Zwangsarbeiter im Lager

Salzburger Festspiele / Thomas Aurin

„Lady Macbeth“: „Russian Psycho“ in Salzburg

Lange vor „American Psycho“ wusste Dimitri Schostakowitsch: Wer eine gelangweilte russische Seele reizt, riskiert mitunter mehr als ein Leben. Seine „Lady Macbeth von Mzensk“, eine Art Emma Bovary mit vielen Todesfolgen, wurde am Mittwochabend zur fulminanten Operngala der Salzburger Festspiele. Was man etwa beim „Rosenkavalier“ noch in Anspielungen findet, wird hier zwischen Verführung, Sexualität und blanker Gewalt direkt und schonungslos vor Aug und Ohr geführt.

Als müsste man die „Clemenza“ toppen und den „Aida“-Hype vergessen lassen, wuchteten Mariss Jansons, die Wiener Philharmoniker und der Staatsopernchor eine Interpretation dieses hemmungslosen Musikstücks in den Raum, die das Publikum atemlos zurückließ. Andreas Kriegenburg wiederum zeigte mit seiner Regie, wie viel kluges Theater und wie viel Detaillierung in der Darstellung einer Oper abzugewinnen sind - und wie man ein großes Bühnenspiel auf der gar nicht so einfachen Festspielhaus-Breite unterbringt.

Geschickt hat sich Kriegenburg in seiner ersten Salzburger Opernarbeit diesem musikhistorisch schwierigen Werk angenähert: trotz innerer Motivierung aller Taten nicht zu viel Psychologie. Aber auch nicht zu viel Milieutheorie.

Eine Oper aus heikler Zeit

Der junge Schostakowitsch hatte in der Zeit des aufziehenden stalinistischen Terrors bei seiner Opernpremiere im Jahr 1934 zahlreiche Klippen zu umschiffen. Die Oper stand als bourgeoises Unterhaltungsspektakel unter Verdacht - und wurde zugleich vom Publikum geliebt. Es musste also eine Geschichte her, die einerseits in sich schlüssig motiviert ist - deren Umstände sich aber immer noch als Resultat gesellschaftlicher Zwänge lesen ließen. Bekanntlich waren Stalin und die „Prawda“ not amused, was diesen Spagat anlangte, und Schostakowitsch musste zurückrudern, was seine folgenden Großarbeiten anlangte.

„Lady Macbeth von Mzensk“ in Salzburg

Die Oper feierte am Mittwoch bei den Festspielen Premiere und widmet sich dem Thema Macht. Der Sensationserfolg von Schostakowitsch war in der Sowjetunion einst verboten.

Die Entdeckung einer düsteren Vorlage

Dass Schostakowitsch bei einer düsteren Novelle von Nikolai Leskow aus dem 19. Jahrhundert hängen blieb, in der der Ehebruch einer vom Dasein gelangweilten Frau in zahlreiche Morde und einen Selbstmord mündet, erstaunte schon zu seiner Zeit viele. Doch der Komponist, der schon in jungen Jahren ein ungemeines Wissen um musikalische Formensprache entwickelte, liebte offenkundig das Moment der Verfremdung. War der gelangweilte Mensch in Männergestalt ein großer Topos in der Literatur seines Landes im 19. Jahrhundert, suchte er sich eine Frau als Zentrum des Geschehens, deren Antriebe zu den Morden er eigentlich im Dunkeln lässt.

Nina Stemme (Katerina Lwowna Ismailowa), Brandon Jovanovich (Sergej), Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor

Salzburger Festspiele / Thomas Aurin

Die Sehnsucht nach einer Traumhochzeit, die keine werden wird: Eine großartige Nina Stemme als Katerina mit ihrem Gegenüber Brandon Jovanovich als Sergej

Nicht zu viel Mitgefühl

Sollen wir Mitgefühl entwickeln mit Katarina Ismailowa (Nina Stemme), die unter der unangenehmen Hausdiktatur ihres Schwiegervaters Boris Ismailowitsch (Dimitri Uljanow) lebt, während ihr instabiler und allen Sinnesreizen seiner Frau abgeneigter Mann Sinowi (Maxim Paster) die Aufträge des Vaters umsetzt und die eigene Kaufmannswelt am Laufen halten muss?

