Szenenfoto aus "Wunschkonzert"

Festwochen / Klaudyna Schubert

Arena der Einsamkeit

Stehen, Glotzen, Nichtstun. Das Publikum spielt in Franz Xaver Kroetz’ Solo-Stück „Wunschkonzert“ (1971) in der Inszenierung von Yana Ross die Gesellschaft, die untätig zusieht, wie sich in ihrer Mitte eine einsame Frau vergiftet. So überzeugend mimt die polnische Hauptdarstellerin Danuta Stenka dabei die Tristesse des Fräulein Rasch, dass man die Bühne stürmen und sie in den Arm nehmen möchte.

Yana Ross, die Regisseurin des Stücks, tritt ins Foyer des brut. Auf Englisch bittet sie das wartende Publikum um einen Moment Aufmerksamkeit. Dass man sich drinnen frei bewegen könne, sagt sie. Und, dass es leider sehr heiß sei. Wenn die Hitze während des Stücks zu groß würde, würde sie persönlich die Tür öffnen und frische Luft einlassen. So eine ist das: eine, die sich kümmert. Und die hier ein Stück inszeniert hat, über einen Menschen, der – ohne, dass sich jemand kümmert – stirbt.

Szenenfoto aus "Wunschkonzert"

Festwochen / Klaudyna Schubert

Blicke in den Feierabend einer alleinstehenden Frau

Drinnen ist die Sitztribüne des brut abgebaut. Stattdessen steht eine quadratische Plattform im Zentrum des sonst leeren Raums. Auf dieser Plattform ist eine Singlewohnung wie aus dem Showroom des schwedischen Möbeldiscounters aufgebaut. Alles ist funktional und platzsparend – Schlafsofa, Dusche, Waschnische, Klo. Küchenblock, Essecke. Und natürlich – der Fernseher.

Intime Gesten vor glotzender Menge

Nur die Wände fehlen. Und so gibt es auch keinen Sicherheitsabstand zwischen Darstellerin und umstehendem Publikum, wenn jetzt die Bewohnerin (Danuta Stenka) die Plattform im Business-Kostüm betritt und als erstes ihre Nylonstrümpfe abstreift. Auch die Bluse. Sie riecht am Stoff unter den Achseln, legt das Kleidungsstück zur Seite. Die Strümpfe wäscht sie im Waschbecken aus und schüttelt sie, dass das Wasser ins Publikum spritzt. Dann putzt sie die Zähne – ein Rest Zahnpasta bleibt an der Backe – und schlüpft in einen Hausanzug. Intime Gesten vor achtzig Menschen, die herumstehen und glotzen.

Szenenfoto aus "Wunschkonzert"

Festwochen / Klaudyna Schubert

Private Rituale vor dreißig Zuschauern: Danuta Stenka putzt sich die Zähne

Als Franz Xaver Kroetz sein gesellschaftskritisches Stück „Wunschkonzert“ 1972 schrieb, gab es noch keinen Big Brother Container. Die Intimität der Gesten muss bei der Stuttgarter Uraufführung 1973 ein Schock gewesen sein. Kroetz gab der weiblichen Hauptfigur einen Namen: Fräulein Rasch. Worte gab er ihr nicht, denn da ist niemand, mit dem sie sprechen könnte. Fräulein Rasch lebt alleine, in Kroetz Text leisten ihr nur das Radio und der Moderator der Sendung Wunschkonzert – die in Deutschland von 1947 bis in die siebziger Jahre populär war – Gesellschaft in der letzten Stunde ihres Lebens. Am Ende der Aufführung wird Fräulein Rasch eine Handvoll Schlaftabletten schlucken.

Politisches Appell an das Mitleid

Immer wieder versuchten sich Regisseure an Neuinterpretationen des Kroetz’schen „Wunschkonzert“: In den achtziger Jahren trat in München ein Transvestit als Fräulein Rasch auf. Statt Radio zu hören, sah er fern und las die Regieanweisungen vor. – Und auch Kroetz selbst inszenierte das Stück 1995 im Werkraum der Münchner Kammerspiele mit Sybille Canonica in der Hauptrolle.

Damals hatte sich Kroetz, der Regisseur schon weit von Kroetz, dem Autor entfernt. Denn die eigenen, frühen Werke aus der Phase vor seinem Eintritt in die kommunistische Partei 1972 – Bühnenstücke über sozial und sprachlich Deklassierte – bezeichnete Kroetz später als Werke des Mitleids, als bloße Zustandsbeschreibungen, hoffnungslos, zukunftslos, von denen er sich nachträglich distanzieren wolle.

