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Gefundenes Fressen für Boulevardmedien

Der „Fall Nadja Benaissa“ hat für viele Diskussionen gesorgt - vor allem wegen des wenig diskreten Umgangs von Boulevardmedien mit dem Privatleben der HIV-infizierten Sängerin, die sich vor Gericht wegen ungeschützten Geschlechtsverkehrs verantworten muss. Im Folgenden eine Chronologie:

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11.4.2009: Benaissa wird vor einem Soloauftritt am Ostersamstag im Frankfurter Club Nachtleben wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung festgenommen. Sie kommt in Untersuchungshaft.

14.4.2009: Die „Bild“-Zeitung berichtet zuerst von Benaissas Festnahme. Am selben Tag erklärt die Staatsanwaltschaft Darmstadt, dass die HIV-infizierte Benaissa mit mehreren Männern ungeschützten Sex gehabt haben soll, ohne diese auf ihre Infektion hinzuweisen. Einen der Männer soll die Sängerin angesteckt haben.

Die Mitteilung der Staatsanwaltschaft ist ein „HIV-Outing“. Staatsanwalt Ger Neuber verteidigt die Festnahme: „Wir haben ihre Wohnadresse observiert und festgestellt, dass sie nicht immer anwesend war. Also mussten wir einen Termin wählen, zu dem die Sängerin mit Sicherheit hingeht.“

15.4.2009: Benaissas Anwalt erwirkt beim Berliner Landgericht eine einstweilige Verfügung gegen die Berichterstattung von „Bild“ über das Ermittlungsverfahren. Der Axel-Springer-Verlag legt Widerspruch ein. Es geht um eine Abwägung zwischen dem Schutz der Privatsphäre der Künstlerin und dem öffentlichen Informationsinteresse.

21.4.2009: Nach zehn Tagen wird Benaissa gegen Auflagen aus der U-Haft entlassen. Dort saß sie, weil nach Auffassung eines Ermittlungsrichters Wiederholungsgefahr bestand.

29.4.2009: Hessens Justizminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) erklärt im Landtag, dass an der Informationspolitik der Staatsanwaltschaft im „Fall Benaissa“ nichts zu beanstanden sei. Beim Abwägen zwischen dem Persönlichkeitsschutz Benaissas und dem Recht der Medien auf Information überwiege in diesem Fall der Anspruch der Medien.

27.5.2009: Die Popsängerin verzichtet auf ihre ursprünglichen Anträge gegen den Verlag Axel Springer („Bild“). Deshalb kommt es nicht zu einer Verhandlung vor dem Berliner Landgericht.

1.7.2009: In der RTL-Sendung „stern TV“ spricht Benaissa erstmals öffentlich über ihr Leben mit HIV. Das Aids-Virus sei dank ihrer Medikamente nicht ausgebrochen. Über das „HIV-Outing“ erklärt sie: „Ich habe jetzt diesen Stempel.“ Sie schildert, dass ihre neun Jahre alte Tochter aus der Zeitung von der Infektion der Mutter erfuhr. Zu dem Verfahren möchte sie „in den Medien“ nichts sagen.

15.7.2009: Gemeinsam mit ihren drei Bandkolleginnen stellt sie in Berlin das neue No-Angels-Album „Welcome To The Dance“ vor, das wegen des Wirbels um Benaissa mit Verspätung erst im September auf den Markt kommt. Die drei anderen Frauen halten demonstrativ zu ihr.

7.11.2009: Benaissa rührt mit einem Bekenntnis die Gäste einer Aids-Gala in Berlin: „Ich heiße Nadja Benaissa, bin 27 Jahre alt, Mutter einer Tochter und HIV-positiv.“

12.2.2010: Die Staatsanwaltschaft Darmstadt teilt mit, dass vor dem dortigen Jugendschöffengericht gegen Benaissa Anklage wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung und wegen des Versuchs der gefährlichen Körperverletzung in vier Fällen erhoben wurde. Die Verhandlung soll vor dem Jugendschöffengericht stattfinden, weil Benaissa zum ersten Tatvorwurf im Jahr 2000 noch jugendlich war.

17.5.2010: Es wird bekannt, dass Benaissa ihre Teilnahme an einer Clubtournee der No Angels abgesagt hat. Die offizielle Begründung ist eine nicht näher definierte Krankheit der Künstlerin.

16.8.2010: Der Prozess gegen die Sängerin beginnt im Amtsgericht Darmstadt. Benaissa gesteht vor Gericht, trotz einer ihr bekannten HIV-Infektion ungeschützten Sex gehabt zu haben.

18.8.2010: Am zweiten Prozesstag sagt ein weiterer früherer Liebhaber der 28-Jährigen aus. Der Richter schließt die Öffentlichkeit bei diesem Termin aus.

19.8.2010: Ein weiterer Liebhaber sagt vor Gericht aus, dass Benaissa nicht immer über ihre HIV-Infektion geschwiegen hatte. 2003 soll sie ihn „sehr offen“ darüber aufgeklärt haben, so der 38-jähriger Musiker, der damals ein Jahr mit der Sängerin zusammen war.

23.8.2010: Das Gericht entscheidet, dass die übrigen Bandmitglieder nicht aussagen müssen.

25.8.2010: Ein Gutachten belegt, dass die Sängerin „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ ihren Sexualpartner mit dem HI-Virus angesteckt hat. Der Staatsanwalt fordert zwei Jahre Haft auf Bewährung wegen gefährlicher und versuchter gefährlicher Körperverletzung.

26.8.2010: Benaissa wird vom Amtsgericht Darmstadt zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Außerdem muss sie 300 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten.

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