„Ganze Geschichte loswerden“
Am Mittwoch erscheint Natascha Kampuschs Autobiografie „3096 Tage“, einen Tag später wird die mittlerweile 22-Jährige in Wien persönlich daraus lesen. Der mediale Hype um das Buch ist bereits vor dem Termin enorm, „3096 Tage“ dürfte ein Platz in den Bestsellerlisten gewiss sein.
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Kampusch will mit ihrem Tagebuch, wie sie sagte, mit Spekulationen aufräumen, versteht es aber auch als eine Art Aufarbeitung. Die meisten Menschen sähen ihren Fall, so die heute 22-Jährige vor einem TV-Auftritt am Montagabend in der Talkshow „Beckmann“ in der deutschen ARD, zu einfach. „Entweder schwarz oder weiß.“ Sie wolle die „ganze Geschichte loswerden, es ist eine Art Ballastpaket für mich“.
Erste Auszüge aus dem 284 Seiten starken Buch brachten bereits am Montag „Kurier“ und „Kronen Zeitung“. Das britische Boulevardblatt „Daily Mail“ begann mit der Veröffentlichung einer ganzen Serie über Kampuschs Leben „in der Hölle des Verlieses“, ähnlich die deutsche „Bild“-Zeitung („So wurde ich entführt“) und die britische „Times“ („Mein Leben als Kellersklavin“).
„Im Keller war ich Bibiana“
In den Interviews spricht Kampusch noch einmal über ihre Entführung und ihr Martyrium im Verlies ihres Peinigers Wolfgang Priklopil im niederösterreichischen Strasshof, über ihren Alltag mit dem Entführer, aber auch Misshandlungen und Widerstand gegen ihn. „Er ließ mich hungern, damit ich keine Kraft mehr habe zum Zurückschlagen.“

Verlag List
Buchhinweis:
Natascha Kampusch, 3096 Tage, Verlag List, 284 Seiten, 19,95 Euro
„Im Keller war ich Bibiana. Sie war duldsamer“, beschrieb Kampusch gegenüber dem „Kurier“, wie ihr Priklopil im Alter von elf Jahren einen neuen Namen gab. Damit habe er ihr „einerseits meine Kraft genommen“, so die 22-Jährige. „Der Name hat mir damals auch geholfen. Ich wurde eine andere Person.“ Beim Schildern ihres Martyriums berichtet Kampusch von Schlägen, Brandwunden und Würfen mit einem Stanley-Messer. „Über ein Mikrofon hat er Befehle ausgegeben.“ Alles sei „irgendwie unfassbar“ gewesen. „Als würde der Krieg ausbrechen und Sie würden alles, was Sie je gehabt haben, auf einmal verlieren. Als würden alle bösen Vorahnungen und Vermutungen und Ängste Realität werden“, so die 22-Jährige über den Moment ihrer Entführung am 2. März 1998.
Die Zeit vor der Entführung
Kampusch berichtet in der Autobiografie aber auch über die Zeit vor ihrer Entführung: „Ich hatte mit der Trennung meiner Eltern die Fixpunkte meiner Welt verloren und konnte auf die Personen, die bis dahin immer für mich dagewesen waren, nicht mehr bauen. Dazu kam eine alltägliche Form von Gewalt - nicht brutal genug, um als Misshandlung zu gelten, und doch so voll nebensächlicher Missachtung, dass sie mein Selbstwertgefühl langsam zerstörte. Es war diese fatale Mischung aus verbaler Unterdrückung und ‚klassischen‘ Ohrfeigen, die mir zeigte, dass ich als Kind die Schwächere war.“
Erstmals Details aus viereinhalb Jahren Martyrium
Durch die Veröffentlichung des 284 Seiten starken Buches werden nun erstmals die Details ihres Martyriums bekannt. Kampusch: „Habe ich geschrien? Ich glaube nicht. Und doch war alles in mir ein einziger Schrei. Er drängte nach oben und blieb weit unten in meiner Kehle stecken: ein stummer Schrei, als wäre einer dieser Alpträume wahr geworden, in denen man rennen will, aber die Beine bewegen sich wie in Treibsand. Habe ich mich gewehrt? Habe ich versucht, seine perfekte Inszenierung zu stören? Ich muss mich gewehrt haben, denn am nächsten Tag hatte ich ein blaues Auge. An den Schmerz durch den Schlag kann ich mich allerdings nicht mehr erinnern, nur an das Gefühl lähmender Ohnmacht“, so eine Textpassage aus der Autobiografie in der „Kronen Zeitung“.

APA/Roland Schlager
Das Verlies befand sich unter Priklopils Haus in Niederösterreich.
„Fühlte mich lebendig konserviert“
Im „Kurier“-Interview resümierte Kampusch ihre niedergeschriebenen Erlebnisse. Den Satz „Ich fühlte mich lebendig konserviert, wie in einem unterirdischen Tresor“ analysierte das Entführungsopfer folgendermaßen: „Man wird so wertlos, man merkt, dass man eigentlich nicht wirklich wichtig ist für die Welt. Oder für den Fortbestand der Welt. Gerade als Kind ist man sich selbst ja sehr wichtig. Und dann beginnt man erst, so ein Gefühl für ein großes Ganzes zu entwickeln. Und irgendwann kommt dann so eine Resignation, dass man eh nichts dagegen machen kann, wenn man dort erstickt oder verhungert.“ Nur die Beschreibung sexueller Übergriffe ließ die 22-Jährige in ihrem Buch aus. „Es ist der letzte Rest an Privatsphäre, den ich mir noch bewahren möchte, nachdem mein Leben in Gefangenschaft in unzähligen Berichten, Verhören, Fotos zerpflückt wurde“, schrieb sie in ihrem Buch.
Strengste Sicherheitsvorkehrungen
„3096 Tage“ erscheint laut Medienberichten in elf Ländern - Österreich, Deutschland, in der Schweiz, Großbritannien, Irland, Frankreich, in den Niederlanden, Belgien, Kanada, Neuseeland und Australien. Am kommenden Mittwoch wird „3096 Tage“ offiziell in den allgemeinen Handel kommen. Einen Tag später wird die 22-Jährige unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen in der Filiale der Buchhandlung Thalia in Wien-Landstraße aus ihrem Buch lesen. Um Kampusch abzuschirmen, engagierte der Verlag eine eigene Security-Truppe, Foto-, Film- und Tonaufnahmen während der Lesung sind verboten.
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