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Kreiskys turbulentes Leben

Bis Ende der 60er Jahre dominierte die ÖVP unter der Alleinregierung von Josef Klaus. Noch 1966 musste die SPÖ ihre größte Wahlniederlage in der Zweiten Republik hinnehmen. Die Wende kam 1970. Bruno Kreisky wagte die Minderheitsregierung - abgesichert durch die Unterstützung der FPÖ unter ihrem damaligen Obmann Friedrich Peter.

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Kreiskys Strategie ging auf. Nur ein Jahr später erreichte die SPÖ unter ihm die absolute Mehrheit. Insgesamt blieb Kreisky 13 Jahre als Kanzler an der Regierungsspitze. Die FPÖ-Unterstützung wurde den Blauen mit einer die Kleinparteien begünstigenden Wahlrechtsreform abgegolten. Viele seiner Reformen - von der Strafrechtsreform, der Fristenregelung bis zum Ausbau von Sozialleistungen wie das Gratisschulbuch bis zu Bildungsreformen - wirken zum Großteil bis heute.

PLO wird salonfähig

Konnte Kreisky mit innenpolitischen Reformen punkten, zeigte er auch international großes Engagement. Er stand in gutem Kontakt zu arabischen Staatschefs wie Libyens Revolutionsführer Muammar Gaddafi, besuchte als erster westlicher Regierungschef die DDR und öffnete der Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) von Jassir Arafat das internationale Parkett. Er forderte Autonomie für die Palästinenser.

Sozialdemokrat und Jude

Der aus einer jüdischen Bürgerfamilie stammende Kreisky war seit seiner Mittelschulzeit eng mit der Sozialdemokratie verbunden. 1938 wurde er von der Gestapo festgenommen. Nach Monaten wurde er enthaftet, und er emigrierte nach Schweden. 1949 kehrte er zurück, zehn Jahre später wurde er Außenminister, 1970 Bundeskanzler.

Kreisky trieb eine Modernisierung Österreichs voran, ohne die soziale Komponente zu vernachlässigen. „Ein paar Milliarden Schulden mehr bereiten mir weniger schlaflose Nächte als ein paar hunderttausend Arbeitslose mehr.“ Dieses Kreisky-Zitat war auch ausschlaggebend, dass lange Zeit die Verschuldungspolitik unter seiner Regierungszeit kritisiert wurde.

Die ÖVP sprach noch in den 90er Jahren vom „Kreisky-Malus“. Für den Politologen Emmerich Talos ist die Verschuldung ein „Märchen, das nicht vergehen will“. Selbstverständlich seien unter Kreisky Schulden gemacht worden. Die Zunahme der Verschuldung sei aber unter der Großen Koalition Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre ungleich höher gewesen.

AKW Zwentendorf

APA/ P.A.Wilhelmer

Das AKW Zwentendorf kam nie zum Einsatz.

Niederlage Zwentendorf

Kreisky, der „Journalistenkanzler“, wusste die Medien und Meinungsforschung für sich zu nutzen. Große Wellen schlug etwa die Fernsehdebatte vor der Wahl 1975 mit ÖVP-Chef Josef Taus und FPÖ-Obmann Friedrich Peter, die Kreisky für sich entscheiden konnte: „Nicht mich schulmeistern, Sie haben so eine gouvernantenhafte Art“, giftete er Taus an. Dieser bezeichnete seinen sozialdemokratischen Gegenspieler dennoch als „einen der erfolgreichsten Parteipolitiker der Zweiten Republik“. Talos bezeichnete den „exzellenten Wirtschaftsmann Taus“ in dieser Debatte als die „Personifizierung eines Minderwertigkeitskomplexes einer Partei, die lange Zeit dominierte und dann ein Jahrzehnt alle Wahlen verloren hatte“.

Allerdings schätzte Kreisky nicht immer die Stimmung in der Bevölkerung richtig ein. Die von ihm empfohlene Volksabstimmung über das AKW Zwentendorf im November 1978 wurde für ihn zur Niederlage. 50,5 Prozent stimmten gegen die Nutzung der Kernenergie. Die Proteste gegen das AKW waren die Geburtsstunde der Grün-Bewegung. Kreisky hatte die Abstimmung mit seiner persönlichen Zukunft verbunden. Er blieb trotz der Ablehnung im Amt.

Hannes Androsch

APA/Herbert Neubauer

Ex-Finanzminster Hannes Androsch

Spannung mit Androsch & Co.

Nicht einfach war auch das Verhältnis Kreiskys zu seinem „Kronprinzen“ Hannes Androsch. Der Historiker Oliver Rathkolb ortet den Riss, als Androsch 1974 für Kreisky das Amt des Bundespräsidenten ins Spiel brachte: „Kreisky sah das als Affront. Der Riss wurde von da an größer. Androsch hatte zu früh die Nachfolgefrage aufgeworfen“, sagte er im ORF.at-Interview. Zum endgültigen Eklat kam es 1981. Androsch schied aus der Regierung, als die SPÖ ein „Zehnpunkteprogramm“ beschloss, das die Unvereinbarkeit einer Steuerkanzlei mit dem Amt eines Finanzministers beinhaltete. Kurz darauf wurde Androsch Generaldirektor der Creditanstalt, die der ÖVP zugeschrieben wurde.

Angespannt war auch Kreiskys Verhältnis zu Simon Wiesenthal. Schon 1970 machte Wiesenthal die NS-Vergangenheit von vier Ministern der Minderheitsregierung Kreisky öffentlich. Rathkolb: „Das war sicher parteipolitisch motiviert. Er hatte das bei ÖVP-Ministern mit NSDAP-Vergangenheit nie getan.“ Wiesenthal war ÖVP-Sympathisant.

Suche nach „Smoking Gun“

Der Streit mit Wiesenthal eskalierte 1975, als seine Nachforschungen zeigten, dass FPÖ-Obmann Peter eine SS-Vergangenheit hatte. Kreisky denunzierte Wiesenthal und warf ihm indirekt Nazi-Kollaboration vor. Ihm waren Informationen zugespielt worden, dass es einen Kronzeugen gebe, der aussagen könne, dass Wiesenthal mit den Nazis kollaboriert habe, erklärt Rathkolb: „Das war eine reine Fabrikation, meiner Meinung nach von osteuropäischen kommunistischen Geheimdiensten.“ Dieses Vorgehen sei gelungen, weil es „Kreisky glauben wollte, und die Informationen nicht kritisch hinterfragt hat. Er suchte eine ‚Smoking Gun‘ gegen Wiesenthal“.

Ein Jahr nach der Minderheitsregierung, 1971, startete seine Serie der Wahlsiege mit der absoluten Mehrheit, die er nach drei Wahlgängen 1983 erstmals wieder verlor. Kreisky zog die Konsequenz und trat zurück. Fred Sinowatz (SPÖ) übernahm - als Kanzler wider Willen - für drei Jahre den Vorsitz einer rot-blauen Koalition.

Simone Leonhartsberger, ORF.at

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