Jude Law in Wien: Eiskalt und eingeölt
Bis der britische Schauspieler das erste Mal mit freiem Oberkörper auf der Bühne steht, vergehen gerade fünf Minuten. Genau so lange braucht er als Landstreicher Gino nämlich, die junge Frau eines Tankstellenbesitzers, Hanna (Halina Reijn), von sich zu überzeugen. Aus leidenschaftlichem Sex wird genauso schnell die Liebe des Lebens und der Plan, gemeinsam zu verschwinden. Dem jungen Glück im Weg steht einzig Hannas Mann Joseph (Gijs Scholten van Aschat), der schnell charakterisiert ist: Er erschießt kleine Katzen. Es folgen Besessenheit, Abhängigkeit, Verzweiflung, eine Schwangerschaft und zwei Morde.

Jan Versweyveld
Auftritt Jude Law: Mundharmonika spielend, wie sich das als Landstreicher gehört
Was in der Vorlage des Stücks, Luchino Viscontis Erstlingswerk „Ossessione“ (1942), für den italienischen Neorealismus genrebildend war - der ungeschminkte Blick auf die Wirklichkeit -, ist hier in kalte Ästhetik getaucht. Auf der riesigen Bühne der Halle E im MuseumsQuartier dominiert nüchterne Leere. Nur eine schmucklose Bar, ein in der Luft schwebender Motorblock, eine allein stehende Ziehharmonika und ein Trog mit Wasserhahn dienen als lose Verortung des Dramas auf der Tankstelle.
Die Suche nach dem Kern der Leidenschaft
„Italienisches Flair“ und zeitliche Bezüge habe er absichtlich fast vollständig gestrichen, so Van Hove im Programmtext - mit dem Ziel, „die Geschichte, was wahre Leidenschaft ist“, analysieren zu können. Allein: Diese Idee geht nicht auf. Auf den Kern der Geschichte reduziert - in teils wirklich platten Dialogen erzählt - bleibt wenig von dem, was in Viscontis Schwarz-Weiß-Film dank Bildsprache und Atmosphäre für düstere, dichte Spannung sorgte.
Hinweis
„Obsession“ ist bei den Festwochen noch am 1. und 2. Juni jeweils um 19.30 Uhr und am 3. Juni um 15.00 und 19.30 Uhr in der Halle E im MuseumsQuartier zu sehen.
Womöglich noch das deutlichste Bild des Abends ist der immer wieder fliehende Law, der nicht von der Stelle kommt, weil man ihn auf ein Laufband in Bühnenmitte gestellt hat. Manchmal fast unfreiwillig komisch wirken hingegen die Gefühlsausbrüche Hannas, die von tobender Wut zu rasender Liebe wechselt, genauso wie Ginos zunehmende Ausweglosigkeit, deren Tiefe so gar nicht über die Rampe kommt, auch nicht durch eine Serie reichlich flacher Regieideen.
So waschen einander Gino und Hanna ausgiebig im Trog, was gleichzeitig als überdimensionaler Softerotik-Film projiziert wird. Selbst der Mord am Ehemann unter dem Autowrack lässt in dieser Inszenierung ein paar mit schwarzem Öl ausgiebig eingeschmierte Körper (zwei lebend, einer tot) zurück. Einmal mehr drängen sich Fragen auf: weil das gut ausschaut? Weil das Publikum Law so sehen will?
Schöne Liebende, opernaffiner Ungustl
In der tiefergehenden Figurenzeichnung hält sich die Adaption von Van Hoves Dramaturgen Jan Peter Gerrits sehr zurück. Hanna ist sexy und jung, Gino ist sexy und unnahbar, Joseph ein auf seinen eigenen Vorteil bedachter Ungustl, der schön Opernarien singen kann. Alle anderen (Chukwudi Iwiji als Priester/Inspektor, Robert de Hoog als Landstreicher Johnny und Aysha Kaia als Revuegirl Anita) sind Nebenfiguren, die an diesem Abend kein weiteres Profil bekommen.

Jan Versweyveld
Hanna (Halina Reijn), ihr Mann Joseph (Gijs Scholten van Aschat) und Gino (Jude Law): Keiner wird glücklich
Was man von der niederländischen Toneelgroep schon bei früheren Festwochen-Gastspielen gesehen hat, wird auch hier professionell eingesetzt. Videoprojektionen auf Bühnenwände, Licht- und Sounddesign (Eric Sleichim) auf höchstem Niveau und eine durchgehend große Ästhetik. Anders als etwa bei der vor zwei Jahre gezeigten Shakespeare-Adaption „Kings of War“ ist der Einsatz der Mittel aber nicht nachvollziehbar. Dem Publikum der Wien-Premiere schien das beim verhältnismäßig langen Applaus nebensächlich. Man war gekommen, Law zu sehen. Mission erfüllt.
Sophia Felbermair, ORF.at