Szenenbild aus der Zauberflöte

Ruth Walz

„Die Zauberflöte“ als Zeitreise

Lydia Steier hat sich mit ihrer Salzburger Inszenierung der „Zauberflöte“ viel vorgenommen: Die Regisseurin hat die Rahmenhandlung in den Vorabend des Ersten Weltkriegs verlegt, sich dabei von einem Comic inspirieren lassen und eine märchenhafte Zirkuswelt geschaffen. Bei der Premiere am Freitagabend erhielt sie dafür viel Zustimmung. Und ein paar Buhrufe.

Mit den ersten Klängen der Zauberflöten-Ouvertüre beginnt das rege Treiben auf der Bühne: Ein großbürgerliches Haus, eine Familie wartet am Esstisch, die Kinder kommen zu spät zum Nachtmahl, die Szene endet in einem Streit. Der Großvater bringt die drei Buben ins Bett und liest ihnen eine Geschichte vor: „Die Zauberflöte“.

Szene aus "Die Zauberflöte"

Salzburger Festspiele/Ruth Walz

Klaus Maria Brandauer tritt als Erzähler der Zauberflöte auf

Märchenerzähler im Zirkusland

Die in den USA geborene und in Berlin lebende Regisseurin Lydia Steier hat sich dazu entschlossen, ihre „Zauberflöte“ auf dramaturgisch neue Beine zu stellen. Klaus Maria Brandauer, der für den erkrankten Bruno Ganz eingesprungen ist, führt als Erzähler durch die Handlung, die Realität und Traumwelt miteinander verbindet. Dafür haben Steier und die Dramaturgin Ina Karr Teile des gesprochenen Librettos umgeschrieben und dem erzählenden Großvater in den Mund gelegt.

Szene aus "Die Zauberflöte"

Salzburger Festspiele/Ruth Walz

Papageno und Pamina machen sich auf die Suche nach Tamino

Das Märchen beginnt, und Tamino, gejagt von einer Riesenschlange, landet plötzlich auf dem Fußboden des Kinderzimmers. Die drei Buben, gespielt von Wiener Sängerknaben, begleiten den jugendlichen Abenteurer auf seiner Suche nach Weisheit, Wahrheit und Liebe und tauchen mit ihm in eine Fantasiewelt ein, die ästhetisch zwischen Steampunk und den Zirkusporträts von Diane Arbus liegt.

„Zauberflöte“ im ORF

Der ORF zeigt die Salzburger „Zauberflöte“ am Samstag, 4. August, live-zeitversetzt um 20.15 Uhr in ORF2.

Inspiriert wurde sie laut Steier von den Comics „Little Nemo in Slumberland“. Diese Traumreisen des jungen Nemo erschienen ab 1905 in der Sonntag-Ausgabe des „New York Herald“ und begleiten einen Buben, der im Schlaf bizarre und fantastische Abenteuer erlebt.

Artisten, Tiere, Attraktionen

Diesem Prinzip folgt die Regisseurin auch bei ihrer Inszenierung. Sie führt nicht nur die drei Kinder, sondern auch das Publikum in die fantastische Welt des Fürsten Sarastro – ein Zirkusdirektor, der Herr über Clowns, tanzende Bären, Akrobaten, Jongleure, Stelzengeher und viele mehr ist. Der Bariton Matthias Goerne erfüllt diese Rolle mit mystischer Bedrohlichkeit, die Basspartie scheint ihn jedoch ein wenig anzustrengen.

Hierher folgen die drei Buben Tamino (Mauro Peter), die ihm mittlerweile als „Drei Knaben“ zur Seite stehen und rettend einspringen, wenn der Erfolg des Abenteuers gefährdet wird.

Szene aus "Die Zauberflöte"

Salzburger Festspiele/Ruth Walz

Sarastro ist Herr über ein abgründiges Zirkusreich

Denn Tamino sucht Pamina, die irgendwo in diesem bunten Jahrmarktstreiben von Sarastro gefangen gehalten wird. Eine Rolle, in der Christiane Karg stimmlich und schauspielerisch hervorsticht. Albina Shagimuratova überzeugt als Paminas Mutter und Sarastros Gegenspielerin, die Königin der Nacht.

„Die Zauberflöte“ auf der Couch

Eine Geschichte über das Erwachsenwerden und den Generationenvertrag sieht der Arzt und Therapeut Georg Titscher in der „Zauberflöte“.

Bleibt noch der allzu menschliche Vogelhändler Papageno, der sich als einzige Figur zwischen den beiden Welten der Inszenierung hin und her bewegt. Adam Plachetka erfüllt die Rolle mit viel Humor, gerät aber im Trubel, der sich auf der Bühne abspielt, zuweilen aus dem Blickfeld.

Vom Pfad der Aufklärung abgekommen

Neben all den aufregenden Bildern, die Steier rund um die Prüfungen des Liebespaares auf die Bühne bringt, verliert sie die zentralen Begriffe der aufklärerischen Mozart/Schikaneder-Oper nicht aus den Augen. Die Zauberflöte entstand 1791, zwei Jahre nach Beginn der Französischen Revolution, zu einer Zeit des Umbruchs in Europa. Die Handlung verlegt Steier wiederum in das Jahr 1913, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges.

Szene aus "Die Zauberflöte"

Salzburger Festspiele/Ruth Walz

Die Bilder der Inszenierung wechseln von bunt und schrill zu düster und bedrohlich

Dass dieser droht, zeigt Steier während der Feuer- und Wasserprobe, bei der Bilder von Kriegsversehrten und getöteten Soldaten auf die Bühnenrückwand projiziert werden. Ein Aspekt der Inszenierung, der zunächst irritiert, verlässt sie damit doch auf unerwartete Weise das Märchenland. Doch genau das kann passieren, wenn eine Gesellschaft den Pfad der Aufklärung verlässt und zu taumeln beginnt.

Prüfungen der Gegenwart

Für Steier scheint das auch der Brückenschlag in die Gegenwart zu sein. Die Welt ist unübersichtlich geworden, jeden Tag zeichnen sich neue Krisen ab, die die Menschen verunsichern und das soziale Gefüge destabilisieren. Sich mit den eigenen Ängsten auseinanderzusetzen und diese zu überwinden ist Kernthema der Zauberflöte und eine der großen „Prüfungen“ der Gegenwart.

In Zeiten der zunehmenden Verdunkelung ein Werk der Aufklärung zu spielen, sei besonders wichtig, meint Steier. Nicht alle Zuseherinnen und Zuseher folgten am Premierenabend ihrer neuen „Zauberflöte“ auf diesen Pfad der Erleuchtung. Viele staunten, wollten sich aber nicht ganz auf den kindlichen Blickwinkel einlassen, der andere Schlaglichter auf die Themen dieses Märchens wirft. In den minutenlangen Applaus mischten sich einige Buhrufe.

Marlene Nowotny, für ORF.at

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