Regisseur Kriegenburg hakt hier ein. Er will keine psychologische Deutung zur Frage, warum eine unglücklich verheiratete Frau zuerst den Schwiegervater, dann den Ehemann umbringt, um mit ihrem proletarisch virilen Liebhaber Sergej (Brandon Jovanovich) eine vermeintliche Ehe des Herzens eingehen zu können. Kriegenburg liest den Text des Librettos genau, der mehr von Urtrieben, Gier, Exzess, Gewalt („Dem einen die Euter/dem andren den Arsch“) als von Sehnsüchten und Erfüllung handelt.

Hinweis

Ö1 bringt am 5. August um 19.30 Uhr eine Aufzeichnung der Salzburger „Lady Macbeth“-Produktion. Die Neuinszenierung ist noch am 5., 10., 15. und 21. August im Großen Festspielhaus in Salzburg zu sehen.

Auch die Musik von Schostakowitsch schöpft ja gerade dann, wenn Menschen einander nahekommen - man denke an die Erfüllungsbegegnung zwischen Katerina und Sergej am Ende des ersten Aktes - aus dem Vollen und deutet Ekstase mit Brachialität und vollem Orchestereinsatz.

Regie schiebt die Figuren zueinander

Kriegenburg, der Meister der Drehtechniken auf der Bühne, eröffnet im eindrucksvoll düsteren Bühnenbild von Harald B. Thor, das an einen über die Jahre hinweg brachliegenden Rohbau erinnert, Räume für unangenehm nahe Begegnungen. Aus der Betonwand schiebt er von links den erleuchteten Raum der sich sehnenden Frau, von rechts markiert er den Raum der Kaufmannsfamilie, der ebenfalls phallusartig ins Baustellendekor hineinfährt.

Das nach vorne hin geöffnete Stiegenhaus in der Bühnenmitte, das ein eindeutiges Handlungszentrum definiert, mag man in diesem sexualisierten wie trostlosen Dekor lesen, wie man mag. Unentfesselte Triebkraft liegt in der Luft - und Kriegenburg unterstreicht das mit der Aufblendung bunter Kreidezeichnungen.

Alle Grenzen fallen

Alle Grenzen fallen und verflüssigen sich, und immer ist das herumlungernde Proletariat wie eine Echokammer des Geschehens der handelnden Hauptfiguren und treibt die Energien des Abends wie Brandbeschleuniger an. Der brillante Staatsopernchor und Statisten sind an diesem Abend ein entscheidendes Element für die überwältigende Überzeugungskraft der Szenerie.

Massenszene bei Lady Macbeth

Salzburger Festspiele / Thomas Aurin

Über die Düsternis des Dekors kann sich auch aufgeblendete Farbe legen: Bühnenbild und Psychologie von Harald B. Thor

Endstation Sibirien

Es sind die Arbeiter, die die Leiche des ermordeten Ehemanns entdecken. Den mit dem Rattengift eliminierten Schwiegervater konnte die öffentliche Wahrnehmung noch als tragischen Tod verbuchen. Die Hochzeit zwischen Katerina und Sergej wird das stilisiert-karikierte Phantasma, als das es Schostakowitsch musikalisch darstellt. Es geht für beide nach Sibirien ins Arbeitslager - und Schostakowitsch greift für das dramaturgisch beschleunigte Ende tief in die Musikgeschichte, sodass auch der dominante Wagnerismus in der Oper mit einem Pauke-Bläser-Seitenhieb auf das „Ring“-Motiv sein Fett abbekommt.

Sergej wird sich nicht als der „gerade Kerl“ erweisen, als der er sich Katerina darzustellen versuchte. Die nächste Frau unter den Häftlingen weckt seine sexuelle Gier. Die Lady Macbeth von Mzensk rächt und bestraft sich selbst. Mord an der Geliebten und Suizid sind das drastische Schlussbild - das einen Mann zurücklässt, der sich im Ausleben seiner Triebe besser vorher einen Gedanken mehr gemacht hätte. Wer hier nach Mitgefühl und Identifizierung, ja Verständnis sucht, muss lange graben und wird unter der Düsternis des Betons wenig finden.

Großartige Nina Stemme

Stemme überzeugt als großartige, eindrucksvolle Lady Macbeth, die eben nie zu weit aus der ihr zugedachten Schablone rückt und die Typisierung der unglücklichen Frau vorantreibt. Jovanovich an ihrer Seite ist stimmlich solide und beeindruckt schauspielerisch. Uljanow glänzt als ekelig-eitler Schwiegervater. Im Buzz um die aufziehende „Aida“-Premiere am Sonntag hat sich Salzburg mit dieser „Lady Macbeth“ in diesem Sommer die vielleicht kompletteste Opernpremiere geschenkt.

Gerald Heidegger, ORF.at

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