Szenenfoto aus "Wunschkonzert"

Festwochen / Klaudyna Schubert

Kurze Tanzeinlage mit Salz- und Pfefferstreuer. Sieht ja niemand. Oder doch?

Mitleid mit den Einsamen

Und es stimmt, dass man hier im stickigen brut Mitleid empfindet mit der Frau, die vor aller Augen ihre einsamen Routinen abspult. Die die beiden Scheiben Knäckbrot so pedantisch gerade auf dem Teller auslegt und die Tomate überbrüht und häutet, bevor sie sie in Scheiben anrichtet, peffert und salzt. Dieses Mitleid allerdings ist keines, das auf sein Objekt herunter schaut. Nicht das arrogante Mitleid der Priviligierten, sondern es ist vielmehr Mitleid mit einem Menschen, in dem wohl jede und jeder der Umstehenden bis zu einem gewissen Grad sich selbst erkennt.

Danuta Stenka, die schlanke Hauptdarstellerin, in ihrer Heimat Polen ein bekannter TV- und Theaterstar, schafft dabei das Unmögliche: Während der gesamten Aufführung scheint sie das Publikum – trotz der obszönen Nähe - nicht wahrzunehmen. Nur wenige Zentimeter trennen sie von dem Herrn, der die Stirn in Falten legt. Eine kleiner Ruck am Stuhl und ihr Arm würde seinen berühren. Doch sie trägt - so scheint es zumindest - ihr privates Gesicht, das sich um nichts und niemanden bemüht.

Der Radiomoderator sieht die Zuhörerin weinen

Einer der Zuschauer, der während der gesamten anderthalb Stunden unbewegt am gleichen Fleck steht, ist Radiolegende Ernst Grissemann. Er hat in dieser Festwochen-Version des Stückes den Part des Wunschkonzert-Radiomoderators eingesprochen. Es ist vermutlich das erste Mal, dass der Moderator in dieser Versuchsanordnung ins Zimmer einer Zuhörerin blickt, sieht, wie sie auf die Briefe, die er vorliest, die kleinen Scherze und sentimentalen Bermerkungen reagiert.

Szenenfoto aus "Wunschkonzert"

Festwochen / Klaudyna Schubert

Nach den Tränen erstmal eine Zigarette. Es muss ja weiter gehen

Eben hat Grissemanns Stimme Leonard Cohens „I’m your Man“ anmoderiert und während die ersten Takte erklingen, füllen sich Stenkas Augen mit Tränen. Da sitzt sie und weint auf ihren IKEA-Tisch, bis sie mit einem Ruck zu sich kommt. Resolut wischt sie sich mit dem Handrücken über die Augen und zündet sich eine Zigarette an: Diese Frau ist wie ihre praktisch eingerichtete Wohnung - sie will um jeden Preis funktionieren.

Selbstmord statt Revolution

Aber soll sie, muss sie funktionieren? Kroetz vermutet im Vorwort zum „Wunschkonzert“, das er eine „Studie kapitalistischer Entfremdung“ nennt, dass wir eine „revolutionäre Situation“ hätten, wenn die vielen Selbstmörder, anders handelten. Wenn sie nämlich ihre Wut konstruktiv gegen das System richteten, das sie unterdrückt. Stattdessen, so Kroetz, sei der Selbstmord ein letzter duldender, ja eigentlich affirmativer Akt.

Abschlussapplaus bei "Wunschkonzert"

Maya McKechneay

Regisseurin und Hauptdarstellerin umarmen sich während des begeisterten Schlussapplauses

Dieser affirmative Akt ist aber nicht der eines einzelnen, das spürt man an diesem Abend. Achtzig Zuschauer werden in Yana Ross’ Inszenierung zu untätigen Gaffern. Man fühlt sich unwohl in der Rolle „der Gesellschaft“, die den einzelnen im Stich lässt, spürt den Impuls einzugreifen.

Erst am Ende der Vorstellung, während des begeisterten Schlussapplauses, tut die Regisseurin, was viele Umstehende auch gern getan hätten: Sie nimmt die sichtlich mitgenommeneHauptdarstellerin in die Arme.

Maya McKechneay, ORF.at

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