Szenenfoto aus "Ein idealer Gatte"

Festwochen / Ekaterina Tsvetkova

„Weiße Birke, ich liebe dich“

„Ein idealer Gatte“ - das Klassiker-Mashup des russischen Regisseurs Konstantin Bogomolov gehört zu den meist gehypten Produktionen der Wiener Festwochen. Zu Recht: Vor allem der Auftakt dieser Superreichenrevue ist furios. Zwar hat das Vierstundenstück, das Anleihen bei Wilde, Goethe, Shakespeare und Tschechow nimmt, seine Längen - doch die macht es mit jeder Menge Pop-Sexappeal wieder wett.

Der Auftakt ist furios. Man wähnt sich im Theater und findet sich im Popkonzert, rosa und grün blitzen vom Bühnenrand die Discolichter. Bodyguards geleiten den Star auf die Bühne: Kokett senkt der Mann im Glitzerjackett den Kopf und streicht sich durch das pomadenfette Haar. Ein James-Last-Doppelgänger nimmt hinter dem Keyboard Platz, drei Backgroundsängerinnen wiegen sich in aprikosenfarbenen Chiffonkleidchen hinter den Mikros.

Szenenfotos aus "Ein idealer Gatte"

Festwochen / Ekaterina Tsvetkova

Sänger Lord (Igor Mirkurbanow) und sein heimlicher Geliebter, Minister Ternow (Alexej Krawtschenko)

Dann geht es mit voller Wucht los: Der Chansonnier Lord (Igor Mirkurbanow) schmeichelt mit Gainsbourg’scher Reibeisenstimme auf Russisch ins Mikrofon: „Ohne Liebe, ohne Zärtlichkeit sterbe ich – weiße Birke, ich liebe nur dich.“ Zugleich bricht auf den Videoscreens rechts und links der Bühne ein Heimatkitschgewitter los: Ölschinken mit russischen Landschaften, Birkenwälder, Moore und die Tundra wechseln sich im Takt ab. Das ist abartig geschmacklos und macht höllisch Spaß - dieser Abend ist „Camp“ im besten Sinn einer Susan Sontag.

Russische Parfümwolke

Mit dieser übertriebenen Ode an Russland beginnt Bogomolovs Groteske „Ein idealer Gatte“ - eine Inszenierung, die am Moskauer Tschechow-Künstlertheater, wie man liest, nach der Premiere im Februar 2013 über sechs Monate täglich ausverkauft war. Es ist ein Stück über Russland, ein Stück über die Stimmung im Land, über die Dekadenz der Superreichen, über deren Verlogen- und Verlorenheit, über ein Leben, dem hinter der glitzernden Fassade die echten Gefühle abhanden gekommen sind.

Und gerade jene Menschen, die Bogomolov in seinem Stück karikiert, gehören auch zum Stammpublikum. So sitzen etwa reiche Gattinnen Abend für Abend im Publikum und amüsieren sich über eine Welt, die sie selbst von innen kennen.

Szenenfoto aus "Ein idealer Gatte"

Festwochen / Ekaterina Tsvetkova

Maxim Matweew als pädophiler Pater - die Kritik an der Kirche ist klischiert

Und auch in der Halle E im MuseumsQuartier tönt es Russisch von allen Seiten. Nicht nur vor, sondern auch während der Vorstellung wird von einigen Damen, die frisch aus dem Kosmetikstudio geschneit scheinen, geplauscht und mit dem iPhone telefoniert. Die hochpreisige Parfümwolke, die die Damen mitbrachten, fügt sich nahtlos ins Geschehen auf der Bühne und weitet dieses zum Surround-Gesamtkunstwerk.

