Litt an Lungenkrebs
Der Theater- und Filmregisseur Christoph Schlingensief ist tot. Er starb im Alter von 49 Jahren am Samstag in Berlin, wie seine Ehefrau Aino der Nachrichtenagentur dpa mitteilte.
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Schlingensief, der zu den einflussreichsten Regisseuren der Gegenwart im deutschsprachigen Raum zählt, war Anfang 2008 an Lungenkrebs erkrankt. Nach einer Operation ging es ihm zunächst wieder besser.

APA/EPA/DPA/Julian Stratenschulte
Schlingensief im März 2010 mit seiner Frau in Düsseldorf
2009 gehörte der Regisseur auch zur Jury der Internationalen Filmfestspiele in Berlin. Im Mai 2010 inszenierte er das Opernprojekt „Via Intolleranza II“ nach Luigi Nono in Wien bei bei den Festwochen und an anderen Orten. Im kommenden Oktober stand eine Inszenierung zur Wiedereröffnung des Berliner Schillertheaters als Ausweichspielstätte von Daniel Barenboims Staatsoper auf seinem Terminkalender.
Hausregisseur an Castorfs Volksbühne
In den 90er Jahren gehörte Schlingensief zu Frank Castorfs Hausregisseuren an der Berliner Volksbühne. Bekannt wurde Schlingensief vor allem mit seinen frühen Filmen „Das deutsche Kettensägenmassaker“ (1990), „Terror 2000 - Intensivstation Deutschland“ (1992) und der TV-Talkshow „Talk 2000“ sowie mit seinen Theaterinszenierungen, Kunstperformances und Installationen wie „100 Jahre CDU“, „Rocky Dutschke, 68“, „Passion Impossible - 7 Tage Notruf für Deutschland“ (in Hamburg), und „Hamlet“ in Zürich.
Von 2004 bis 2007 gab er sein spektakuläres Debüt als Opernregisseur bei den Bayreuther Festspielen mit Richard Wagners „Parsifal“.
Container mit Asylwerbern
In Österreich sorgte er nach der umstrittenen schwarz-blauen Regierungsbildung für Aufsehen, als er im Mai 2000 in Anlehnung an die damals beliebte Fernsehsendung „Big Brother“ einen Container mit Asylbewerbern vor der Wiener Staatsoper aufstellen ließ. Die Bewohner wurden gefilmt, die Aufnahmen ins Internet live übertragen. Jeden Tag mussten dann zwei der „Asylwerber“ nach einer Internet- und Telefonabstimmung ausscheiden und wurden „abgeschoben“.
Zwei Jahre zuvor war Schlingensief mit seiner Partei „Chance 2000“ zur Bundestagswahl angetreten und lud seine Anhänger zum „Anti-Kanzler-Baden“ am Wolfgangsee, wo der damalige deutsche Kanzler Helmut Kohl gerne urlaubte.
Zahlreiche Ausstellungen
Schlingensief war auch immer wieder als bildender Künstler in österreichischen Galerien und Ausstellungshäusern, so etwa 2006 mit der begehbaren Installation „Chickenballs. Der Hodenpark“ samt Mozart-Devotionalien und sexistischer Aktionskunst in Salzburg oder im Jahr 2008, als er im Rahmen des steirischen herbst in der Neuen Galerie in Graz eine Ausstellung zeigte („The African Twintowers“ ) und in der Wiener Galerie Charim eine Bestandsaufnahme seiner bildnerischen Arbeit aus drei Jahrzehnten unternahm.
Jelinek-Inszenierung und „Mea culpa“
Vor allem aber zog der deutsche Multi-Künstler ins Burgtheater ein. Er inszenierte im Dezember 2003 die Uraufführung von Elfriede Jelineks „Bambiland“ - ein denkwürdiger Abend, bei dem vom Text allerdings kaum etwas übrigblieb. Ganz ohne fremde Textvorlage kam im Jänner 2006 „Area 7“ aus, bei dem Schlingensief das ganze Burgtheater in eine abenteuerliche Mischung aus Jahrmarkt, Müllhalde und Live-Show verwandelte, bei der Tausend schwer durchschaubare Dinge passierten.
Im März 2009 beschäftigte er sich bei „Mea culpa“, einer „ReadyMadeOper“, mit großem Ensemble und ebensolchem Bühnenaufwand mit seiner Krebserkrankung und dem Tod. So persönlich und unmittelbar die Aufführung wirkte, war sie doch nie larmoyant, sondern meist von spielerischer Selbstironie geprägt.
Operndorf als Lieblingsprojekt
Zuletzt beschäftigte sich der Regisseur vor allem mit dem Projekt der Errichtung eines „Operndorfes“ im afrikanischen Burkina Faso. Genau am Samstag hätte im Rahmen der Ruhrtriennale die Premiere von Schlingensiefs Stück „S.M.A.S.H. - In Hilfe ersticken“ stattfinden sollen.
Memoiren waren angekündigt
Noch heuer hätten zum 50. Geburtstag des Künstlers seine Memoiren erscheinen sollen. Im Juli hatte der Verlag Kiepenheuer & Witsch das ursprüngliche Erscheinungsdatum Ende September jedoch bereits verschoben. Der Verlag betonte damals jedoch, der Band solle noch heuer erscheinen. Unklar ist, ob die Memoiren nun postum erscheinen.
Der an Lungenkrebs erkrankte Regisseur hatte bei Kiepenheuer & Witsch im Frühjahr vergangenen Jahres bereits sein „Tagebuch einer Krebserkrankung“ veröffentlicht, das große Beachtung gefunden hatte. Zuletzt hatte Schlingensiefs überraschende Berufung zur künstlerischen Gestaltung des deutschen Pavillons bei der Biennale in Venedig 2011 Aufsehen erregt.
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