Szenenbild aus dem Lear auf Blumenwiese

Salzburger Festspiele, Videostill

Ein Beben auf der Blumenwiese

„Epizentren des Besonderen“ und eine Haltung „gegen die Trivialisierung“ unserer Zeit wollten die Salzburger Festspiele 2017 sein. Unter der neuen Intendanz sind es auf jeden Fall Festspiele aus einem Guss geworden, bei denen das Thema Macht im Mittelpunkt stand. Herausragend: Opernproduktionen mit der „Clemenza“ am Beginn und einem „Lear“ im Finale, bei dem die Blumenwiese das einzig liebliche Element war.

Wenn die Salzburger Festspiele wenige Tag vor ihrem Ende am Montag Bilanz ziehen, dann blicken die neuen (und auch altbekannte) Macher an der Salzach zurück auf eine außergewöhnliche Saison. Selten entzündeten die Festspiele, die zu oft als Schaulaufen der Promis und Reichen apostrophiert wurden, so viele politische Debatten oder kondensierten eine komplex gewordene Wirklichkeit an Abenden von drei, vier Stunden. Lieblich oder behübschend war nichts bei diesen Festspielen.

Wirtschaftlich zog man am Montag Bilanz über eine höchst erfolgreiche Sommersaison 2017. Bei einem Budget von 61,7 Millionen Euro wurden 29,9 Millionen Euro an Bruttoeinnahmen erwirtschaftet und damit ein Überschuss von 1,6 Millionen Euro netto erzielt. Die Platzauslastung betrug 97 Prozent, um ein Prozent höher als im Rekordjahr 2016.

Der kaufmännische Direktor Lukas Crepaz, Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler, Intendant Markus Hinterhäuser, Konzert-Chef Florian Wiegand und Schauspiel-Chefin Bettina Hering

Franz Neumayr / APA

Bilanz knapp vor dem Ende der Saison 2017: Der kaufmännische Direktor Lukas Crepaz, Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler, Intendant Markus Hinterhäuser, Konzertchef Florian Wiegand und Schauspielchefin Bettina Hering

Fast jede Produktion extrem politisch

Künstlerisch bleibt unter dem Strich dieses Sommers: Beinahe jede Produktion ging elementarste Fragen an. Politisch - das waren die Aspekte von Macht, die hier verhandelt wurden, von den großen Staatsintrigen bis zum Hineinreichen der Macht in den Mikrokosmos persönlicher Beziehungen.

Das waren die Salzburger Festspiele

Es war die erste Saison von Intendant Markus Hinterhäuser. Und die Erwartungen scheinen sich erfüllt zu haben. Die Auslastung liegt bei 96 Prozent, und auch künstlerisch fällt das Resümee positiv aus.

Aufregend - das waren ganz besonders die Opernproduktionen in diesem Jahr, die viele künstlerische Paarungen auf die Bühne brachten, die man tatsächlich so noch nicht gesehen hat. Die iranische Fotokünstlerin Shirin Neshat und den italienischen Altmeister Riccardo Muti bei einer aufsehenerregenden „Aida“, Mariss Jansons erstmals als Operndirigent mit den Wiener Philharmonikern auf heimischem Boden mit Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“.

Ein „Wozzeck“, der Österreich den südafrikanischen Zeichner und Medienkünstler William Kentridge als Opernregisseur näher brachte. Und im Finale: Die Philharmoniker unter Franz Welser-Möst, die auf dem für sie dünnen Eis des Zeitgenössischen mit Brachialität und Nuancierung brillierten.

Szenenbild mit Wiese aus dem Lear

Salzburger Festspiele / Videostill

Simon Stones Regiedebüt in Salzburg: Lear muss auf die Blumenwiese und wird wie alle anderen durch die Blutlache durchgezwungen

Große Stars, neue Entdeckungen

Es gab große sängerische Glanztaten: von einer dunklen, unheimlichen wie fragilen Anna Netrebko als Aida bis zu einem in jeder Hinsicht genialen Gerald Finley als Lear. Dann auch zahlreiche Neuentdeckungen, allen voran Asmik Grigorian als Marie im Lear.

„Most Shared“

Die am meisten geteilten Festspielberichte von ORF.at in diesem Jahr:

Das Schauspiel hatte es neben der Oper nicht immer ganz leicht. Der neue „Jedermann“, er war ein elektrisierendes Massenformat (was er in Salzburg auf jeden Fall sein muss). Trotz der ungewöhnlichsten Jedermann-Buhlschaft-Kombi Tobias Moretti/Stefanie Reinsperger wirkte manches noch unfertig. Herausragend: die „Rose Bernd“ in der Regie von Karin Henkel. Absturz im Schauspielfach: die „Lulu“ auf der Perner-Insel, und auch das Experiment Horvath als Halblaientheater ging eben nur halb auf. Breth spielte mit Pinters „Geburtstagsfeier“ in der Breth-Liga - also ein Wenn-man’s-mag-Format des Altbekannten.

Konzertprogramm der Entdeckungen

Aufregend war das Konzertprogramm, nicht nur durch zahlreiche Galaveranstaltungen. Die Schiene „Zeit für Schostakowitsch“, vor allem aber „Zeit mit Grisey“ und der besondere Blick auf das Zeitgenössische faszinierte hierbei.

„Ich habe gelernt, dass man ein großes Glück empfindet, wenn Produktionen entstehen und nicht einfach hergestellt werden. Dass es gelingt, einen Pakt mit dem Publikum einzugehen, wenn man ihm den Respekt entgegenbringt, den es verdient, wenn man es intellektuell und im Herzen in aufrichtiger Weise fordert“, bilanzierte Intendant Markus Hinterhäuser zuletzt in einem Gespräch mit der APA und ergänzte: „Den Menschen, die zu den Festspielen kommen, sollte man nicht das Gefühl geben, wandelnde Kreditkarten zu sein, dann kommt viel an Empathie und Freundschaft zurück.“

Die ORF.at-Top-Fünf

In der Wertung von ORF.at bleiben fünf herausragende Produktionen besonders zu erwähnen: Die „Clemenza di Tito“ unter Peter Sellars und Teodor Currentzis, die „Rose Bernd“ auf der Perner-Insel, eine atemberaubende „Lady Macbeth von Mzensk“ in der überzeugenden Kombination Jansons und Andreas Kriegenburg (Regie), eine ungewöhnlich nachdenkliche „Aida“ und schließlich ein grandioser „Lear“ mit dem Regiedebüt von Simon Stone in Salzburg, das überzeugender kaum hätte ausfallen können.

Gerald Heidegger, Sophie Felbermair, beide ORF.at

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