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Die wichtigsten Behauptungen

Das Vorstandsmitglied der Bundesbank, Thilo Sarrazin (SPD), hat mit zahlreichen Thesen in seinem Buch „Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen“ heftigen Widerspruch und scharfe Kritik ausgelöst.

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Seine Kritiker werfen ihm Rassismus und die Nähe zu rechtsextremen Positionen vor. Nachfolgend eine Gegenüberstellung der wichtigsten Behauptungen des früheren Berliner Finanzsenators und der Fakten.

These: Deutschland droht „Überfremdung“

Etwa sechs Millionen Menschen türkischer, arabischer, bosnischer und afrikanischer Herkunft leben in Deutschland. Bleibe die Geburtenrate dieser Gruppe von Einwanderern (Sarrazin nennt sie „muslimische Migranten“) dauerhaft höher als die der deutschstämmigen Bevölkerung, würden Staat und Gesellschaft im Lauf weniger Generationen von den Migranten übernommen.

Fakten zur Geburtenrate

Rein statistisch und auf einen sehr langen Zeitraum berechnet, ist das richtig, obwohl der Anteil der genannten Gruppe nur 7,5 Prozent beträgt. Allerdings sind Modellrechnungen wie die von Sarrazin über einen Zeitraum von drei Generationen bzw. 90 Jahren sehr spekulativ, was er selbst auch schreibt. Wenn Einwandererfamilien gut integriert sind und ein bestimmtes Einkommen erreicht haben, passen sich auch ihre Geburtenraten dem niedrigen Stand deutschstämmiger Mütter an. Auch das räumt Sarrazin in einem Interview der „Zeit“ ein, verweist aber gleichzeitig auf die Zuwanderung bildungsferner Ehepartner.

Für Teile von Großstädten wie Berlin ist Sarrazins These allerdings schon Realität. In Berlin hat jeder Vierte der 3,4 Millionen Menschen ausländische Wurzeln (Stand 30. Juni: 24,97 Prozent oder 859 788 Menschen). Im Bezirk Mitte, der mit seinen 323.000 Einwohnern in der Rangfolge deutscher Städte hinter Bielefeld auf Platz 19 liegt, haben 44,5 Prozent (Stand Ende 2007) der Bevölkerung einen Migrationsstatus.

Bei Kindern und Jugendlichen sind es in in den drei Bezirken Mitte, Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg, die zusammen fast so viele Einwohner wie Köln haben, mehr als 50 Prozent aus Einwandererfamilien. Mitte allein erreicht bei den 6- bis 15-Jährigen eine Migrantenquote von 72 Prozent.

Völlig anders ist die Situation in den ostdeutschen Bundesländern ohne Berlin. 2008 lebten dort laut Statistischem Bundesamt 13,8 Millionen Menschen. Von ihnen stammten 616.000 aus Einwandererfamilien - gerade einmal 4,5 Prozent.

These: Islam verhindert Integration

Muslimische Migranten, also Menschen aus der Türkei, Ex-Jugoslawien und den arabischen Ländern, bildeten den Kern des Integrationsproblems. Es gebe keinen erkennbaren Grund, warum sie es schwerer haben sollten als Einwanderer aus Asien oder Spätaussiedler, die sich schnell integrierten. Schuld seien islamisch geprägte kulturelle Einstellungen, die eine erfolgreiche Integration verhinderten.

Fakten zur Integration

Weitgehend unstrittig ist, dass Sprachkenntnisse, Schulabschlüsse und der Anteil auf dem Arbeitsmarkt bei diesen Gruppen unterdurchschnittlich sind. Als wichtigsten Grund dafür nennt die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor in der „Süddeutschen Zeitung“ (Samstag-Ausgabe) die besonders hohe Zahl türkisch- und arabischstämmiger Einwanderer.

Sie ermögliche es, Parallelgesellschaften zu bilden, in denen sich die Menschen einrichten, ohne sich zu integrieren. Wohnen etwa Deutsch-Türken als kleine Minderheit in Stadtteilen, integrieren sie sich schnell.

These: Herkunft und Gene

Menschen verschiedener Herkunft hätten unterschiedliche Gene. „Juden teilen ein bestimmtes Gen, Basken haben bestimmte Gene, die sie von anderen unterscheiden“, sagt Sarrazin in einem Interview.

Kein Zusammenhang mit Intelligenz

Genetische Untersuchungen erlauben statistische Verwandtschaftsanalysen auch zwischen Bevölkerungsgruppen. Die genetischen Unterschiede zwischen Bevölkerungsgruppen sind allerdings in der Regel nur klein, während die Variation zwischen zwei Menschen derselben Gruppe viel größer sein kann. So kann sich etwa ein Brite genetisch stärker von seinem Nachbarn unterscheiden als von einem Chinesen. Juden gelten nicht als gemeinsames Volk, sondern als Religionsgemeinschaft, deren Mitglieder zahlreichen Nationen angehören.

Mit Intelligenz und Lernfähigkeit oder Charaktereigenschaften wie Moral und sozialem Verhalten haben genetische Unterschiede nichts zu tun.

Von Andreas Rabenstein, dpa

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