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Ermittlungen ziehen weite Kreise

Der Skandal um das geheime Politkartell, das angeblich illegal Einfluss auf Politik, Justiz und die Vergabe großer Wirtschaftsprojekte ausüben wollte, zieht in Italien weitere Kreise und setzt Regierungschef Silvio Berlusconi immer stärker unter Druck.

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Die römischen Staatsanwälte, die in der Sache ermitteln, wollen Berlusconis Vertrauten Marcello Dell’Utri nicht nur wegen Bildung eines Geheimbundes, sondern auch wegen Korruption belasten. Damit gerät der Senator, der vor drei Wochen wegen Mafia-Zugehörigkeit zu sieben Jahren Haft verurteilt worden war, noch mehr unter Beschuss.

Ausgangspunkt der umfangreichen Ermittlungen waren mutmaßliche Schmiergeldzahlungen beim Bau eines Windparks auf Sardinien. Dell’Utri wie auch der Koordinator der Berlusconi-Partei Partito della liberta (PdL, Volk der Freiheit), Denis Verdini, sollen laut den Richtern eine kriminelle Organisation aufgebaut haben, die die öffentlichen Institutionen unterwandern wollte, um politische Beschlüsse, Prozesse und die Wahl prominenter politischer Persönlichkeiten zu beeinflussen.

Senator dell'Ultri während einer gerichtlichen Anhörung in Palermo

APA/EPA/ANSA/Mike Palazzotto

Berlusconi-Vertrauter: Senator Marcello Dell’Utri bei einer gerichtlichen Anhörung in Palermo im Vorjahr

Ermittlungen erreichen auch Justizministerium

In den Sog der Ermittlungen geriet auch der Unterstaatssekretär im Justizministerium, Giacomo Caliendo. Er soll im Laufe der Woche von den Staatsanwälten befragt werden. Ermittlungen wurden zudem gegen mehrere Richter und Funktionäre des Justizministeriums eingeleitet. Sie sollen unter anderem juristische Entscheidungen beeinflusst haben.

Erinnerungen an P2

Italiens Medien berichten über eine neue Loge P3 - und erinnern an die Freimaurerloge Propaganda Due (P2), in der hochstehende Personen bis zum Verbot 1982 ihren Einfluss bündelten, um ihre Interessen zwischen Politik und Mafia voranzutreiben.

Den Verdächtigen wird etwa ein Verstoß gegen das Gesetz, das die Gründung von Geheimlogen verbietet, vorgeworfen. Die neben Verdini zentrale Figur des Geheimbundes ist der 78-jährige Geschäftsmann Flavio Carboni, der vor zehn Tagen verhaftet wurde. Er war schon führendes Mitglied der umstürzlerischen Geheimloge P2 von Licio Gelli gewesen und soll 1982 an der Ermordung von Roberto Calvi, dem „Bankier Gottes“, beteiligt gewesen sein. Vom Mordvorwurf war Carboni seinerzeit aus Mangel an Beweisen freigesprochen worden, doch er musste wegen betrügerischen Konkurses ins Gefängnis.

Ein Rücktritt mit Folgen

Ende letzter Woche war der Unterstaatssekretär im Wirtschaftsministerium, Nicola Cosentino, zurückgetreten, dem ebenfalls die Mitgliedschaft in der geheimen Loge vorgeworfen worden war. Parteikollegen von Cosentino sprachen da noch von einer „Lynchkampagne“. Cosentino soll zusammen mit PdL-Koordinator Verdini versucht haben, in den juristischen Entscheidungsprozess einzugreifen.

Cosentino und Verdini sollen ihren Einfluss geltend gemacht haben, um etwa den Richter Alfonso Marra an die Spitze des Berufungsgerichts in Mailand zu befördern. In Mailand laufen zwei Prozesse gegen Ministerpräsident Berlusconi. Der Oberste Richterrat (CSM) will Marra diese Woche vernehmen. „Ich stehe dem CSM gerne zur Verfügung, so kann ich endlich alles klären“, kommentierte Marra zuletzt lapidar.

Opposition verlangt Erklärungen von Berlusconi

Die Opposition will Berlusconi zwingen, vor dem Parlament zu erklären, warum Spitzenpolitiker seiner Partei in den vergangenen Monaten in den Sumpf der Korruptionsskandale gerieten. „Drei Regierungsmitglieder mussten in den letzten Wochen wegen des Skandals das Handtuch werfen. Berlusconi hat die Pflicht, sich vor dem Land zu verantworten“, verlangte die Fraktionschefin des Partito Democratico im Senat, Anna Finocchiaro.

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