Erste Ansätze bei alten Griechen
Wissenschaftler haben zum ersten Mal starke Belege gefunden, dass Genie und Wahnsinn tatsächlich zusammenhängen könnten, wie die britische Zeitung „Independent“ berichtete. Spekulationen darüber gibt es bereits seit Jahrtausenden. Man findet sie etwa in den Schriften von Aristoteles und Plato. So war Aristoteles der Ansicht, es gebe „kein großes Genie ohne einen Schuss Verrücktheit“.
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Die wissenschaftlichen Hinweise auf einen Zusammenhang waren allerdings sehr spärlich und spekulativ - bis jetzt, wie der „Independent“ schreibt. Eine Studie mit mehr als 700.000 Erwachsenen zeigt nun, dass bei Personen mit sehr guten schulischen Leistungen die Wahrscheinlichkeit, im Erwachsenenalter an einer bipolaren, also einer manisch-depressiven Störung zu erkranken, viermal höher ist als bei Kindern und Jugendlichen mit durchschnittlichen Noten.
Der Zusammenhang war besonders stark bei Studierenden der Musik und Literatur, zwei Disziplinen, die in früheren Zeiten traditionell mit Genie und Wahnsinn in Verbindung gebracht wurden. Die Studie wurde von Forschern des Instituts für Psychiatrie am King’s College in London und dem Karolinksa Institutet in Stockholm durchgeführt.
Ein Prozent der Bevölkerung betroffen
Von bipolaren Störungen respektive manisch-depressiven Erkrankungen ist rund ein Prozent der Bevölkerung betroffen. Die Krankheit ist durch Stimmungsumschwünge und Wechsel von Hochgefühl und Depression gekennzeichnet. Während der manischen Phasen können Gefühle von überhöhtem Selbstwertgefühl, rasenden Gedanken, Ruhe- und Schlaflosigkeit auftreten.
In den vergangenen Jahren hatten Psychoanalytiker, Psychiater und Psychologen rege diskutiert, dass Genie und Wahnsinn mit grundlegenden degenerativen neurologischen Funktionsstörungen zusammenhängen. Behauptungen eines Zusammenhanges basierten bisher hauptsächlich auf Studien über kreative Persönlichkeiten wie den Maler Vincent van Gogh. Diese Studien waren sehr selektiv in Hinblick auf das verwendete Material und versuchten die Beurteilung des Geisteszustandes erst im Nachhinein.
Emotionale Reaktionen ermöglichen Kreativität
Die nunmehrige Studie, geleitet von James MacCabe, Professor für Psychiatrische Epidemiologie am King’s College London, verglich die Abschlusszeugnisse von schwedischen Schülern im Alter von 15 und 16 Jahren von 1988 bis 1997 mit Krankenhausakten von Personen bis 31 Jahre, die wegen einer bipolaren Störung aufgenommen worden waren. Das vierfach erhöhte Risiko für Schüler mit exzellentem Abschluss blieb auch bestehen, als die Forscher das Einkommen und die Bildung der Eltern einbezogen.
Die Ergebnisse wurden im „British Journal of Psychiatry“ veröffentlicht und deuten darauf hin, dass manische Zustände die intellektuellen Leistungen erhöhen können. Personen, die unter starken Manien leiden, sind oft geistreich, schlagfertig und erfinderisch. Sie scheinen ein etwa größeres Vokabular und Erinnerungsvermögen zu besitzen und neigen auch zu übertriebenen emotionalen Reaktionen, die es ihnen ermöglichen, ihre künstlerische, literarische und musikalische Talente zum Vorschein zu bringen. Im manischen Zustand haben diese Menschen außerordentliche Ausdauer und eine starke Konzentrationsfähigkeit, heißt es in der Studie.
Hochbegabte eher gefährdet
"Wir fanden einen Zusammenhang zwischen den guten Noten und einem erhöhten Risiko für bipolare Störungen, besonders in Geisteswissenschaften und in einem geringeren Ausmaß in Naturwissenschaften. Vor allem Musterschüler in Schwedisch und Musik hatten eine starke Verbindung, so MacCabe. „Obwohl Hochbegabte ein höheres Risiko haben, später in ihrem Leben an einer bipolaren Störung zu erkranken, sollte man nicht vergessen, dass die große Mehrheit bei guter geistiger Gesundheit ist“, so MacCabe im „Independent“.
Der amerikanische Autor Edgar Allen Poe, der offenbar auch an einer manisch-depressiven Erkrankung litt, schrieb einmal: „Die Leute nennen mich verrückt, die Frage ist allerdings noch nicht geklärt, ob es Wahnsinn ist und nicht erhabene Intelligenz.“
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