„Grenze überschritten“
In Deutschland hat die seit Tagen andauernde Debatte rund um Thilo Sarrazin, seines Zeichens Vorstandsmitglied der deutschen Bundesbank, einen neuen Höhepunkt erreicht. Sarrazin hatte wegen seiner teils rassistischen Aussagen über Muslime und Juden heftige Reaktionen ausgelöst.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Statt einer Klarstellung oder Entschuldigung setzte Sarrazin am Wochenende jedoch nochmals nach. So sagte Sarrazin: „Alle Juden teilen ein bestimmtes Gen.“ Doch für den Notenbanker Sarrazin könnte es langsam eng werden. Deutschlands Außenminister Guido Westerwelle (FDP) warf ihm in „Bild am Sonntag“ vor, „Rassismus und Antisemitismus Vorschub“ zu leisten. Solche Wortmeldungen hätten „in der politischen Diskussion nichts zu suchen“.
„Jede Provokation hat Grenzen“
Ganz offen zog Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) die Eignung des ehemaligen Berliner Finanzsenators für sein Amt in der Spitze der Bundesbank in Zweifel. „Jede Provokation hat ihre Grenzen. Diese Grenze hat der Bundesbank-Vorstand Sarrazin mit dieser ebenso missverständlichen wie unpassenden Äußerung eindeutig überschritten.“
Promotion in eigener Sache?
Sarrazin hatte sich bereits in seiner Zeit als Berliner Finanzsenator den Ruf eines Provokateurs „erarbeitet“. Zunächst forderte er vor allem mit Aussagen über Hartz-IV-Empfänger zum Widerspruch heraus, im Vorjahr lösten dann seine Thesen zu Immigration und Integration heftige Debatten und Rücktrittsaufforderungen aus.
Am Montag erscheint nun sein Buch „Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen“. Darin vertritt er unter anderem die These, dass muslimische Einwandererfamilien überproportional von Sozialleistungen profitierten und keinen Beitrag zum Wohlstand leisteten.
Nach Meinung Sarrazins lockt Deutschland mit den seiner Ansicht nach großzügigen Sozialleistungen geradezu Migranten an, die nicht leistungswillig seien. Sarrazin ging bisher kaum auf die Argumente seiner Gegner ein, sondern setzte stattdessen auf Provokation - wohl auch zum Zwecke der Promotion seines Buches.
„Lange Tradition von Inzucht“
Der 65-jährige Notenbanker geißelt darin die Einwanderungspolitik und warnt vor „Überfremdung“. „Ich möchte nicht, dass das Land meiner Enkel und Urenkel zu großen Teilen muslimisch ist“, heißt es darin. „Keine Gruppe betont in der Öffentlichkeit so sehr ihre Andersartigkeit, insbesondere durch die Kleidung der Frauen.“
Muslimische Zuwanderer würden mehr als andere Gruppen in Kriminalität abgleiten und die Hilfen des Sozialstaats beanspruchen. Zudem schreibt Sarrazin, „eine lange Tradition von Inzucht“ führe dazu, dass der Anteil der angeborenen Behinderungen unter türkischen und kurdischen Migranten weit überdurchschnittlich sei.
Der „Welt am Sonntag“ sagte Sarrazin, es gebe eine genetische Identität von Bevölkerungen: „Alle Juden teilen ein bestimmtes Gen, Basken haben bestimmte Gene, die sie von anderen unterscheiden.“ Während bis vor wenigen Jahrzehnten die Zuwanderung den „Genpool“ der europäischen Bevölkerung kaum verändert habe, sei das nun wegen der Menge der Zuwanderer anders. Seit der Völkerwanderung in der Spätantike habe es keine solche Verschiebungen mehr gegeben.
„Stets nur die halbe Wahrheit“
Kenan Kolat, Chef der türkischen Gemeinde in Deutschland, sagte, er erwarte von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), ein Verfahren zur Absetzung Sarrazins als Bundesbank-Vorstand einzuleiten. Mit seinem Buch habe Sarrazin alle Grenzen überschritten. „Das ist die Krönung eines neuen intellektuellen Rassismus.“ Merkel hatte sich zuletzt von den Äußerungen Sarrazins deutlich distanziert.
Die erste türkischstämmige und muslimische Ministerin in Deutschland, Niedersachsens Sozialministerin Aygül Özkan (CDU), warf Sarrazin vor, Migranten mit seinen Thesen zu verletzen und pauschal zu diskreditieren. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), sagte der Zeitung, Sarrazin nenne „stets nur die halbe Wahrheit: Es ist unbestritten, dass es gerade bei der Bildung vieler Migranten großen Nachholbedarf gibt! Um das festzustellen, bedarf es nicht der Aussagen Sarrazins.“
„Stützt sich auf Nationalsozialisten“
Der Zentralrat der Juden in Deutschland warf dem Notenbanker nach seinen Äußerungen über Juden Rassismus und das Schüren von Hass vor. „Sarrazin hat endgültig eine rote Linie“ überschritten, sagte der Vizepräsident des Zentralrates, Dieter Graumann, am Sonntag der Nachrichtenagentur dpa. Der SPD-Politiker stütze sich mit seinen Behauptungen auf die Rassentheorien der Nationalsozialisten. Solche Äußerungen von einem Vorstandsmitglied der Bundesbank seien unerträglich, sagte Graumann. „Man darf zu solchen Thesen nicht schweigen.“
Gauweiler verteidigt Sarrazin
Der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler hingegen verteidigte Sarrazin. Dieser sei „nicht irgendein hergelaufener Polemiker, sondern hat in wichtigen Staatsämtern Herausragendes geleistet“, sagte er.
Links: