und wie das für mich war. Es ist ja mein Buch und nicht seines. Und es stehen ja auch kaum Vermutungen drin, warum er so oder so gehandelt hat. Wie’s auf mich gewirkt hat steht drin - aber keine Abhandlungen über ihn.“

Welche Bezeichnung haben Sie persönlich für ihn?

Kampusch: „Es gibt eigentlich keine wirkliche Bezeichnung, weil er ist im Grunde genommen nichts zu mir. Er hat sich das alles erzwungen, er ist nicht mit mir verwandt. Es war ja seine Tätigkeit - er war ja ein Verbrecher in Bezug auf mich. Deshalb finde ich Täter ganz gut, weil es auch so eine Distanz wahrt. Der Leser hat eine gewisse Distanz zum Täter - und ich auch. Das ist wichtig.“

Das Gespräch führte Miriam Bandar, dpa.