Szenenbild aus "Die Anpassung"

Festwochen / Rézâ Ghâziâni

Die Träume iranischer Frauen

In ihrem semidokumentarischen Küchen-Kammerspiel über weibliche Träume, Leidenschaft und Schmerz hinterfragt Regisseurin Afsaneh Mahian die Rolle der Frau im Iran. Mit „Die Anpassung/ Ham Havayi“ ist ihr ein ernüchternder, beklemmender, teilweise auch humorvoller Abend gelungen, der tiefe Einblicke in eine andere Kultur gewährt. Bei der Festwochen-Premiere setzte es Standing Ovations.

Dunkelheit. Stille. Im Schwarz der Bühne lässt sich nur schemenhaft Bewegung ausmachen. Irgendwo dort vorne knackt und knirscht es rhythmisch, es folgt ein heftiges Poltern: Die nun heller werdende Bühne offenbart eine Schale mit Walnüssen, die zu Boden gegangen ist. Vor drei modernen Küchentischen liegen die Nüsse jetzt auf dem Boden verstreut.

Auch im Scheinwerferlicht dominiert noch die Farbe Schwarz: Schwarz ist die Kücheneinrichtung, schwarz sind die Tschadors, die die drei Frauen tragen, die hinter den Tischen sitzen. Während sie ruhig ihrer Küchenarbeit nachgehen, werden sie in den folgenden zwei Stunden aus ihrem Leben erzählen: von der großen Liebe, den großen Enttäuschungen und von fatalen Entscheidungen. Vor dem inneren Auge entstehen dabei drei individuelle Biographien, die jedoch von einem gemeinsamen, politisch und religiös diktierten Schicksal gezeichnet sind.

Erinnerung einer Golfkriegs-Witwe

Da ist einmal Mahnaz, berührend gespielt von Elham Korda. Sie ist die älteste der drei Iranerinnen. Während sie ihre Nüsse zärtlich und geduldig am Boden zusammensammelt, beginnt sie zu erzählen. Glückselig spricht sie von ihrer Hochzeit im Jahr 1979, schwärmt von ihrem Ehemann, dem Piloten, und schwenkt dann ernüchtert über zum ersten Golf-Krieg Anfang der 80er-Jahre, der ihr perfektes Leben auf den Kopf stellte.

Szenenbild aus "Die Anpassung"

Festwochen / Rézâ Ghâziâni

Den Verlust ihres Mannes hat Mahnaz (Elham Korda) nicht verkraftet

Als bester Pilot des Landes wird ihr Mann sofort in die iranische Armee eingezogen. Unzählige erfolgreiche Einsätze fliegt er, bis er eines Tages nicht mehr heim kehrt. Mahnaz’ Mann stirbt als „Held“ und lässt seine Frau mit dem kleinen Sohn inmitten der Kriegswirren zurück.

Auch heute, 35 Jahre später, bricht Mahnaz zusammen, wenn sie die Beerdigung ihrer großen Liebe schildert. Doch sie sammelt sich wieder, um weiter zu berichten, von ihrer Randexistenz als junger Witwe, dem Rückhalt in der Familie, dem einzigen Sohn und davon, wie die Geschichte ihres Mannes nicht und nicht von ihr ablässt.

Träume einer verhinderten Juristin

Die Sorgen um den Sohn, der sich einer Bergsteigergruppe angeschlossen hat, verknüpft Mahnaz mit der Geschichte der jüngeren Leila - mitreißend dargestellt von Baran Korasi. Nach vielen beschwerlichen Umwegen entdeckt Leila ihre Bestimmung und wird Profi-Bergsteigerin. Die gesellschaftlichen Konventionen legen ihr im Iran viele Steine in den Weg, bevor sie als erste Frau die höchsten Gipfel des Landes besteigen kann. Ihr Vater verbietet ihr das Jus-Studium - an der Universität habe sie ja doch nur mit Männern zu tun. Besser, sie arbeite in einem weiblichen Umfeld.

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Festwochen / Rézâ Ghâziâni

Leila stellt sich gegen alle Konventionen und wird Bergsteigerin (Baran Korasi)

Widerwillig inskribiert sich Leila für Mikrobiologie, um nicht in ihrer Heimatstadt studieren zu müssen. Doch die eigene Familie zieht kurzerhand mit ihr in die neue Universitätsstadt um. Aus, der Traum von der neuen Unabhängigkeit. Nach dem Studium langweilt sich Leila in diversen Jobs. Frei fühlt sie sich nur an der steilen Felswand.

Die Liebe zum Berg entfacht auch Leilas erste Liebe zu einem Mann. Nach einem tödlichen Unfall an einem Achttausender will dieser allerdings nichts mehr von ihr wissen. Nicht nur ihr privates Glück geht in die Brüche. Wegen des Absturzes muss sich Leila auch vor Gericht verantworten. Als Leiterin der Expeditionsgruppe wird ihr vorgeworfen, den Tod des Teammitglieds absichtlich herbeigeführt zu haben, um den Misserfolg der Tour zu vertuschen.

