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„Unverzüglich“ Gespräch gefordert

Thilo Sarrazin, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, darf weiter seinen Job ausüben. Die Bundesbank verzichtet trotz seiner umstrittenen provokanten Äußerungen zur Integrationsfähigkeit von Muslimen und den Genen von Juden auf einen Entlassungsantrag. Nach einer Sitzung betonte der Vorstand aber, dass man sich „entschieden von den diskriminierenden Äußerungen“ distanziere.

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Die Wortwahl ist deutlich, vor der letzten Konsequenz scheut die deutsche Notenbank aber noch zurück. Die Bundesbank werde nun „unverzüglich“ ein Gespräch mit Sarrazin führen, ihn anhören und „zeitnah“ über weitere Schritte entscheiden. In seinem am Montag präsentierten Buch „Deutschland schafft sich ab“ warnte der Notenbanker vor “Überfremdung“. Insbesondere wolle er nicht, dass „das Land meiner Enkel und Urenkel zu großen Teilen muslimisch ist“. In Interviews hatte er die Bevölkerung auch noch genetisch unterteilt: „Alle Juden teilen ein bestimmtes Gen.“

Besetzung des Vorstands

Für die Besetzung des Vorstandes der Deutschen Bundesbank sind die deutsche Regierung und der Bundesrat zuständig. Sie schlagen je drei Mitglieder vor. Die Vorstandsmitglieder werden für mindestens fünf, meist jedoch acht Jahre ernannt. Ernannt werden die Vorstandsmitglieder vom Bundespräsidenten. Er alleine kann sie auch entlassen. Voraussetzung ist ein Antrag des Bundesbank-Vorstandes.

Der Druck auf die deutsche Notenbank und deren Chef, Axel Weber, zu handeln, war groß. Denn nun forderte auch die Regierung, von der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) abwärts, Konsequenzen für das 65-jährige SPD-Mitglied, das immer wieder mit provokanten Äußerungen verärgert hatte. Für den Zentralrat der Juden habe Sarrazin „endgültig eine rote Linie“ überschritten. Der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit bezeichnete den Bundesbank-Vorstand aufgrund seiner Thesen zum Islam und zu Ausländern als „paranoid“: „Dieser Mann ist einfach nur dumm und ein Irrer.“

Wulff hält sich zurück

Bundespräsident Christian Wulff kann Sarrazin nur auf Antrag des Notenbankvorstands absetzen. Wulff hält sich allerdings offiziell noch zurück. Sarrazin hatte sich zuvor gelassen gezeigt, da er überzeugt war, keine „dienstlichen Obliegenheiten“ verletzt zu haben. Diese Sorglosigkeit war offenbar berechtigt. In der über 50-jährigen Geschichte der Notenbank wurde noch nie ein Vorstand wegen einer „grundsätzlichen und weitreichenden Verfehlung“ abberufen.

„Irritationen“ bedauert

Sarrazin verteidigte zunächst seine Thesen zu Einwanderungs- und Integrationsfragen. „Ich lade alle ein, Unstimmigkeiten oder blinde Stellen in meiner Analyse zu finden, sei es in empirischer, sei es in logischer Sicht. Das wird, so glaube ich, nicht leicht möglich sein“, sagte er bei seiner Buchpräsentation.

Via Aussendung ruderte er etwas zurück. Er bedauere „Irritationen und Missverständnisse“ in Zusammenhang mit seinem Buch. „Als ich sagte, dass ‚alle Juden ein bestimmtes Gen teilen‘, habe ich mich nicht hinreichend präzise ausgedrückt.“ Er habe sich verkürzt auf neuere Forschungen aus den USA bezogen: „Ich bin kein Genetiker. Aber ich habe zur Kenntnis genommen: Aktuelle Studien legen nahe, dass es in höherem Maße gemeinsame genetische Wurzeln heute lebender Juden gibt, als man bisher für möglich hielt.“

SPD will ihn ausschließen

Im Gegensatz zu Sarrazins Arbeitgeber Bundesbank entschied die SPD am Montag, ein Parteiausschlussverfahren in Gang zu setzen. Der letzte Antrag nach diffamierenden Aussagen über türkische und arabische Migranten scheiterte im März dieses Jahres. Die Landesschiedskommission der SPD in Berlin hatte entschieden, dass die Partei „solche provokanten Äußerungen aushalten“ müsse. Allerdings musste er bereits im Herbst vergangenen Jahres in der Bundesbank bereits den wichtigen Zuständigkeitsbereich Bargeld abgeben. Nun will der SPD-Bundesvorstand ein neues Verfahren einleiten. SPD-Chef Sigmar Gabriel begründete das Ausschlussverfahren mit Äußerungen, die „nahe an der Rassenhygiene“ lägen.

Ein Ausschluss aus der SPD kommt für Sarrazin nicht infrage. „Ich bin in einer Volkspartei und werde in einer Volkspartei bleiben, weil ich meine, dass diese Themen in eine Volkspartei gehören.“ Gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ („FAZ“) betonte er, er werde sein Parteibuch „mit ins Grab nehmen“. Merkels Kritik ließ Sarrazin nicht gelten. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Frau Merkel das Zeitbudget hat, dass sie schon meine 464 Seiten gelesen hat. Und schon daraus verbietet sich jeder Kommentar einzelner Wertungen“, sagte er noch Sonntagabend.

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