Japan als Negativbeispiel
Nach der Wirtschaftskrise kommt die Erholung nur langsam in Gang, obwohl die Notenbanker die Leitzinsen seit über einem Jahr auf dem Tiefststand halten und so die Finanzmärkte mit billigem Geld überschwemmen. Doch mittlerweile mehren sich die kritischen Stimmen. Die versteckten Kosten der Niedrigzinspolitik können die sichtbaren Vorteile bald übersteigen, warnen Experten.
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Als die Finanzkrise ausgehend vom Immobiliencrash in den USA weltweit ihren Höhepunkt erreichte, waren die Notenbanken gezwungen, rasch zu handeln. Um Banken so schnell wie möglich mit billigem Geld zu versorgen, rasselten die Leitzinsen in den Keller. Und ein Steigen der Zinsen ist weder in den USA noch in Europa so bald in Sicht.
„Das Protokoll deutet daraufhin, dass die Zinsen für lange Zeit niedrig bleiben werden und die Fed (US-Notenbank, Anm.) - wenn nötig - nach weiteren Wegen zur Unterstützung der Konjunktur Ausschau halten wird“, sagte Ökonom Ward McCarthy von Jefferies & Co. bei der Zinssitzung Ende Juni. Und auch für Europa bezeichnete EZB-Präsident Jean-Claude Trichet das niedrige Zinsniveau als „nach wie vor angemessen“.
Versteckte Kosten
Die Vorteile niedriger Zinsen liegen auf der Hand. Banken können sich quasi zum Nulltarif mit neuem Geld eindecken, zudem kurbeln niedrige Zinsen auf Spareinlagen den Konsum an und erhöhen die Investitionsbereitschaft von Unternehmen. Und auch die Gefahr einer Inflation ist angesichts des wachsenden Kapitals eher minimal. Doch viele Ökonomen warnen, dass diese Zinspolitik Kosten verursacht, die auf den ersten Blick nicht erkennbar sind.

APA/EPA/Arne Dedert
Niedriger Leitzins
Erst Anfang Juli bestätigte EZB-Chef Jean-Claude Trichet den Leitzins bei einem Prozent. In den USA liegt er bei 0 bis 0,25 und in Japan bei 0,1 Prozent.
„Wir müssen uns von dem Glauben verabschieden, dass Zentralbanken weiter niedrige Zinsen vergeben können und niemand kommt dadurch zu schaden“, warnte der ehemalige IWF-Chefökonom Raghuram Rajan gegenüber dem Wirtschaftsmagazin „Economist“. Auch die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), das Zentralorgan der Notenbanken, äußerte in ihrem Jahresbericht ähnliche Bedenken.
Weniger Vorteile für Kreditnehmer
Laut BIZ drohen von einer langanhaltenden Niedrigzinspolitik gleich mehrere Gefahren. Unter anderem könnte die Risikobereitschaft auf dem Finanzmarkt wieder steigen. Niedrige Zinsen sind für Sparer ungünstig, was dazu führt, dass Anleger auf der Suche nach höheren Renditen wieder riskantere Investitionen wählen.
Aber nicht nur Sparer leiden unter niedrigen Zinsen, auch private Kreditnehmer haben nicht immer etwas davon. In normalen Zeiten würde ein niedriger Leitzins gleichzeitig auch niedrige Kreditzinsen für Verbraucher und Unternehmen bedeuten. Doch diese Rechnung geht nicht immer auf. Europäische Banken leihen sich zwar billig Geld von der EZB – aber nicht alle geben diese als billige Kredite an ihre Kunden weiter, wie die am 11. Juni europaweit in Kraft getretene Verbraucherrichtlinie für Kredite zeigte.
Japans „Zombie“-Unternehmen
Billiges Geld könne aber auch dazu führen, dass faule Kredite viel zu lange in den Bankensystemen bestehen bleiben, warnt das BIZ weiter und verweist dabei auf das Beispiel Japan. In den 1990er Jahren führten niedrige Zinsen dazu, dass Banken überfällige Kredite immer wieder neu finanzierten, statt sie abzuschreiben. Dadurch wurden viele „Zombie“-Unternehmen künstlich am Leben erhalten - unter anderem auf Kosten stärkerer Mitbewerber und Start-up-Firmen.
Spekulanten gefährden ärmere Länder
Der niedrige Zinssatz, der für reiche Industrienationen ein gutes Instrument gegen die Krise darstellt, muss nicht gleichzeitig günstig für ärmere Länder sein. So locken höhere Wachstumsraten in Schwellenländern Investoren an und die sorgen dort für stark steigende Preise, unter anderem bei Immobilien. Den Notenbanken in diesen Ländern bereitet das einiges an Kopfzerbrechen: Werden die Zinsen erhöht, um die Wirtschaft zu beruhigen, landet trotzdem im Ausland günstig geliehenes Spekulationskapital im Land.
„Blasen ohne Vorteil eines Booms“
All diese Nachteile müssten laut BIZ-Experten berücksichtigt werden, „wenn es darum geht, Zeitpunkt und Tempo der Normalisierung der Leitzinssätze festzulegen“. Werden die Zinsen zu rasch erhöht, könnte das den Aufschwung abwürgen. Zögern sie zu lange, könnte das zu neuen Blasen auf den Finanzmärkten führen, analysierte der „Focus“. „Im letzten Jahrzehnt produzierte die Zinspolitik gleichzeitig hohes Wachstum und Blasen. In diesem Jahrzehnt drohen uns weiterhin Blasen ohne den Vorteil eines Booms“, schrieb Wolfgang Münchau, Direktor des Thinktanks Eurointelligence, in seinem Blog für die „Financial Times Deutschland“ („FTD“).
Für Rudolf Hickel vom Institut für Arbeit und Wirtschaft an der Universität Bremen ist der einzige Ausweg eine strengere Finanzregulierung. „Der Fehler von Alan Greenspan (ehemaliger Fed-Chef, Anm.) war nicht, dass er die Liquidität erhöht hat. Der Fehler war, dass er glaubte, dass die Investoren damit vernünftig umgehen würden“, sagte Hickel zu „Focus“. Und auch Rajan ruft dazu auf, aus dem Beispiel Japans zu lernen: „Zinsen niedrig zu halten, ohne strukturelle Probleme zu lösen, bringt gar nichts.“
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