Philipp Blom

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Historiker Blom kritisiert „Rückzug aufs Eigene“

Die Berufung auf die Kultur der Aufklärung sei in der Gegenwart zur „Phrase“ verkommen: Mit einer scharfen Abrechnung mit dem politischen Diskurs der Gegenwart in Europa hat der Historiker Philipp Blom bei der Eröffnung der Salzburger Festspiele aufhorchen lassen. Blom nahm den Rückzug „auf das Eigene, die Nation“ ins Visier - Politiker, die heute behaupteten: „Wir sind Kinder der Aufklärung“, betonten dabei vor allem das „Wir“ als Abgrenzung gegen alle anderen.

„Weder die Aufklärung noch die Philosophie sind ein Gebäude von Lehrsätzen, sondern sie entstehen im Geiste Diderots aus Debatten“, erinnerte Blom an die vorrevolutionäre Kultur. Es sei „riskantes Denken“, das sich aber als „klares Denken“ immer als unwiderstehlich erweise. Die Gegenwart erzähle aber von einem mächtigen Angriff auf die Aufklärung - mehr dazu auch in salzburg.ORF.at.

Meinungen und Dogmen, „Fake News“, ja bewusst eingesetzte „Lügen“ würden das kritische Denken an den Rand drängen. „Auch hierzulande werden Gerüchte von der jüdischen Weltverschwörung geschürt“, so Blom, der auch eine Zweiklassengesellschaft der Menschenrechte ortet: „Wer reicher ist, der hat mehr Menschenrechte als andere.“

Festrede von Philipp Blom

In seiner Festrede stellt der deutsche Schriftsteller Blom die Aufklärung ins Zentrum. Die Gegenwart sei geprägt von einem Angriff auf die Aufklärung. Das Paradies Europa sei bedroht.

„Wir wollen das eigene Paradies schützen“

In der Gegenwart wollten viele das „eigene Paradies schützen“, weil sie dieses Paradies als bedroht erlebten. Es gehe mittlerweile nur noch um „unsere Freiheit und Gleichheit“, so Blom, der einen Rückzug auf das Eigene, auf die Nation, konstatiert, was man mit Stacheldrähten schützen wolle.

Beim Satz „Wir sind Kinder der Aufklärung“ werde das „Wir“ betont. Aufklärung, sie gelte nicht für Moslems oder Unintegrierbare, wie man im Diskurs der Gegenwart immer wieder höre. „Wir wollen erhalten, was wir haben“, so Blom, für den die „Aufklärung als Instrument der Verteidigung der Mächtigen“ zu verkommen droht.

Philipp Blom

ORF

„Es geht mittlerweile nur noch um unsere Freiheit und unsere Gleichheit“

Warum gerade jetzt?

„Vielleicht ist das der Anfang und das Ende der Aufklärung“, so Blom, der laut die Frage stellte, warum gerade jetzt die Kultur der Aufklärung zu Ende gehe, „wo weniger Menschen hungern denn je und wo es immer mehr Wohlstand“ gebe.

Blom konstatiert eine „Kultur der Angst“, in der immer mehr Menschen Angst um ihren Status hätten: „Die globale Wirtschaftsordnung ist zu einer Parodie der Aufklärung geworden. Rationalität heißt heute Rationalisierung.“ Gleichheit, so Blom, heiße heute statistische Normierung.

„Wir funktionieren für das System“

Die Menschen erlebten sich selbst in Gesellschaften, die in „dauerndem Aufruhr sind“. Und manche würden dabei eine Verlogenheit ausmachen: „Immer mehr begreifen, dass sie für das System funktionieren und nicht das System für sie.“ Die Idylle der Nachkriegszeit, konstatiert der Historiker, sei in der Kultur des alles beherrschenden Marktes zu Ende gegangen.

„Mensch nicht über Natur erhaben“

Im ZIB2-Interview spricht Blom über Angst, deren Auswirkungen auf Politik und Gesellschaft sowie das moderne Demokratieverständnis.

Dennoch wolle man im Westen in „einer nie enden wollenden Gegenwart leben“, in der sich die alten Träume bewahren und das Eigene schützen ließen. „Doch die Zukunft kommt zu uns. In Form warmer Winter, Algorithmen, Menschen von außen.“

„Kaufen uns die Zeit“

Für Blom kauften sich die reiche Gesellschaften „die Zeit“ - allerdings auf Kredit. Man wolle einen „Regenschirm gegen das Unbekannte“ aufspannen, dabei sei man selbst Teil „einer Generation von Erben, die sich überlegen fühlen, weil ihre Vorfahren mutig waren“.

