Twitter-Kampagne für Samenbank
Die Samen von mehr als 5.000 seltenen Früchten und Pflanzen werden in der berühmten Saatgutsammlung in der russischen Stadt Pawlowsk katalogisiert und verwahrt. Doch nun droht dem 1926 gegründeten Institut die Schließung. Investoren wollen auf dem über Hunderte Hektar großen Grundstück Wohnhäuser bauen. Nun ruhen alle Hoffnungen auf ein Machtwort von Präsident Dimitri Medwedew.
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Russische Umweltschützer laufen seit Monaten Sturm gegen die Zerstörung einer der wertvollsten Saatgutsammlungen Europas durch ein Bauprojekt. Die Sammlung gehört dem Wawilow-Institut für Pflanzen und hat seinen Sitz außerhalb von St. Petersburg, wo Tausende Sorten von Äpfeln, Kirschen, Erdbeeren, Himbeeren sowie Getreide und Kartoffeln gezogen werden.

Corbis/Steve Raymer
Wohnungen satt Wildpflanzen
Doch das Gelände, das früher der Petersburger Adelsgesellschaft als Sommersitz diente und später verstaatlicht wurde, gehört mittlerweile einer Baugruppe, die auf dem Grundstück Wohnanlagen bauen will. Ein Gerichtsurteil hatte erst vor einer Woche zugunsten der Baugruppe entschieden. Das Institut wurde vorerst versiegelt, und in einem Monat wird über die endgültige Schließung entschieden.
Das Wawilow-Institut wurde 1894 gegründet und verwaltet das Erbgut von 360.000 Pflanzen. Die Samen sind wie in einer Bücherei in Metallboxen verwahrt und katalogisiert. Darunter 10.700 Kartoffelsorten, 7.600 Bohnenarten und 23.000 Varianten von Getreide.
Sollte tatsächlich die Gartenanlage dem Erdboden gleichgemacht werden, wären viele Wildformen unwiederbringlich verloren, warnte der Leiter einer Organisation für Biodiversität, Cary Fowler. Auch ein Umzug des Instituts käme nicht infrage, da die Samen immer auf demselben Boden und unter den gleichen Klimaeinflüssen ausgesät werden müssten, um brauchbares Saatgut zu erhalten.
„Das gesamte 20. Jahrhundert hindurch überzeugte Russland die Agronomen weltweit von der Bedeutung großer Gendatensammlungen für die moderne Landwirtschaft“, sagte Fowler. Und jetzt werde ausgerechnet eines der größten Zentren in Russland zerstört.
Wissenschaftler verhungerten
Die Saatgutsammlung wurde vor 84 Jahren von dem bekannten russischen Botaniker Nikolai Wawilow begründet und wurde während der 900 Tage dauernden Belagerung von St. Petersburg durch die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg weltberühmt. Damals verbarrikadierten sich zwölf Wissenschaftler in dem Gebäude, um die kostbaren Samen zu schützen. Einige von ihnen verhungerten lieber, als dass sie auch nur ein einziges Reiskorn oder einen Erdapfel aus der Sammlung gegessen hätten.
Wichtig für den Arterhalt
Auch wirtschaftlich ist das in Pawlowsk gesammelte Pflanzenerbgut von großer Bedeutung. So kommen 90 Prozent der dort verwahrten Pflanzen in keiner anderen Saatgutbank der Welt vor. Die Samen sind aber wichtig, wenn durch Klimaveränderungen und Schädlingsbefall bestimmte Sorten gefährdet sind.
Meist gibt es aus urheberrechtlichen Gründen nur noch einige wenige Pflanzensorten, die großflächig angebaut werden. In den USA wurde zum Beispiel der gesamte Sojabohnenbestand von einem Fadenwurm bedroht. Dank Kreuzungen mit Saatgut aus dem Wawilow-Institut konnte eine resistente Form gezüchtet werden.
Hoffen auf Medwedew
Nach dem Gerichtsurteil kann nur noch eine direkte Verfügung des russischen Präsidenten Medwedew eine endgültige Schließung verhindern. Eine Bürgerbewegung wandte sich bereits in einem öffentlichen Brief mit der Bitte um Schutz für die Sammlung an ihn. Auch über den Onlinedienst Twitter setzten sich Tausende Unterstützer für den Erhalt ein.
Nach einer Woche kam dann via Twitter die Antwort von Medwedew, wie die britische Zeitung „Guardian“ berichtete: „Habe den Appell der Bürgerbewegung erhalten. Habe die Order gegeben, den Fall zu prüfen.“ Damit hat die Bewegung immerhin mehr erreicht als die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) der UNO, die vor einem Jahr an die russische Regierung appellierte, das Institut von Pawlowsk in das weltweite Netzwerk von Genbanken aufzunehmen.
Hitze als Retter in der Not
Ausgerechnet die Hitzewelle im Juli mit den verheerenden Bränden könnte nun dem Institut in letzter Minute zugutekommen. Durch Dürre und Feuer wurde ein Großteil der Ernte vernichtet. Wenn durch die Klimaerwärmung auch in den nächsten Jahren die Trockenheit zunimmt, werden neue Getreidezüchtungen notwendig - die Samen dafür liegen in Pawlowsk.
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