Anna Netrebko als Aida

Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus

Neshat, Netrebko und der „Aida“-Spagat

Wenn es so etwas wie eine große Kunst der Oper gibt, dann wohl die: die Widersprüche gegen sich selbst auf der Bühne zu feiern und Begeisterung zu ernten. Zu erleben am Sonntagabend bei der Opernpremiere des Jahres: Verdis „Aida“ wurde in der Regie der Iranerin Shirin Neshat zum großen Triumph gegen sich selbst und den Erfinder des Werkes. Und ließ, dank eines verzögert brillierenden Riccardo Muti samt Wiener Philharmonikern und einer rätselhaft-unnahbaren Anna Netrebko, einen Verdi aus dem Dunkel strahlen, der vor allem Verdi selbst unheimlich gewesen wäre.

Die 1871 in Ägypten mit Pomp und deftig aufgetragenem Dekor uraufgeführte Oper „Aida“ über die ausweglose Liebe zwischen Sieger und Besiegter kennt man als überladenen Klassiker im Stadion- und Freiluftspektakel-Format - mit einem Triumphmarsch am Höhepunkt, der Stolz und Kriegsbegeisterung recht hemmungslos vor sich her trägt (nicht umsonst wurde die Arena di Verona als Freiluftbühne mit dieser Oper eröffnet).

Wenig Wunder, dass man Aida, mit dem darin transportierten Sieg der Ägypter über die „barbarischen Äthiopier“ gerade im 20. Jahrhundert noch viel hemmungsloser in den Dienst machtpolitischer Interpretationen stellte. Und die Ägypter gern als europäische „Partner“ sah - die pikanterweise zum Zeitpunkt der Uraufführung knapp vor Eröffnung des Sueskanals unter internationale Finanzverwaltung gestellt wurden.

TV-Hinweis

Die neue „Aida“-Inszenierung in Salzburg sendet der ORF live-zeitversetzt am Samstag, 12. August, um 19.30 Uhr in Ö1 und um 20.15 Uhr in ORF2. Als Dacapo ist die Salzburger „Aida“ am Sonntag, 13. August, um 21.20 Uhr in ORF III zu erleben. Bereits am Montag ist Netrebko ab 22.30 Uhr in „kulturMontag“ in ORF2 zu Gast, wo sie über anhaltende „Skandale“ während der Proben spricht.

Das faschistische Italien nahm das Werk als Jubelfolie für den Abessinien-Feldzug und seine Rassenpolitik gegen vermeintlich minderwertige Afrikaner in Beschlag - und auch Hitler bekam bei seinem Neapel-Besuch 1938 ausgerechnet dieses für ein nationales Selbstbewusstsein nachfokussierte Werk zu sehen. Die Ägypter, das waren die durch den Kolonialismus geführten Europäer, die die Äthiopier besiegt hatten, so die, nicht nur von Edward Said kritisierte, „imperialistische Lesart“ des Stückes.

Wer freilich Verdi von Pomp und Waffenklirren befreit, kann einen ganz anderen Plot zeigen - den eines, zugegeben, verzweifelten Sieges der Liebe gegen alle Systemzwänge, ja einen wenngleich tragischen Triumph der Tochter Aida gegen alle Einschüchterungsversuche eines dominanten Vaters.

Szenenbild aus der neuen Aida in Salzburg

Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus

Minimalistisch-nüchtern und zugleich archaisch: Eine mitunter hölzern auf der Bühne stehende Inszenierung dominiert die ersten zwei Akte

Eine Oper mit Schwarzblenden

Die iranische Foto- und Videokünstlerin Shirin Neshat entscheidet sich für diese fundamentale Lesart - und muss von Anfang an für Klarheit und Ruhe sorgen: „Aida“ wird zunächst abgerüstet, minimalisiert, ja man könnte sagen ästhetisch demilitarisiert. Aus mehreren Minuten der Stille schleicht Verdis verführerisch-ruhige Ouvertüre vor dem Schwarz des Bühnenvorhangs in den Raum (unnötig zu sagen, wie sehr Muti diese Form der Inszenierung des Orchesters auf seine ganz persönliche Art zu schätzen weiß).

Priesterinnen und Priester in Schwarz-Weißen Gewändern

Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus

Aida und die Macht des Systems: Priesterinnen und Priester im ersten Akt auf der Bühne

Es soll die Musik für sich stehen - und den sich senkenden und hebenden Bühnenvorhang nutzt Neshat wie eine langsame Schwarzblende der Filmarbeit, mit der sie vor allem im ersten Akt sagen möchte: Ich, als weibliche Künstlerin aus dem Nahen Osten, takte dieses Werk neu. Man darf sich, wie das schon alle Wochen davor geschehen ist, an Neshats erste große Videoarbeit „Turbulent“ aus dem Jahr 1998 erinnert fühlen, in der ein singender Mann auf der Bühne ein großes männliches Publikum hat, während eine Frau beinahe wortlos und guttural in einen leeren Raum singen muss.

Eine Stimme für die Frau

Neshat will Aida eine Stimme verleihen. Sie möchte die Zerrissenheit der Hauptfigur als Frau im Exil, die den Schmerz des Verlusts in sich trägt, aus eigener Sympathie, wie sie auch immer betont hat, in den Mittelpunkt stellen. Sie ordnet auch Radames (Francesco Meli), dem Feldherren und Liebhaber, eine besondere Rolle zu: Er ist schon in der Uniform, die er trägt, eher der farblose Systemerhalter, der aber durch seine Herzensbildung strahlen darf. Neshat konterkariert alle Konventionen der Oper; Aida und Radames in gedeckten Farben.