„Vielleicht ist es Zeit, endlich einmal erwachsen zu werden“, so Blom in seiner Adresse an die versammelte Politspitze. Neben der Erderwärmung finde „ein anderer Klimawandel“ statt - und dieser erzähle von der Aushöhlung der Demokratie, die eine „sehr junge, zerbrechliche Regierungsform“ sei. „Demokratie“, so Blom abschließend, „ist kein Naturzustand.“ Sie könne ihre „Voraussetzungen, um zu bestehen, nicht selber schaffen“.

Kulturminister Gernot Blümel (ÖVP)

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Gernot Blümel warnt vor einer gleichmacherischen Kultur in Europa

Brauchen keine Gleichschaltung Europas

Wenige Momente vor Blom hatte der österreichische Kultur- und Medienminister Gernot Blümel (ÖVP) ebenso befunden, dass die „Herausforderungen, die zu lösen sind, noch nie so groß waren wie jetzt“.

Es gebe keinen übertriebenen Anlass zum Pessimismus - doch die Unterschiede der Länder in Europa seien im Moment groß und die Begehrlichkeiten auf europäischer Ebene national, so Blümel. „Die EU wird nie ein Superstaat sein, der zentral regieren kann“, meinte der Minister. In ganz Europa könne das Leben nun mal nicht überall gleich laufen, so Blümel, der dabei konstatierte: „Wir brauchen keine Gleichschaltung Europas.“

Rede von Kulturminister Gernot Blümel (ÖVP)

„Wir brauchen keinen Superstaat Europa, der alles gleichmacht“, so Gernot Blümel in Salzburg.

Für Blümel lieferten aber gerade Kunst und Kultur die Gegenantwort zur Nationalisierung. „Es gibt nun mal kein nationales Barock“, wenn man etwa auf die Baukultur Salzburgs schaue.

Festspiel-Präsidentin Helga Rabl-Stadler

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Festspielpräsidentin Rabl-Stadler: „Widersprechen wir jenen, die ihre Redegewalt für europäische Untergangsszenarien missbrauchen“

Rabl-Stadler: „Widersprechen wir!“

Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler verwies in ihrer Eröffnungsrede einmal mehr auf den europäischen und dabei sehr politischen Gedanken der Festspiele. „Widersprechen wir jenen, die ihre Redegewalt für europäische Untergangsszenarien missbrauchen“, so Rabl-Stadler.

Rede von Helga Rabl-Stadler

Die Festspielpräsidentin erinnert an die Mission der Festspiele und deren europäischen Geist.

Gerade jetzt müsse man die „Idee eines vereinten Europas vorantreiben“. Das könne auch auf dem europäischen Gipfel im September passieren, „der hier in der Felsenreitschule abgehalten wird“, so Rabl-Stadler mit Verweis auf den Eröffnungsort.

Van der Bellen: „Vertrauen wir auf Stärke Europas“

Eröffnet wurden die Festspiele wie in jedem Jahr vom Bundespräsidenten, heuer also zum zweiten Mal von Alexander Van der Bellen. Auch er hob den europäischen Geist der Festspiele hervor und warnte davor, die Union zu schwächen.

Rede von Bundespräsident Alexander Van der Bellen

Bundespräsident Van der Bellen appelliert eindringlich, auf die Stärken Europas zu vertrauen und die übernationale Zusammenarbeit zu stärken.

„Ich weiß, es gibt Parteien, praktisch in jedem Mitgliedsstaat der Union, die Vorstellungen alter nationaler Souveränität anhängen. Ich halte das für die politische Illusion schlechthin. Es gibt die alte nationale Souveränität in einer globalisierten Welt nicht mehr. Ohne transnationale Kooperation in der EU wird jeder Mitgliedsstaat zum Spielball größerer Mächte. Vertrauen wir auf die Stärken Europas“, sagte Van der Bellen.

Auch Haslauer hinterfragt Bekenntnisfloskeln

Gebetsmühlenartige Beschwörungen nahm auch Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer in seiner Eröffnungsansprache in den Blick. „Wir schwören auf ein Nie-Wieder, warnen vor den Anfängen. Ob eine Wiederholung aber tatsächlich ausgeschlossen ist, hängt von der Verwandlungsfähigkeit des Menschen ab“, so Haslauer.

Rede von Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP)

Die Metamorphose, wohin wir uns entwickelten, habe längst begonnen, konstatiert LH Haslauer.

Es kommt darauf an, unter welchen Bedingungen wir leben, „es kommt darauf an, was wir für entscheidend halten, was wir aus uns machen, was wir einander wert sind“, so Haslauer, der trocken konstatierte: „Die Metamorphose hat längst begonnen, ergebnisoffen.“

Gerald Heidegger, ORF.at, aus Salzburg

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