„Salome“: Schock und Begeisterung
Markus Hinterhäuser hat als Intendant der Salzburger Festspiele mit dieser Inszenierung hoch gepokert. Und am Ende gewonnen. Als Marie im „Wozzeck“ hatte die junge litauische Sopranistin Asmik Grigorian schon im Vorjahr deutlich aufgezeigt; aber sie hatte dabei noch nicht das, was man sängerisch eine abendfüllende Rolle nennt. Heuer durfte sie als Salome gleich eine der weiblichen Schlüsselpartien der musikalischen Moderne einnehmen - und das im Verbund mit Regisseur Castellucci, der im Opernfach durchaus eine Form der Risikobesetzung sein kann.
„Die Salzburger ‚Salome‘ ist ein Glanzstück“
„Die Salzburger Salome ist ein Glanzstück“, so Peter Schneeberger in seiner Premierenkritik. Azmik Grigorian habe Salzburg mit ihrer Jahrundertstimme erobert - „die Opernwelt hat einen neuen Star.“
Um 22.00 Uhr am Samstag schließlich die Erlösung. Ein zuerst in kompletter Schockstarre gefangenes Publikum fand sich zaghaft in den Applaus ein - und feierte am Ende einen neuen Stern am Opernhimmel. Und tat das mit vollem Recht. Grigorian sang sich, getragen von einem im Modus furiosus operierenden Franz Welser-Möst und den Wiener Philharmonikern, gegen die anfängliche Dominanz der Regiearbeit immer mehr in den Vordergrund und überzeugte stimmlich wie schauspielerisch.

Ruth Walz
Salome (in der Mitte Asmik Grigorian im weißen Kleid) und der Hofstaat von Herodes Antipas. Für die Führung der Figuren holte man sich die Choreographin Cindy Van Acker mit an Bord
Sehr dick aufgetragen
Der Abend hatte so eindrucksvoll wie problematisch begonnen. Castellucci und seine Dramaturgin Piersandra Di Matteo entschieden sich vor den Anfangstakten der Oper für einen fünfminütigen stummen Prolog, der die Archaik und Kargheit des Ortes ausreizte - und mit dem weißen, gegen alle Gesetze der Schwerkraft über die Wände laufenden Propheten früh daran erinnerte, dass an diesem Abend nicht gespart werden würde mit Anspielungen und Bedeutungsfeuerwerken.
TV-Hinweis:
Die samstägigen „Salome“-Übertragung des ORF ist noch einmal im Fernsehen zu sehen: am Samstag, 11. August, um 20.15 Uhr in 3sat.
Ein in den schwarzen Vorhang gerissener Sehschlitz, das sich einen Spalt öffnende Dach der Felsenreitschule - alles verwies auf die Problematik des Begriffspaares Sehen und Begehren. Und wie Castellucci mit einer Serie paradoxer Interventionen zeigen würde: dass der Prozess der „voluptas oculorum“, wie es einst bei Augustinus zu der von den Augen ausgehenden Sünde der Wollust hieß, zu keinem befriedigenden Ergebnis führen würde.
Am Anfang zerrann die Oper leider musikalisch in Undeutlichkeit, was mehr am Setting denn an Sängern und Musikern lag. Alles wurde dichter und konzentrierter bei geschlossenem Dach und mit dem Fokus auf dem Sehnsuchtspaar Salome - Jochanaan. Sie eine Mischung aus Käthchen von Heilbronn und angehender Verführerin, er, klar und kraftvoll interpretiert von Gabor Bretz, ein in komplettes Schwarz getauchter ‚Edler Wilder‘, wie man ihn als Topos des 19. Jahrhunderts kennt.
Premiere für „Salome“ in Salzburg
„Passion, Exstase, Leidenschaft“ lautet das Motto der diesjährigen Salzburger Festspiele. Am Samstagabend stand Richard Strauss’ „Salome“ auf dem Programm - laut Intendant Markus Hinterhäuser die „schockierendste Oper“ überhaupt.
Vergebliche Warnungen
Gegen das Unbekannte wird Salome in weißem Kleid (und mit Blutfleck in Schritthöhe auf dem Rückenteil, apropos Holzhammermetaphern) anrennen und sich zugleich verzehren. Der sie ebenfalls begehrende Hauptmann Narraboth (Julian Pregardien) warnt mit hellem Tenor sehr schön und verzweifelt, aber eben vergebens. Jochanaan, der in der Vorlage weiße Prophet mit den „bitter schmeckenden Lippen“, wird immer attraktiver, und je mehr er ablehnt und Salome daran erinnert, dass jetzt die Zeit eines neuen Anführers vor der Tür stünde, umso mehr wird er Sehnsuchtsfigur ihres Verlangens.
Salomes ebenfalls von der Lust getriebener Stiefvater (John Daszak) muss ihr für das Geschenk ihres Tanzes bekanntlich den Wunsch nach dem Haupt erfüllen. Herodias (Anna Maria Chiuri) als Mutter Salomes interveniert, verstärkt aber letztlich wie ein Katalysator alle Pathologien der handelnden Personen.

Ruth Walz
Von der Drastik ihrer Wünsche gibt es kein Zurück - und auch kein Reinwaschen
„Te saxa loquuntur“
Castellucci wird gegen alle Vorgaben die Idee des Schleiertanzes massiv konterkarieren - und er weigert sich auch, den Kopf des Johannes auf die Bühne zu bringen. „Te saxa loquuntur“, „von dir sprechen die Steine“, diese Inschrift auf einem Portal des Mönchsbergstunnels wird Leitmetapher des Abends. Der Stein zermalmt Salome im Zuge des Schleiertanzes - und gibt sie wieder frei. Jochanaan dagegen ist die nie greifbare, dunkle mythologische Gestalt, die Castellucci deutlich mehr fasziniert als Strauss.
Bevor das Wort Fleisch wird
Jochanaan vertrete die Welt des Logos, so Castellucci, „er spricht eine Sprache, die sich dem Spiel der Bedeutungen entzieht.“
Gegen die Wand
Während Strauss ja mit diesem Werk im Jahr 1905 tief in die Moderne blickt, wirkt Jochanaan bei ihm wie ein Relikt des Wagnerismus. Castellucci sieht dagegen die Kraft von Jochanaan in seiner Vorwärtsgewandtheit, in seiner Botschaft, in der Fixierung auf ein Wort, das noch keine Bedeutung kennt und keine Gestalt hat. Die Prophetie, sie kündet von einer noch nicht greifbaren Zukunft. Doch Castellucci möchte sie im Dunkeln lassen.
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Gepostet von ORF.at News am Samstag, 28. Juli 2018
Die Welt der optischen Fixierung und Begehrlichkeiten lässt er im Verbund mit der Choreografin Cindy Van Acker konsequent gegen die Wand fahren. Salome, sie bekommt nicht den Kopf des Täufers, sie erhält den Torso, an den sie ihre große Arie „Ich habe ihn auf den Mund geküsst“ in voller Paradoxie richten wird.
Offen bleibt, ob Salome Opfer ihrer Zeit - oder noch mehr das ihrer Familie ist. Als Täterin steht sie in der Lesart des Abends jedenfalls nicht da. „Salome ist eine Figur, die in uns wohnt“, meinte Castellucci jüngst im Interview mit ORF.at. Gerade in der Drastik dieser Lesart steckt wohl der Grund für die Schockstarre des Abends. Wir wollen Mitleid haben mit dem Mädchen Salome. Für das Warum werden wir nur schwerlich Antworten finden können.
Gerald Heidegger, ORF.at