Humanismus statt Kapitalismus

Zurück auf die Bühne: Hier entspinnt sich das Stück in drei Akten, unterbrochen von zwei kurzen Pausen. Der erste Akt macht dem Titel noch alle Ehre, indem er wirklich Motive aus Oscar Wildes 1894 verfasster Gesellschaftskomödie „Ein idealer Gatte“ ins heutige Moskau transponiert. Wildes Stück - geschrieben auf dem Höhepunkt der Industrialisierung, als ein neureiches Bürgertum in die angestammten Refugien des reichen Adels drängte - dreht sich um die kluge, aber intrigante Diplomatengattin Mrs. Cheveley, die sich durch Erpressung einen besseren Platz in der Gesellschaft erzwingen will.

Szenenfotos aus "Ein idealer Gatte"

Festwochen / Ekaterina Tsvetkova

Minister Ternow und Mrs. Cheavely (Marina Sudina), die ihn erpresst

Bogomolov macht Mrs. Cheveley zu einer Unternehmerin, einer – anstößige Gedanken erwünscht - Gummiwarenfabrikantin. Gespielt wird diese von Marina Sudina, die sich im sexy Hosenanzug dem einflussreichen Minister Robert Ternow nähert. Allerdings nicht, wie dessen eifersüchtige Ehefrau Gertrude (großartig lasziv: Darja Moros) glaubt, um ihn zu verführen, sondern um ihn zu erpressen. Denn Mrs. Cheveley weiß, dass Ternow und Schlagersänger Lord eine erotische Beziehung unterhalten und hat ein Handyvideo zum Beweis.

Doch gerade sie, die scheinbar Skrupelloseste, ist im Herzen Romantikerin. Obwohl sie weiß, dass Lord als Homosexueller für ihr Begehren unempfänglich ist, will sie ihn heiraten - und das scheinbar nicht nur aus finanziellen, sondern auch aus romantischen Motiven. Wie überhaupt alle in diesem Stück hinter der Maske der Weltverachtung eine große Verletzlichkeit verstecken, eine Weichheit, die im dritten Akt in ein melodramatisches Finale mündet.

Heißes Herz pocht hinter harter Maske

In dieser Hinsicht ist der aus Moskau stammende Regisseur Bogomolov ein Geistesverwandter Wildes: Interessant werden die ironische Grundhaltung der Partypeople, ihre Bonmots und Apercus erst, wenn man ahnt, dass hinter der Maske ein heißes Herz pocht.

Wilde formulierte seinen tiefen Humanismus weniger in seinen Theaterstücken als in seinen Kindermärchen. Im Märchen vom „Eigensüchtigen Riesen“ etwa, das von einem Grundbesitzer handelt, der sein Glück erst findet, als er seinen Besitz mit den Kindern teilt. Oder in der Geschichte vom „Glücklichen Prinzen“, einer Statue, die ihren Goldschmuck den Armen schenkt, bis sie - selbst karg und hässlich geworden - eingeschmolzen wird. Wilde, der Dandy, dem nichts heilig zu sein schien, war im Herzen vielleicht Kommunist.

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Der Minister in der Badewanne - hier lernt er Lord kennen und lieben

Solch eine Tändelei mit dem Kommunismus ist Bogomolov anhand dieses Stückes jedenfalls nicht nachzuweisen. Seine Haltung ist eher die des Mitfühlenden, des Humanisten, der Menschen zeigt, die alles besitzen, ohne Gefühle zu haben. Wie etwa Lord, der Schlagersänger, der von großen Emotionen singt, ohne die eigenen Gefühle zu verstehen. Dass er den Minister wirklich liebt, erkennt er erst am Ende des dritten Aktes. Aber da ist es schon zu spät.

Livekino, bigger than life

Apropos große Gefühle - die übersetzt Bogomolov im Deleuze’schen Sinne in pure Affektbilder. Das heißt, während die Darsteller auf der Bühne agieren, bedienen zwei Nebendarsteller in emotionalen Momenten Kameras, die ein Livebild auf die Monitore übertragen. So sieht man Gesichter in Großaufnahme, den Schweiß, das Make-up, die Tränen. Ein zeitgeistiges Stilmittel, dessen sich auch Frank Castorf in seiner Inszenierung von „Tschewengur“ ein paar Tage zuvor in derselben Halle bedient hat. Theater will Kino sein, Livekino, bigger than life.