Aida vor Video-Wand mit Darstellern in Schwarzweiss

Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus

Aida und die Sehnsucht nach ihrem Volk, der Heimat und all jenen, die das Schicksal der Geflohenen teilen. An einigen Stellen des Abends montiert Neshat Videos wie Dialogpartner in die Inszenierung.

Im strahlenden Gelb, später, vor dem Moment des „Verrats“, im reinen Weiß - und schließlich im Finale der Todesgewissheit im trauernden Schwarz spielt Amneris (Ekaterina Semenchuk) eine nicht minder wichtige Rolle als Tochter des Machtsystems und von Liebe und Eifersucht geblendete Frau - besonders eindrucksvoll an diesem Abend die Kostüme von Tatyana van Walsum. Gegen den Starkult der Oper stellt diese Inszenierung eine in sich völlig abhängige Konstellation in den Mittelpunkt, die schlüssig die wahre Tragödie unter dem Schlachtenlärm verdeutlicht.

Aida 2017: Anna Netrebko (Aida), Ekaterina Semenchuk (Amneris)

Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus

Ekaterina Semenchuk als Amneris wird in dieser Inszenierung aufgewertet. Das funktioniert auch in stimmlicher Hinsicht: Netrebko und Semenchuk sind an diesem Abend zwei sehr dunkel getaktete Partnerinnen.

Abgesang auf die Priesterkaste

Die Priester als Fädenzieher im Hintergrund haben bei Neshat ausgedient. Dieser Umstand wird aber erst sehr spät und im langsam zehrenden Erkenntnisprozess des Abends deutlich. Zunächst scheinen Priester und Priesterinnen übermächtig, unheimlich dominant in dem Setting der minimalistischen Bühne, die immer wieder zwei weiße, betonartige Schalen zueinanderführt und auseinanderzieht.

Erst im zweiten Teil des Abends geht das gerade auch über die aufgeblendeten Videoarbeiten Neshats inszenierte Spiel auf. Die Priester, sie werden zu hybriden Zerrbildern, die in ihrem Tempel rätselhafte Sprüche formulieren. Nicht nur bildlich erscheinen sie als Aufblendvideo auf dem großen weißen Block, in dem sie verschwinden, beinahe als Fratzen.

Ekaterina Semchuk als Anamneris neben der weißen Kaaba

Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus

Im reinen Weiß erkennt Amneris die Auswirkungen ihrer Informationsweitergabe an den höchsten Rat im Staat

Neshat stellt im Finale ein zum Selbstläufer gewordenes System in den Mittelpunkt ihrer Bühne. Der große, weiße Block, er wird von den Charakteren nicht umwandelt, sondern dreht sich, angetrieben von den darin verschwundenen Priestern, selbst - und er dreht sich gegen den einzelnen Menschen. Man mag den weißen Monolithen im Raum als Bezugnahme auf die Kaaba in Mekka lesen. Doch Neshat betonte im Vorfeld immer wieder, es gehe ihr nicht um Kritik an einer Religion, sondern um die grundsätzliche Infragestellung der Übermacht von Religionen.

Alle religiösen Bezüge werden an diesem Abend verzerrt oder verfremdet. Mitunter können in diesem Vorgang aber Urbedeutungen sichtbar werden. Der Schwarze Stein etwa, Herzstück der Kaaba, soll nach islamischer Überlieferung „weiß, ja weißer als Milch“ gewesen und mit der Zeit schwarz geworden zu sein. Nach der Überlieferung stammt der Stein direkt aus dem Paradies - das an diesem Abend weit von der Möglichkeit der Handelnden liegt.

Francesco Meli (Radamès), Benedetta Torre (Oberpriesterin), Dmitry Belosselskiy (Ramfis), Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor

Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus

Francesco Meli als Radames: Über ihm leuchtet das Schicksal der Clemens-Holzmeister-Lampen

Die Oper als Widerspruch in sich

Es bleibt einer der großen, nicht aufzulösenden Widersprüche dieses Abends, dass Neshat mit ihrer Arbeit einen komplett neuen Blick auf die „Aida“ möglich macht und dabei, gerade in der Musik, genau die Elemente der Kriegsfeierlichkeit und auch des Orientalismus-Zaubers innerhalb der Oper stark in den Vordergrund rückt und verdeutlicht.

Für Muti als Musikmeister des Abends, die Wiener Philharmoniker und den Staatsopernchor wird das, nach verhaltenem Beginn in den ersten 20 Minuten, zur Sternstunde, die gerade rätselhafte Schönheit dieser Oper besonders strahlen zu lassen. Selten hat man eine derart stimmige „Aida“ erlebt - die im ersten Teil auch so hölzern auf der Bühne stand, dass man getrost die Augen schließen und diesen brillanten Verdi in sich einziehen lassen konnte.

Netrebko brilliert als rätselhaft-distante Aida - eindrucksvoll im Zusammenspiel mit Meli als Radames in einer bedrückenden Schlussszene, die sich nur noch im letzten Zwielicht vor dem kompletten Dunkel abspielt. Geschickt gerade im Finale: das Spiel mit dem Chor aus dem Hintergrund, das die Schicksalsergebenheit der Figuren noch beklemmender macht. An der Seite der weißen Kaaba beweint Semenchuk als Amneris ihre Schlüsselrolle der Rächerin aus „blinder Eifersucht“. Zn den letzten Takten senkt sich noch einmal die Schwarzblende - und das letzte Licht, es fällt auf den Maestro allein. Revolution und Traditionsbewahrung - an diesem Abend sollte das kein Widerspruch sein.

Gerald Heidegger, ORF.at

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