Aufopferung einer heimlichen Geliebten

Während Leila freigesprochen wird, fällt das Gericht über Shahla, kokett gespielt von Setareh Eskandari, das katastrophale Urteil: Todesstrafe für den Mord an einer Nebenbuhlerin. Shahlas Weg zum Galgen verläuft ebenso tragisch wie ihr ganzes Leben. Schon als Mädchen schwärmt sie für einen berühmten iranischen Fußballer mit dem sie schließlich eine Affäre beginnt. Der verheiratete Star führt mit Shahla ein Doppelleben – in einer Zweitwohnung, nicht weit des ehelichen Zuhauses und im Schatten der eigenen Ehefrau.

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Festwochen / Rézâ Ghâziâni

Shahla (Setareh Eskandari) führt das Leben einer heimlichen Geliebten

Aus Liebe, wie sie glaubt, nimmt Shahla jede Kränkung hin. Sie akzeptiert, dass der Geliebte die offizielle Frau bevorzugt und Shahla vor Familie und Öffentlichkeit verbirgt. Auf Drängen des Mannes treibt sie sogar ab, weil sich „ein Kind einfach nicht verstecken lässt“. Als der Angebetete schließlich seine Frau ermordet, geht Shahla an seiner Statt ins Gefängnis. Über sieben Jahre wartet sie auf ihre Hinrichtung, eine Zeit, in der sie sich endlich entliebt haben will. Und doch denkt sie selbst am Tag der Exekution nur an ihn: Schön will sie sein, wenn der Mann kommt, um den letzten Gang der Frau zu sehen.

Von Facebook auf die Bühne

Das Stück schließt, wie es begonnen hat: Langsam versinkt die karge Bühnen-Küche wieder im Dunklen. Doch während der vergangenen zwei Stunden hat sich dieser private Ort mit den Erzählungen der Frauen aufgeladen: Er ist zum öffentlichen, zum politischen Raum geworden.

Jede der drei Lebensgeschichten, die an diesem Abend zu hören waren, beruht übrigens auf einer wahren Begebenheit: Für die Monologe von „Die Anpassung“ sammelte die iranische Autorin Mahin Sadri dokumentarisches Material. Die Geschichte der heimlichen Geliebten und angeblichen Mörderin stützt sich auf eine Fernseh-Dokumentation, die Sadri auch zum Schreiben des Stückes bewegte. Im Publikumsgespräch erzählt Sadri, wie sehr sie das Selbstbewusstsein der jungen Angeklagten beeindruckte, mit dem diese vor Gericht ihre Liebe verteidigte. „Und das in einem Land wie dem Iran, in dem Menschen selten über Gefühle, vor allem über Liebe, sprechen!“, so Sadri.

Szenenbild aus "Die Anpassung"

Festwochen / Rézâ Ghâziâni

Die Küchenarbeiten hinterfragen das Klischee von der Frau hinter dem Herd

Dem Vorbild für Leila begegnete die Autorin auf Facebook. Dort sah sie das Profil einer Iranerin, die ihr Leben in der männlich dominierten Bergsteiger-Welt riskierte. In ihrem Stück arbeitete Sadri die Parallelen zur verratenen Geliebten und Kriegswitwe heraus.

Tosender Applaus für mutige Inszenierung

Wenn die biografischen Passagen im Jahr 1979 einsetzen, ist das kein Zufall: 1979 veränderte die iranischen Revolution das politische Klima im gesamten Land. 36 Jahre im Leben dreier Frauen spiegeln 36 Jahre iranischer Geschichte. Von 1979 spannt sich der Bogen zum ersten Golf-Krieg Anfang der 80er-Jahre über die Reformzeit der 90er bis heute. Die Aufgabe der Frauen in diesen bewegten Zeiten: Anpassung.

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Festwochen / Rézâ Ghâziâni

Drei Frauen, drei Schicksale: Jedes steht für Stärke, Willen und vor allem Mut

Hinweis

„Die Anpassung/Ham Havayi“ ist bei den Festwochen noch am 14., 15. und 16. Juni, jeweils um 20.30 Uhr, in Halle G im Wiener MuseumsQuartier zu sehen. Das Stück wird in persischer Sprache mit deutschen Übertiteln gespielt.

Die iranische Regisseurin Afsaneh Mahian ist mit „Die Anpassung“ zum ersten Mal Gast der Wiener Festwochen. Die 42-jährige ehemalige Schauspielerin wechselte erst kürzlich ins Regiefach. Ihrer Inszenierung von „Die Anpassung“ - im Original „Ham Havayi“ - wurde schon im vergangenen Jahr bei der Uraufführung auf dem internationalem Theaterfestival Fadjr in Teheran große Beachtung geschenkt. Im Anschluss war das Stück in einigen europäischen Städten zu sehen.

In Wien feierte „Die Anpassung“ seine deutschsprachige Erstaufführung. Am Ende des Premierenabends belohnt das Publikum der Halle G im Wiener MuseumsQuartier die tolle schauspielerische Leistung und den Mut, diese Theman trotz aller Restriktionen in der Heimat auf die Bühne zu bringen, mit anhaltendem, tosendem Applaus.

Lilian Spatz, ORF.at

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