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Schleusensystem braucht noch Jahre

Immer wieder kommt die Warnung: Venedig droht wegen des Klimawandels der Untergang. Zuletzt wurde diese These im Vorjahr von einer Studie der Forscherin Laura Carbognin untermauert. Das als geniales Mittel gegen den steigenden Meeresspiegel gepriesene Schleusensystem „MOSE“, an dem seit einigen Jahren gearbeitet wird, dürfte nicht genügen, um die Stadt zu retten, meinte Carbognin.

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Die 116 Inseln der Lagune versinken jährlich um mindestens drei Millimeter. Der Anstieg des Wasserspiegels könnte bis 2100 zu Überschwemmungen führen. Bis Ende dieses Jahrhunderts könnte der Wasserpegel in Venedig um 23 bis 53 Zentimeter steigen, so die Forscherin am Institut für Meereswissenschaften des italienischen Forschungsinstituts CNR.

78 riesige mobile Deiche

Das „MOSE“-Projekt mit 78 riesigen mobilen Deichmodulen, die den Eingang der Lagune von Venedig bei drohendem Hochwasser versperren sollen, ist umstritten. Umweltaktivisten behaupten, es sei für das Ökosystem äußerst bedrohlich. Laut den Umweltschützern wird es aufgrund der weltweiten Klimaveränderung künftig in Venedig weit häufiger Hochwasser geben, als es die Ingenieure des „MOSE“-Projekts einkalkulieren. In Hochwassermonaten wäre die Stadt somit fast ständig vom Frischwasser abgeschnitten und könnte sich schnell in eine Kloake verwandeln.

Die Idee zu dem mobilen Deichsystem entstand bereits in den 60er Jahren, nachdem 1966 eine Flut katastrophale Schäden in der Stadt verursacht hatte. Nach weiteren schweren Überschwemmungen erklärte die Regierung in Rom die Rettung Venedigs zu einer Angelegenheit von nationalem Interesse.

Teures Projekt

Bis zur geplanten Fertigstellung des Damms in einigen Jahren werden die Baukosten mit sechs Milliarden Euro veranschlagt. Die Instandhaltungskosten sind mit jährlichen acht Millionen Euro kalkuliert. Den Planern zufolge wird „MOSE“ der Stadt und ihren einzigartigen Kunstschätzen hundert Jahre lang Schutz bieten. Bei normalem Wasserpegel liegen die Module auf dem Meeresgrund. Sobald das Wasser bis auf 110 Zentimeter über das normale Niveau steigt, wird Luft in die Tanks gepresst, sodass sich diese aufrichten und den Adriawellen den Weg in die Lagune versperren. Jedes der 78 Module, die auf vier Abschnitte verteilt sind, ist 20 Meter hoch, bis zu fünf Meter breit und zwischen 18 und 28 Meter lang.

Sturm gegen Plastikpfähle

Venedig besteht aus 116 Inseln und 177 Kanälen. Die Fahrrinnen und Vaporetto-Anlegestellen in der Lagune markieren rund 90.000 Begrenzungspfähle aus Holz. Sie sind oberhalb und unterhalb der Wasseroberfläche Wind und Wetter, Ebbe und Flut, Schiffswellen, dem Salzgehalt des Meeres, Möwen, Muscheln und Algen ausgesetzt. Die Stadt sucht daher nach einem umweltfreundlichen Ersatzstoff, der zudem noch billiger und haltbarer als Holz sein soll. Beim Bau eines neuen Docks wurde im Vorjahr beschlossen, versuchsweise 500 Pfähle aus recycelten Plastikabfällen in den Grund rammen zu lassen. Auch hier war der Aufschrei groß.

Schon sehen einige Traditionalisten das Gesamtbild Venedigs in Gefahr, wenn ihnen Kunststoff- statt Holzpfählen zugemutet werden sollen. Die Reaktionen reichen von „unreines Material“ über „Täuschung“ bis hin zu „Verschandelung“.

Wasseramt verwundert

Der Präsidenten des Wasseramts in Venedig, Patrizio Cuccioletta, zeigt sich über die Entscheidung der Stadtgemeinde verwundert, würde sein Amt ja zurzeit noch sechs andere Materialien testen. „Wir streiten schon genug über das Schleusenprojekt ‚MOSE‘ und den Schlamm, sollen wir jetzt auch noch über die Pfähle streiten?“, fragt Cuccioletta resigniert.

Die Stadtväter hatten mit den horrenden Wartungskosten der im 15. Jahrhundert aus Akazienholz gefertigten Holzpfähle argumentiert. Das Unternehmen, das den Zuschlag bekam, betont neben der Widerstandsfähigkeit des Werkstoffs vor allem den Recyclingaspekt. Mit seinem Kunststoffprodukt spiele es auch umweltpolitisch eine Vorreiterrolle: Mit den neuen Pfählen würden nicht nur hunderte Bäume gerettet, sondern auch die Frage der Müllentsorgung teilweise gelöst.

Eine Frage der Romantik

Bei der Frage schwingt auch Romantik mit. Verrottete Holzpfähle versus glatte Plastikpfähle - was würde das für ein Bild auf der Lagune abgeben? Aber die weltberühmte Stadt auf dem Wasser wird weiter jährlich rund 20 Millionen Touristen anziehen, die neuen Pfähle werden ihnen vermutlich am wenigsten auffallen.

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