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In Wien geboren

Wenn man in seinem Fach Wegweisendes geleistet hat und dieses Fach noch dazu Teil der Wirtschaftswissenschaften ist, bekommt man rasch ein Attribut verpasst: das des „Gurus“. Der am 19. November 1909 in Wien geborene Peter Drucker wurde immer wieder als „Managementguru“ apostrophiert. Doch für Drucker greifen Modevokabel wie dieses zu kurz.

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Er kam aus einer Zeit und einem Österreich, das es längst nicht mehr gibt: dem großbürgerlichen Österreich der Donaumonarchie. Im Haus von Druckers Eltern, das der Architekt Josef Hoffmann entworfen hatte, gingen die Ökonomen Friedrich von Hayek und Joseph Schumpeter ein und aus. Auch Sigmund Freud, einem Bekannten der Eltern, durfte Drucker im zarten Alter von acht Jahren die Hand schütteln.

Flucht vor den Nazis

Druckers Tante war wiederum die Ehefrau von Hans Kelsen, dem Vater der österreichischen Verfassung. Die engen gesellschaftlichen Verschränkungen haben Drucker zu einem erzogen: stets in großen Zusammenhängen zu denken und zu analysieren.

Schon als junger Mann kehrte Drucker seiner Heimat den Rücken. Die Spannungen und das rückwärtsgewandte Denken im kleinen Österreich der 1920er Jahre hätten ihn, wie er sagte, fortgezogen. Drucker ging 1927 zunächst nach Hamburg und später nach Frankfurt, wo er Zeitungsredakteur wurde und nebenbei Rechtswissenschaften studierte.

Vor den Nazis floh Drucker 1933 zunächst nach England, wo er in Cambridge in dessen berühmten Seminaren John Maynard Keynes kennenlernte. 1937 zog es Drucker schließlich in die USA, wo er im November 2005 starb.

Der Auftrag von General Motors

Zu Weltruhm gelangte Drucker 1943, als der Autokonzern General Motors ihn beauftragte, die Entscheidungsstrukturen des Unternehmens sozialwissenschaftlich zu untersuchen. Heraus kam das Buch „The Concept of Cooperation“, das als Grundstein der modernen Managementtheorie gilt.

Druckers Untersuchung war die erste systematische Studie über das Funktionieren eines Unternehmens. Drucker, schrieb das Wirtschaftsmagazin „Forbes“, sei der Erfinder des Amerika der Unternehmen. Bereits 1939 war der Weltbürger zu Ansehen gekommen, als er sein Buch „The End of Economic Man“ veröffentlichte.

Legendärer Buchautor

„Drucker gehört zu jenen Menschen, denen man beinahe alles verzeihen kann, weil er nicht nur einen unabhängigen Geist hat, sondern auch die Gabe, bei anderen eine stimulierende Folge von Gedanken in Gang zu setzen“, schrieb Winston Churchill in einer Besprechung von Druckers Buch im „Times Literary Supplement“ vom 27. Mai 1939.

Churchill sollte recht behalten. Drucker wurde in den folgenden Jahren und Jahrzehnten zu einem gefragten Managementberater, Berater von nationalen Regierungen und legendären Buchautor.

„Erkenne deine Zeit“

Gnothi sauton! (Erkenne dich selbst) - dieses antike griechische Motto erweiterte Drucker um einen weiteren Anspruch: Erkenne deine Zeit! Früher als andere sagte der Berater der japanischen Regierung in den 60er Jahren den Aufstieg der japanischen Wirtschaft voraus. In den 80er Jahren wiederum prognostizierte Drucker den tiefen japanischen Fall.

In Japan wird Drucker beinahe kultisch verehrt. Zu seinem 95. Geburtstag veröffentlichte Japans größte Wirtschaftszeitung „Nikkei“ eine 30-teilige Artikelserie über das Wirken Druckers.

Druckers Orakelsprüche

Drucker war in vielen Überlegungen seiner Zeit voraus. Der enge Freund des Medientheoretikers Herbert Marshall McLuhan war sich bereits in den 50er Jahren sicher, dass die Computertechnologie die Wirtschaft verändern würde.

Drucker, der in Claremont bei Los Angeles lebte, schrieb in seinem Fach beinahe Klassiker am Fließband. Renommierte Konzerne standen bei ihm bis zuletzt Schlange. Per Videokonferenz zu Drucker klinkten sich all jene ein, die vom Orakel von Claremont erleuchtet werden wollten.

Österreich: Mittlerweile weit weg

Seine Geburtsstadt hatte Drucker mittlerweile hinter sich gelassen, das aber vor allem, weil er jede Form von Nostalgie ablehnte.

Drucker kam nach 1945 einige Male nach Österreich. Einladungen schlug er in den letzten Jahren auch aus pragmatischen Gründen aus: Er hatte einen Herzschrittmacher und bestieg kein Flugzeug mehr.

Als der damalige US-Präsident George W. Bush Drucker im Jahr 2002 mit der „Medal of Freedom“ ehrte, nahm Drucker den Zug, um von der West- zur Ostküste zu reisen.

„Nur eine geografische Realität“

Nach dem Ersten Weltkrieg konnte der Großbürgerspross, für den das Funktionieren der k. u. k. Straßenbahn in Wien das Paradigma eines Wirtschaftsbetriebs war, letztlich wie seine Eltern mit dem kleinen „Restösterreich“ wenig anfangen.

„Die österreichische Republik“, sagte Drucker in einem Interview mit dem Journalisten Richard Brem, „ist nur eine geografische Realität gewesen, nicht aber eine soziale.“ Die Vorkriegsgesellschaft sei den sozialen Entwicklungen nach 1918 nicht mehr gewachsen gewesen.

McLuhan: Wien als prägender Faktor

„Das Wien, in dem Peter Drucker aufwuchs“, schrieb McLuhan, „war ein kultureller und ökonomischer Kreuzungspunkt über Jahrhunderte hinweg.“ Erst mit der Entdeckung der Quantenmechanik und des „Interface als Prinzip von Veränderungen“ habe man es geschafft, die Bedeutung einer derartigen kulturellen Vielfalt zu erkennen.

Druckers enzyklopädische und internationale kulturelle Prägung seien das ausschlaggebende Werkzeug, um das Leben im elektronischen Zeitalter zu entschlüsseln, meinte McLuhan.

Ist Drucker ein Ökonom?

Druckers Inspirationskraft liegt gerade darin, dass er wirtschaftliche Prozesse aus einem sehr universalistischen Zugang betrachtete. „Es gibt eine Sache, bei der sich Ökonomen und ich einig sind: dass ich nämlich kein Ökonom bin“, sagte Drucker einmal in einem Interview. „1933 im Seminar bei Keynes beschloss ich, dass ich kein Ökonom bin. Keynes dachte, ich läge damit falsch. Doch ich hatte recht.“

Gerald Heidegger, ORF.at

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