Szenenbild aus der Performance "Dark Circus"

Festwochen / JM BESENVAL

Artist tot, nächste Nummer bitte

Zum ersten Mal gastiert das Duo Stereoptik bei den Wiener Festwochen. Ihre poppige Zeichentrickperformance „Dark Circus“ knistert vor kreativer Energie: Mit einfachsten Materialien – Wasser, Sand, Papier und Tusche - zaubern die beiden Franzosen einen Abend voll schöner Leichen auf die Leinwand. Das perfekte Programm für Wien.

Gibt es eigentlich einen Plural von Applaus? Für das französische Künstlerduo Stereoptik muss es ihn geben. Denn wie bei einer richtigen Zirkusvorstellung, wurde ihre hinreißende Schwarz-Weiß-Performance immer wieder von Nummernbeifall unterbrochen.

Das Publikum des brut setzte sich bei der Wien-Premiere des Programms „Dark Circus“ (nach einer Vorlage des Kinderbuchautors Pef alias Pierre Elie Ferrier) am Samstag zum ersten Mal während der Festwochen aus Erwachsenen und Kindern zusammen. Wobei gerade die jüngeren der Zuschauer den rabenschwarzen Humor der Franzosen goutierten.

Szenenbild aus der Performance "Dark Circus"

Festwochen / JM BESENVAL

Die kleine Trapezkünstlerin gibt auch „a schene Leich“

Da fraß der Löwe den Dompteur, der Messerwerfer traf siebenmal neben den Körper des Kollegen, beim achten Mal allerdings mitten ins Herz. Und die schöne Trapezkünstlerin, deren Kurven durchs goldene Licht eines Overheadprojektor-Mondes glitten, gab nach dem Fall „a schene Leich“ ab. In ihrer rabenschwarzen Zirkusvorstellung zelebrierten Stereoptik die hohe Kunst des Künstlerpechs.

Niedlich, böse, wunderschön

Dabei sind Jean-Baptiste Maillet und Romain Bermond, wie das Duo mit bürgerlichen Namen heißt, selbst in hohem Grad abhängig vom glücklichen Gelingen, hängen doch so einige Elemente ihrer Bühnentechnik am seidenen Faden: Kein Luftzug sollte etwa durch den Raum gehen, denn die beiden gelernten Musiker und Bühnenbildner arbeiten unter anderem mit Sand-Schütt-Bildern.

Eine dünne Schicht Sand wird dazu auf die helle Fläche eines Overheadprojektors bzw. Animation-Leuchttisches geschüttet. Dann ziehen flinke Finger in dieser Fläche Punkte, Linien, Schraffuren. Eine Kamera überträgt das Ganze live auf die Leinwand in der Bühnenmitte.

Szenenbild aus der Performance "Dark Circus"

Festwochen / JM BESENVAL

Für die Sand-Schütt-Landschaften braucht es eine ruhige Hand

Und schon ist sie da: die Prärie, durch die ein Mustang galoppiert. Ein paar weitere Wischer mit dem Handrücken, und ein Felsen zeichnet sich ab. Der Cowboy, der versucht, den Mustang mit dem Lasso einzufangen, wird von diesem hoch durch die Luft und hinunter in den Canyon geschleudert. Ein weiterer Schrei, ein Aufprall: Das ist niedlich, böse und wunderschön live gebaut. Ein weiterer Applaus rauscht unaufgefordert durchs Publikum. Artist tot, nächste Nummer bitte.

Raum und Performance als bewusst rohe Einheit

Selten passen übrigens im Theater Raum und Inhalt so ideal zusammen: Das Gros der Animationen von Stereoptik ist schwarz-weiß. Farbe knallt nur ab und zu als unerwarteter Effekt hinein in dieses Spiel aus Licht und Schatten. Ein roter Ball, ein Blutfleck, die Nase eines Clowns. Hier ist der zurückhaltende, ganz in industriellem Silber und Schwarz gehaltene Innenraum des brut genau richtig, der keine Bühnentechnik, keine Geländerverschraubung versteckt. Alles ist sichtbar, alles ist bewusst roh, wie der Rohbeton im Foyer. Brut eben, wie der Franzose sagt, und wie sich auch die Performance von Stereoptik beschreiben ließe. Roh und ein minibisschen brutal.

Szenenbild aus der Performance "Dark Circus"

Festwochen / JM BESENVAL

Auch den Großteil des Sounds spielen Stereoptik live im brut ein

Apropos Französisch: Eine schöne Lösung fanden die Performer von Stereoptik auch für die Sprachbarriere. Gespielt wird ausnahmsweise nicht im französischen Original. Zu sehr ist schließlich das Publikum damit beschäftigt, abwechselnd auf die leuchtende Leinwand und auf die live bilderzaubernden Finger der Künstler zu schauen. Wer wollte da schon Untertitel lesen? Stattdessen ist der Sound, sind die wenigen Worte, die der Zirkusdirektor und Conferencier spricht, Deutsch mit schlampig gehauchtem französischem Akzent. Das hat Stil und prägt die Atmosphäre des Spektakels.

Hinweis:

„Dark Circus“ ist bei den Festwochen noch am 5. und 6. Juni, jeweils um 17.00 und 20.00 Uhr, im brut zu sehen. Das Programm ist für Erwachsene und Kinder ab sieben Jahren.

Ein Animationsfilm entsteht live

„Meine Damen und ’erren! Kommen Sie, werden Sie unglucklisch!“, ruft etwa dieser schlaksige Direktor, eine Mischung aus Elvis und Jarvis Cocker, während einer der beiden Herren auf der schwarzen Bühne seine Gestalt an Stäben bewegt. Der Körper des Direktors ist aus dünnem Karton, seine Kinnlade lässt sich an einer transparenten Schiene bewegen. Im Videobild allerdings wirkt sein flacher Körper plastisch. Der Hintergrund, vor dem Monsieur le Directeur spricht, lässt sich mit einer Handkurbel bewegen. Und irgendwo im Hintergrund droht ein papierner Löwe, den Mann im Frack zu fressen.

So entsteht ein gefinkelter Animationsfilm live. Man kann beim Zusehen allenfalls ahnen, wie viel Feinarbeit, vor allem aber wie viel gegenseitiges Synchron-Tuning hinter dieser Performance steckt – denn Maillet und Bermond arbeiten wie eine feingeölte Maschine zusammen.

Szenenbild aus der Performance "Dark Circus"

Festwochen / JM BESENVAL

Alles, was ein Zirkus braucht: Pinsel, Tusche und die Hand des Künstlers

Während der eine live den Sound einspielt, Schlagzeug, Gitarre, Keyoard – sich selbst loopend, bis eine ganze Band entstanden ist -, formt der andere mit den Fingern am Leuchtboard das Bild. Und vice versa - denn beide sind sowohl Musiker als auch Bühnenbildner von Beruf. Schwarze Tusche, ein paar Pinselstriche: Linke und rechte Hand füllen symmetrisch das Bildfeld, bis da ein Zirkuszelt steht.

Jeder Pinselstrich, jeder Punkt, jedes kleine Detail entstehen im Takt des Kollegen. Man staunt. „Ich möchte auch so malen können“, wird ein Bub nach der Vorstellung sehnsüchtig zu seiner Mutter sagen. Eigentlich das Beste, was im Theater passieren kann: Dass man das Haus nicht satt von der Kreativität der anderen verlässt, sondern voller Lust, selbst loszulegen.

Maya McKechneay, ORF.at

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