Ein Geistesverwandter Castorfs

Mit Castorf verbindet Bogomolov noch eine weitere Eigenschaft: Es fällt ihm schwer, ein Ende zu finden. Wie Castorfs im Prinzip klug und präzise inszenierte Kommunismusdystopie „Tschewengur“ hätte auch „Ein idealer Gatte“ profitiert, wenn man das Stück kürzer gehalten hätte. Gerade gegen Ende, im dritten Akt, ergeben sich einige Durststrecken - vier Stunden Revue sind eine lange Zeit, und irgendwann wird man des Lachens müde.

Veranstaltungshinweis

„Ein idealer Gatte“ ist bei den Festwochen am 26., 27. und 28. Mai in der Halle E des MuseumsQuartiers um jeweils 19.30 Uhr zu sehen. Am Samstag, 27. Mai findet im Anschluss an die Vorstellung ein Publikumsgespräch statt.

Und noch eine Marotte eint Bogomolov mit Castorf: Beide Regisseure hängen eine spärlich bekleidete Dame an Seilen auf (bei Castorf baumelt die Darstellerin in Netzstrümpfen von den Flügeln einer Windmühle, sodass man sie von allen Seiten sehen kann) - ohne dass dieser Akt in irgendeiner Form durch die Handlung motiviert wäre. Vielmehr scheint es die pure Lust am Ausstellen, Aufhängen, am Spiel mit dem weiblichen Körper zu sein.

Umso seltsamer, da sich ja Bogomolovs Stück gezielt mit Geschlechterrollen auseinandersetzt, eine homosexuelle Liebesgeschichte erzählt, dabei implizit Kritik an der Scheinmoral der russischen Öffentlichkeit übt, und jede Menge queerer Stilelemente (Tänzer mit Warhol-Perücken, ein offensiv geschminkter Conferencier im Hosenrock) einbaut.

Dorian Gray im russischen Fernsehen

Viele Facetten dieses reichen Theaterabends blieben aber noch unerwähnt: Tschechows berühmte „Drei Schwestern“ etwa, die Bogomolov als drei gelangweilte Edelprostituierte einbaut, die auf 15-Zentimeter-Highheels heiratswilligen Oligarchen auflauern. Ihnen vergönnt die Kamera keine Großaufnahmen des Gesichts, stattdessen filmt sie ihre Handydisplays mit den manikürten Fingernägeln, die Bilder lachender Menschen anstelle von Gefühlen vorbeiwischen: Glück ausstellen ist wichtiger als Glücklichsein selbst.

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Festwochen / Ekaterina Tsvetkova

Dorian Gray (Sergei Tschonischwili) vor seinem medial weichgezeichneten Bildnis

Und während diese drei ihr Aussehen als ihr größtes Kapital pflegen, begegnen wir im Mittelteil ihrem männlichen Widerpart: Dorian Gray, Wildes Romanfigur des jungen, reichen Mannes, der seine Seele verkauft, um nie zu altern. Stattdessen altert sein Porträt in einer verborgenen Kammer. Keinen schlechten Gedanken, kein Verbrechen, keinen Mord sieht man seinem Unschuldsgesicht an - in Bogomolovs Inszenierung ist das Porträt ein Fernsehstandbild.

So ganz geht die Allegorie in diesem Fall nicht auf. Macht aber nichts, denn nicht alles muss in diesem Klassiker-Mashup, der sich zwischendurch auch bei Shakespeare und Goethe bedient, nicht funktionieren. Es gibt im Gegenzug zu einigen Längen auch genug Momente, in denen man mit Sänger Lord (und Faust) sagen möchte: „Verweile doch! Du bist so schön.“

Maya McKechneay, ORF.at

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