Themenüberblick

„Die nötige Wärme“

Mit reichlich Verspätung läuft in Österreich nun ein Film an, der bereits seit einem Jahr von Festival zu Festival zieht und für Furore sorgt: das stille Melodram „Nothing Personal“ der polnischen Regisseurin Urszula Antoniak.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Aber nicht die berührende, langsam und dennoch betörend erzählte Story und die eindrucksvollen Bilder der irischen Naturlandschaft und auch nicht der hervorragende Stephen Rea in der männlichen Hauptrolle sind es, die ein ungewöhnlich großes Publikum in den Autorenfilm locken. Es ist vor allem der junge niederländische Shootingstar Lotte Verbeek, der die Kinogänger staunend zurücklässt.

Beim Filmfest Locarno 2009 erhielt sie den Darstellerpreis für ihre Verkörperung als unnahbare Tramperin in Irland. Bei der Berlinale wurde sie heuer mit neun anderen jungen Schauspielern als „European Shooting Star“ des Jahres 2010 geehrt. Für Regisseurin Antoniak war der Film ihr Kinodebüt, Verbeek hatte zuvor bei zwei Produktionen Erfahrungen gesammelt. Die 28-Jährige absolvierte eine Ausbildung als Tänzerin, wobei sie aber, wie sie in einem Interview mit dem „Münchner Merkur“ sagt, „die Worte zum Erzählen einer Geschichte“ vermisste. Deshalb wechselte sie nach ihrem Diplom zu einer Schauspielschule. Mehrere Engagements für das niederländische Fernsehen folgten, dann die Filme „Die Verbindungen“ (2008) und „Barbosa“ (2009).

Lotte Verbeek mit Regisseurin Urszula Antoniak

APA/EPA/Martial Trezzini

Lotte Verbeek und Regisseurin Urszula Antoniak beim Filmfest von Locarno 2009

„Das war nicht leicht“

„Nothing Personal“ wurde für Verbeek zum Durchbruch. Die irisch-niederländische Koproduktion wurde nicht nur in Berlin und Locarno gefeiert, sondern reüssierte weltweit auf zahlreichen Festivals, etwa in Utrecht, Sevilla und Marrakesch. Aber die redselige, in Interviews gerne lachende Jungschauspielerin musste sich den Erfolg hart verdienen. Um in die Rolle der bärbeißigen Anne zu schlüpfen, musste sie als Vorbereitung drei Wochen lang ohne Telefon und Internet auskommen und sich auch sonst vollkommen zurückziehen. „Das war nicht leicht, weil ich eigentlich ein sehr geselliger Mensch bin“, sagt Verbeek. „Allerdings habe ich festgestellt, dass einem das Alleinsein auch viel Freiheit gibt: Man ist nicht gezwungen, Leute zurückzurufen oder mit ihnen zu reden oder aus Höflichkeit zu lachen. Man hat mehr Raum für sich selbst.“

Darum geht es auch ihrer Filmfigur Anne. Die ist, wie der gesamte Film, vollkommen kompromisslos. Sie streift ihre Vergangenheit ab - zusammen mit dem Ehering - und lässt alles zurück. Anne nimmt nur mit, was sie zum Trampen braucht. Das ausdrucksvolle Gesicht der jungen Holländerin ist schön wie abweisend. Verletzbarkeit lässt sich hinter Feindseligkeit nur schwer verstecken. Anne, die scheinbar Namenlose, zieht sich immer mehr zurück, meidet jeden menschlichen Kontakt, wandert Tag für Tag allein durch den einsamen Nordwesten Irlands. Sie erinnert manchmal an Sandrine Bonnaire als Vagabundin in Agnes Vardas 1985 gedrehtem Film „Vogelfrei“, schreibt etwa Anna Grillet von der deutschen Nachrichtenagentur dpa. Ihr Äußeres verwandelt sich, das Haar verfilzt, die Kleidung verdreckt, ihr scheint alles gleichgültig.

Der Eigenbrötlervertrag

Eines Tages entdeckt sie in der Einöde von Connemara ein abgelegenes Fischerhaus und trifft auf Martin, den Besitzer, einen älteren Intellektuellen (Stephen Rea), der seit dem Tod seiner Frau dort zurückgezogen lebt. Die beiden einigen sich auf ein Abkommen: Arbeit gegen Essen, die einzige Bedingung lautet: „nothing personal“ - keine Fragen, kein Kontakt, eben nichts Persönliches. Die Tramperin verweigert selbst die Preisgabe ihres Namens. Sie nimmt ihre Mahlzeiten draußen vor dem Haus ein, schläft weiterhin im Zelt trotz Kälte und Regen.

Lotte Verbeek mit ihrer Trophäe auf der Berlinale 2010

APA/Marcus Brandt

Lotte Verbeek bei der Berlinale 2010

Martin hält sich an die Vereinbarung, doch Schritt für Schritt ermöglicht er der jungen Rebellin, auf ihn zuzugehen, ohne dass einer von ihnen seine Unabhängigkeit aufgeben muss. Die unwegsame, zerklüftete felsige Steilküste ist mehr als Kulisse. Einsamkeit heißt hier auch Nähe zur Natur, sie ersetzt Dialoge und Handlung, eine geheimnisvolle, unzugängliche Seelenlandschaft, in der sich die widersprüchlichen Emotionen der Akteure reflektieren. „Nothing Personal“ ist keine Liebesgeschichte im herkömmlichen Sinne, aber die Gefühle, von denen der Film erzählt, könnten nicht tiefer sein.

Durch Verbeek kommt die Leichtigkeit

Das mag nach einem sperrigen Autorenfilm klingen - aber in den deutschsprachigen Feuilletons ist von einem leichtfüßigen Film die Rede, und dieser Verdienst wird vor allem Verbeek zugerechnet. Der „Spiegel“ etwa schrieb zum deutschen Filmstart: „Das alles hört sich gefährlich nach schwer verdaulichem, prätentiösem Kunstkino für ein Minimalpublikum an, aber seltsamerweise ist es das nicht. Vielleicht ist das der für die Leinwand geborenen Darstellerin Verbeek zu verdanken, die es allein durch ein paar lakonische Blicke schafft, ihrer spröden Rolle die nötige Wärme zu verleihen.“

In welche Richtung es für Verbeek weitergeht, ist noch unklar. Vom „Münchner Merkur“ gefragt, ob sie nach einem kunstfertigen Film wie „Nothing Personal“ auch bereit wäre, in einem vollkommen niveaulosen Blockbuster mitzuspielen, antwortet sie: „Hmm. Eine teuflische Frage! Also, mein großer Traum ist es, in einem eigenen Haus zu leben - insofern käme ich vielleicht schon in Versuchung ... (lacht).“ Mit diesem Karrierestart hat sie jedenfalls leicht lachen.

Link: