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Kunstvolle Alterung in der Werkstatt

Wenn große Rockbands Livekonzerte geben, sieht man ihren Instrumenten oft an, dass sie schon ein paar Jahrzehnte hartes Rock-’n’-Roll-Leben auf dem Buckel haben. Sting spielt einen abgenutzten Fender E-Bass, Baujahr 1955. Gitarrist Andy Summers steht seit 1972 mit der gleichen Telecaster auf der Bühne.

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Doch die Sache hat einen Haken: Die Instrumente sind in Wahrheit nagelneu - und von Spezialisten bis ins kleinste Detail auf alt getrimmt worden. Die wertvollen Originale verstauen die Rockstars lieber daheim im Tresor. Fabrikneue Gitarren, die aussehen, als hätten sie die halbe Rockgeschichte miterlebt, sind der neueste Schrei auf dem Instrumentenmarkt. Über 10.000 Euro muss ein Police-Fan hinblättern, um selbst ein pseudoantikes Summers-Modell zu besitzen. 250 Stück von der limitierten Edition sind im Umlauf.

So gut wie alle großen Gitarrenhersteller haben inzwischen eigene Werkstätten für die künstliche Alterung neuer Modelle. Für die ohnehin recht konservative Branche ist das ein gutes Geschäft. Für Originalmodelle aus den 50ern gibt es heute eine betuchte Sammlerszene. Für gut erhaltene Exponate werden mehrere hunderttausend Euro bezahlt. Neue High-End-Modelle kosten maximal ein paar tausend Euro. Dazwischen ist viel Spielraum für die falschen Gebrauchtgitarren.

„Leicht gebraucht“ bis „total verschlissen“

Mit Rasiermessern lassen sich altersbedingte Risse im Lack simulieren. Industrielle Lösungsmittel sorgen für Flecken, das Besprühen mit Trockeneis simuliert Witterungseffekte. Der Trend nimmt teilweise absurde Ausmaße an. Fender hat gleich mehrere Alterungsstufen im Programm - von „ein paar Mal pro Jahr im Einsatz und dazwischen gut verstaut“ bis „total verschlissen“.

Bei Gibsons Jimmy-Page-Gitarre, für die eingefleischte Led-Zeppelin-Fans bis zu 80.000 US-Dollar zahlen, werden sogar die Brandflecken von Zigaretten originalgetreu kopiert. Bei der limitierten Summers-Telecaster ist wie beim 35 Jahre alten Original der Steg gebrochen. Fenders jüngster Coup ist eine Telecaster, die an den vor fünf Jahren verstorbenen The-Clash-Sänger Joe Strummer erinnern soll - und die nicht nur mit mehr schlecht als recht aufgesprühtem schwarzen Lack daherkommt, sondern auch mit Slogan-Aufklebern, mit denen man sein Modell „verpunken“ kann.

Ob Strummer zu Lebzeiten diese Abwandlung des Do-it-yourself-Prinzips gebilligt hätte, ist fraglich. Der Kundschaft dürfte das allerdings herzlich egal sein. Fans echter Sammlerstücke kritisieren an dem Trend, dass die Veralterung rein optisch ist und den Klang des fabrikneuen Instruments nicht verändert. Und auch in finanzieller Hinsicht ist noch völlig unklar, ob sich die Investitionen lohnen: Ob die auf alt getrimmten Gitarren ihren Wert behalten oder steigern werden, wenn sie selbst ein paar Jahrzehnte auf dem Buckel haben, ist unklar.

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