RSO mit Cornelius Meister in der Felsenreitschule

Salzburger Festspiele / Marco Borelli

In der „Meister“-Klasse der Moderne

Entrückung, Entzücken und Musikgeschichtsstunde müssen kein Widerspruch sein. Mit einem, gerade auch bühnentechnisch, breit aufgestellten Spagat zeigte das ORF-Radiosymphonieorchester unter Cornelius Meister in der Salzburger Felsenreitschule, dass man von Wagner eine Brücke bis knapp zur Gegenwart spannen kann, und ein als unaufführbares Werk wie Claude Viviers „Siddharta“ als wuchtiges Klangerlebnis ausstellen kann. Wer dann noch über die Giacinto-Scelsi-Klippe gesprungen ist, wurde mit einer ordentlichen Dosis Richard Strauss belohnt.

Die Serie „Zeit mit Grisey“, gewidmet dem französischen Spektralisten Gerard Grisey, hat heuer bei den Salzburger Festspielen den Blick auf die Fragestellung des Klangspektrums geschärft. Wie sehr man dazu eine historische Perspektive aufspannen kann, belegt das ORF-Radiosymphonieorchester im letzten Jahr unter Cornelius Meister, das am Samstagabend als „Orchester zur Gast“ in der Felsenreitschule gastierte.

Sollbruchstelle Wagner

Zurück zu Wagners Tristan-Akkord und damit an den Beginn jenes Punktes, an dem sich die romantische Harmonieerwartung endgültig aufzulösen beginnt. Gespannt hat man den Bogen an diesem Abend über Richard Strauss’ frühe „Symphonische Dichtung“ "Tod und Verklärung (op.24), über Giascinto Scelsis späten „Hymnos für Orgel und Orchester“ (1963) bis hin zu Claude Viviers Auftragswerk „Siddharta“ aus dem Jahr 1976, an dem die Chance des Scheiterns größer als die der Realisierung ist, gespannt. Mehrmals muss sich das RSO neukonfigurieren und umsetzen, mal die Klangdichte im Näherrücken zelebrieren, mal, im Fall von Vivier, die maximale Breite der Felsenreitschule und die darin mögliche Auflösung der Klangtektonik ausnützen.

Wenn sich Scelsi und Vivier an der Klangfülle und dem Schweben und Sichtbarmachen der Zwischentöne begeistern, dann bietet auf jeden Fall Wagner die zugleich publikumswirksame Lehrstunde, wie seduktiv die Dissonanz einzusetzen ist - und dass es nicht mehr um die Spannungsauflösung gehen kann. Richard Strauss ist für diesen Ansatz fast schon wieder ein etwas weniger Mutvoller (oder diplomatischer gesprochen: stets um die publikumswirksame Ideenausstellung bemüht, bis sie der letzte auf dem Oberrang kapiert hat).

Hinweis:

Ö1 bringt eine Aufzeichnung dieses Konzertabends am 18. August um 19.30 Uhr.

„Siddharta“ und der breite Spagat

Die Entdeckung neben dem großartig fülligen wie präzise interpretierten Wagner sollte an diesem Abend Viviers „Siddharta“ sein, das so esoterisch-abschreckend im Titel wie zugleich verführerisch in eine Klangwelt führt, die das Schweben und Auflösen des Klanges ebenso zelebrierte wie das ständige Nachstoßen neuer Einsätze. Beeindruckend darin die wuchtige Fülle des Schlagwerks, das ein besonders satter Träger dieser west-östlichen Klangwelt war.

Scelsis Hymnos dagegen wird möglicherweise mehr die Musikologen im Publikum begeistert haben. Sein Zwischentonspektrum war für manchen im Publikum dann doch eine Probe für die Hörgewohnheiten. Zur Belohnung gab es ja immerhin Strauß - und die Erkenntnis, dass der Weg von der Moderne zum Zeitgenössischen gar nicht so weh tun muss.

Das Publikum bedachte zu Recht ein großartiges RSO und einen mit großer Neugierde und Umsicht agierenden Cornelius Meister mit starkem Applaus.

Gerald Heidegger, ORF.at

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