Themenüberblick

Promiaufmarsch in der Todeszone

Es war ein größenwahnsinniges Projekt und sollte den Fall des Eisernen Vorhangs kulturell markieren: Roger Waters’ „The Wall“-Spektakel in Berlin am 21. Juli 1990. Heute gilt das Event als historisch, obwohl letztendlich eine Pleiten-Pech-und-Pannen-Show mit B-Liga-Stars über die Bühne ging.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Zehn Jahre lag der Welterfolg des legendären Pink-Floyd-Albums zurück. Anfang der 80er Jahre hatte es nur eine Handvoll Konzerte gegeben, weil die Rockoper für eine umfangreiche Tournee zu aufwendig konzipiert war. Die Band hatte sich in der Zwischenzeit aufgelöst. Und dennoch hielt Gründungsmitglied Waters an der Idee fest, die Geschichte von Unterdrückung und Ausbruch noch einmal spektakulär mit zahlreichen internationalen Stars zu inszenieren. Die Sahara schwebte ihm als Kulisse vor, ebenso das Monument Valley.

„Warum nicht in Berlin“

Als dann 1989 die Mauer fiel, dachte sich Waters, wie er in einem Interview sagte: „Warum nicht in Berlin?“ Tatsächlich wurden sämtliche Genehmigungen erteilt, die Mauerabrissarbeiten unterbrochen, und das Konzert konnte in der ehemaligen Todeszone stattfinden. Befürchtungen, das Gelände könne vermint sein, wurden durch eingehende Untersuchungen ausgeräumt. Bei diesen Arbeiten entdeckte man einen geheimen Führerbunker aus der NS-Zeit.

Bühne von dem "The Wall" - Konzert in Berlin im Juli 1990

AP/Jockel Finck

Eine gigantische Gummipuppe schaut über die 20 Meter hohe Styropormauer.

Die Bühne war gigantomanisch, wie man es von Pink Floyd gewohnt war, seit die Band Anfang der 70er Jahre nach dem drogenbedingten Ausstieg von Syd Barrett von verspielter Psychedelik auf Konzeptalben und Stadionrock umgesattelt hatte. Waters verwendete zusätzlich zum ursprünglichen „The Wall“-Set-up auch Versatzstücke von anderen Tourneen, etwa die überdimensionale Plastiksau.

Über 200.000 Karten wurden verkauft, letztendlich waren aber sogar laut der konservativen Schätzung der Polizei 320.000 Zuschauer vor Ort, weil aus Sicherheitsgründen die Tore geöffnet werden mussten. Über 50 TV-Stationen aus aller Welt übertrugen live oder brachten einen Highlights-Zusammenschnitt. Eine 300 Meter lange, 20 Meter hohe Mauer aus Styropor wurde im ersten Teil der Show aufgebaut, um dann in einem dramatischen Schlussakt wieder eingerissen zu werden.

Live Aid für Arme

Die Teilnehmer

  • Roger Waters
  • Scorpions
  • Ute Lemper
  • Cyndi Lauper
  • Sinead O’Connor
  • The Band
  • The Hooters
  • Joni Mitchell
  • Bryan Adams
  • Jerry Hall
  • Paul Carrack
  • Van Morrison
  • Marianne Faithfull

Der Zeitpunkt, die Location, das weltweite Interesse, die Menschenmassen vor Ort, die Emotionen kurz nach dem Fall der Mauer, die passende Botschaft („Another Brick in the Wall“) - „The Wall“ wurde zum historischen Ereignis, weil es ein historisches Ereignis werden musste. Dass die Show an sich ein kompletter Reinfall war, wurde geflissentlich übersehen. Keiner der großen Stars, die Waters eingeladen hatte, wollte kommen: Peter Gabriel, Bruce Springsteen, Eric Clapton, Rod Stewart, Joe Cocker - jeder hatte plötzlich Terminprobleme. Mit David Gilmour war Waters weiterhin zerstritten, eine Pink-Floyd-Reunion deshalb unmöglich.

Schließlich standen die Scorpions auf der Bühne, Sinead O’Connor, Cyndi Lauper und, immerhin, Van Morrison und Marianne Faithfull. Im Netz finden sich Kommentare über das Konzert von damals, und Feuilletons haben Besprechungen der DVD-Version online gestellt. Viel Positives ist nicht zu lesen. O’Conner, heißt es etwa, soll ihre Anwesenheit bei dem Event sichtlich unangenehm gewesen sein. Über Laupers Auftritt scheiden sich die Geister. Den Scorpions wird unpassendes Verhalten für ein Konzert mit politischem Anliegen nachgesagt - sie fuhren mit Harleys auf der Bühne herum. Auf YouTube lässt sich nachvolliehen, wie die Stars teils solo, teils zusammen Pink-Floyd-Songs in mitunter zweifelhafter Qualität wiedergaben.

Stromaus- und finanzieller Reinfall

Vom Pech verfolgt waren die Veranstalter auch noch: Gleich zu Beginn des Spekatakels fiel der Strom aus. Das Problem konnte erst nach einiger Zeit umgangen werden - und trat schließlich im Lauf des Abends noch ein zweites Mal auf. Die Einnahmen blieben ebenfalls weit unter den Erwartungen, genauso wie der Erlös aus nachfolgenden CD-, Video- und schließlich DVD-Verkäufen. Viel Geld fiel weder für Waters ab noch für die Charity-Organisationen, die profitieren hätten sollen.

Bühne von dem "The Wall" - Konzert in Berlin im Juli 1990

Reuters/Michael Probst

Auch ein riesiges Plastikschwein gehörte zur Installation von „The Wall“.

Trotzdem will es Waters nun, im Alter von 66 Jahren und 20 Jahre später, noch einmal wissen. Ende Mai teilte er mit, noch einmal mit „The Wall“ auf Tour zu gehen. Die alten Songs sollen durch eine neue Inszenierung aktualisiert werden. Gilmour wird wieder nicht mit von der Partie sein. Aber zumindest gab es eine Annäherung der beiden, als sie vor kurzem bei einem Charity-Event vier Songs gemeinsam spielten. Sie sollen einander sogar umarmt haben, hieß es. Am Ende fällt auch diese Mauer noch, und Pink Floyd treten wieder miteinander auf.

Links: