Kugelrundes Ballpanorama
Das Ganze hat etwas von einem obskuren, religiösen Ritual: Zuerst einmal – Schuhe ausziehen. Dann eintauchen ins schwarze Becken. Kugeln umspülen den Körper, die Beine sinken tiefer. Und schon stellt sich der magische Effekt ein: Die Haare knistern, stehen mit jeder Bewegung mehr zu Berge. Das Bällebad elektrisiert.

Maya McKechneay
Lustig, aber leider verboten: Reinspringen
Während der Körper in der Installation „Les thermes“ des französisch-belgischen Künstlerkollektivs France Distraction angenehm leicht wird, fällt das Vorwärtskommen schwerer. Die Bälle tragen einen, halten einen, schreiben die Geschwindigkeit vor. Und hier trifft sich die Idee des Bällebades mit dem Denken der Stoiker, jener Philosophenschule, die um 300 vor Christus Gelassenheit predigte. Die Entschleunigung stellt sich im Bällebad „Les thermes“ von selbst her - weil Hast hier sowieso nicht möglich ist.
„Nicht spitzfindig sein!“
Zwischendurch kann man immer wieder einen Ball hochnehmen, ihn im Licht drehen und versuchen den eingestanzten Spruch zu lesen. Kleine und große Einsichten, die vermutlich eher frei aus dem Altgriechischen übersetzt sind: „Das Gespräch soll ebenso locker sein wie die Kleidung.“ Oder der dezente Hinweis: „Nicht spitzfindig sein!“

Maya McKechneay
Die Stoa empfiehlt: „Nicht spitzfindig sein!“
75 Sprüche aus den Überlieferungen der Stoa sind es insgesamt – geprägt auf über 25.000 Bälle. Speziell für die Festwochen produzierten France Distraction diese zweite, deutschsprachige Version. Die Bälle jedenfalls sind angenehm weich, nichts drückt, alles ist im Fluss: Alles hängt mit allem und jeder Mensch im Becken mit all den anderen zusammen, denn die eigenen Bewegungen wachsen wellenförmig bis zum anderen Beckenrand fort.
Hinweis
In „Les thermes“ im Wiener Künstlerhaus kann noch bis 19. Juni täglich von 10.00 bis 21.00 Uhr bei freiem Eintritt gebadet werden.
In diesem Raum werden sich während der Festwochen Menschen kennenlernen: Erwachsene, die wieder zu Kindern werden. Und Kinder, die sich gegen die Vorschriften der Erwachsenen („Nicht werfen!“) verbünden.
Zehnmal größer als im schwedischen Möbelhaus
Für Kinder ist das hier natürlich ein Paradies. Wie beim schwedischen Möbelhändler. Nur in der schwarzen Premiumedition, zehnmal so groß. Das Springen vom Rand ist verlockend, allerdings auch verboten – wer weiß, wessen Arme und Beine unter der Oberfläche liegen.

Maya McKechneay
Beim Bällebad lernt man einander kennen
Vor dem Eintauchen bittet einen die Aufsicht, Rock- und Hosentaschen zu leeren, ein ernstzunehmender Hinweis, zumal jeder Gegenstand, den man hier drin verliert, verloren ist – bis die Bälle am Ende wieder ausgelassen werden. Münzen, Ringe, Armbanduhren – schlaue Diebe kommen mit Magneten. Wobei: Die Stoiker würden auch diese zur Seite nehmen und fragen: Wozu Besitz? Nur in Bedürfnislosigkeit lebt es sich angenehm und frei.
Maya McKechneay, ORF.at