Nachbarn fürchten um Wasserversorgung
Das Staudammprojekt Ilisu in Südostanatolien ist nicht nur wegen der Umsiedlung Zehntausender Menschen und der bevorstehenden Vernichtung von Kulturerbe umstritten. Nachbarn der Türkei wie der Irak und Syrien fürchten, dass Ankara mit der riesigen Talsperre den Wasserlauf des Tigris willkürlich kontrollieren könnte.
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Zuletzt protestierte Bagdad offiziell gegen das Projekt. Die Türkei habe dem Irak bereits mit dem Bau eines Staudamms am Euphrat geschadet, hieß es in einer Erklärung an die Arabische Liga anlässlich einer Konferenz Anfang Juli in Kairo. Falls die Türkei den Ilisu-Staudamm wie geplant fertigstellen sollte, drohe das Gleiche demnächst am Unterlauf des Tigris.
135 Meter hoher Damm am Tigris
Der Ilisu-Damm (geplante Höhe: 135 Meter) ist Teil des Südostanatolien-Projekts (Güneydogu Anadolu Projesi, GAP) mit einem über 300 Quadratkilometer großen Stausee und einem Wasserkraftwerk mit einer Leistung von 1.200 Megawatt (MW). Die Baukosten betragen über eine Milliarde Euro.
Die irakische Regierung ersuchte die arabischen Staaten darum, auf die Türkei einzuwirken. Sie sollten „möglichst schnell eingreifen, damit der Irak seine Wasserrechte nicht verliert“, hieß es aus Bagdad.
Österreich ausgestiegen
Die Türkei hatte die Bauarbeiten an dem umstrittenen Ilisu-Staudamm im vergangenen Mai wieder aufgenommen. Deutschland, Österreich und die Schweiz hatten im Juli 2009 Kreditbürgschaften für den Bau aufgekündigt, weil Umweltauflagen nicht erfüllt worden waren. Der börsennotierte österreichische Anlagenbauer Andritz wird allerdings für das umstrittene Wasserkraftwerk in der Osttürkei elektromechanische Ausrüstung im Wert von rund 340 Mio. Euro liefern.
Hasankeyf soll verschwinden
Akut durch das Projekt bedroht ist Hasankeyf, eine historische Stadtfestung in der Provinz Batman nahe der Grenze zu Syrien. Die Anfänge der antiken Siedlung gehen auf die ersten Jahrhunderte nach Christus zurück. Die Brücke über den Tigris stammt aus dem zwölften Jahrhundert. Wird der Ilisu-Stausee geflutet, verschwindet Hasankeyf gemeinsam mit Dutzenden, hauptsächlich von Kurden bewohnten Siedlungen, worauf nationale und internationale Kritiker immer wieder hinweisen.
Größtes regionales Entwicklungsprojekt
Die türkische Regierung betont dagegen die Notwendigkeit des GAP als Entwicklungsimpuls für die wirtschaftlich bisher nur schwach erschlossene Region. Das Ilisu-Projekt soll außerdem großflächige Bewässerungsmöglichkeiten für die lokale Landwirtschaft sicherstellen. Das Projekt umfasst insgesamt über 20 Staudämme und bisher 19 Wasserkraftwerke entlang des Euphrat und des Tigris.
Alternativkonzept zu Mammutkraftwerk
Die Ilisu-Talsperre soll nach ihrer geplanten Fertigstellung 2012/2013 den Tigris mit einem über 1,8 Kilometer breiten und 135 Meter hohen Damm aufstauen. Dadurch soll ein Speicher für über zehn Mrd. Kubikmeter Wasser entstehen. Der Stausee soll 135 Kilometer lang sein. Mit einer jährlichen Stromproduktion von rund 3.800 Gigawattstunden (GWh) soll die Anlage über drei Prozent zur gesamten Energieproduktion der Türkei beitragen.
Türkische Wissenschaftler hatten zuletzt ein Konzept für ein Alternativprojekt vorgelegt: Fünf kleinere Dämme und Kraftwerke könnten dieselbe Menge Strom liefern wie Ilisu nach derzeitiger Planung, allerdings würde um fast 30 Prozent weniger Land überflutet. Würde die Ilisu-Talsperre nur 80 statt 135 Meter hoch gebaut, bliebe auch Hasankeyf erhalten.
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