„Diktator“ Jan Fabre und die Mythenorgie
In Togen gehüllt huschen ein paar Darsteller durch die Kunstfabrik in der größten Stadt Belgiens. Sie werden als Odysseus und Herakles, Agamemnon und Klytämnestra, Hekuba und Phaedra, Ödipus und Iokaste, Alecestis und Antigone, Medea, Ajax und Orest ein Mai-Wochenende lang, von Samstag 19.30 Uhr bis Sonntag 19.30 Uhr, in Wien eine Mythenrevue feiern.

Wonge Bergmann
„Mount Olympus“: Fabres forderndes Fest für alle Sinne
Für Fabre ist „Mount Olympus“ so etwas wie das „Zeugnis“ seiner Arbeit der letzten 30 Jahre. „Darin steckt die gesamte Theatersprache, die ich entwickelt habe“, sagt er, während er sich in der Küche seines Theaterlaboratoriums eine Zigarette anzündet. Gut zweieinhalb Wochen vor der Aufführung von „Mount Olympus“ in Wien steckt er mitten in den letzten Vorbereitungsproben.
„Wir hören nicht auf, neue Dinge zu erfinden“
Die Arbeit sei in gewisser Weise Work in Progress und habe sich seit der Uraufführung vor rund einem Jahr in Berlin sehr viel weiterentwickelt: „Die Suche geht immer weiter. Wir hören nicht auf, uns zu fragen, ich höre nicht auf, meine Darsteller zu fordern, neue Dinge zu erfinden.“ Das passiere auch auf der Bühne, schließlich leben die Darsteller und Mitarbeiter 24 Stunden mit dem Publikum gemeinsam im Theatersaal. „Manche Darsteller schlafen und haben Träume. Das wirkt sich natürlich auf die Szenen danach aus, und dem spüren wir zwischen den Vorstellungen weiter nach.“

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„Die Suche geht immer weiter“
Trotzdem, und das betont Fabre gleich mehrfach: „Alles schaut improvisiert aus, aber alles ist bis auf den letzten Millimeter geplant und durchchoreografiert.“
„Wie jeder gute Künstler bin ich ein Diktator“
Im Troubleyn-Laboratorium wirkt die Stimmung ziemlich entspannt, junge Mitarbeiter kochen gemeinsam, in jeder Ecke wird gearbeitet und gescherzt. Fabre ist auf das Haus und die Atmosphäre sichtlich stolz - sich aber auch durchaus seiner Rolle in der kleinen Kunstfabrik bewusst: „Wie jeder gute Künstler bin ich ein Diktator. Ich arbeite mit sehr kreativen Menschen. Ich bin offen für Input, und viele von den Künstlern in meiner Company haben mit mir gemeinsam eine künstlerische Sprache entwickelt, in den letzten zehn, 20, 30 Jahren. Aber die Entscheidungen hier treffe ich. Ich bin der Diktator.“

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Zwischen den Proben wird im Troubleyn-Laboratorium gekocht
Das, was Fabre an den Tragödien am meisten interessiert, ist die Bedeutung der Katharsis - „auf sozialer, philosophischer und politischer Ebene.“ Die Katharsis, also die Reinigung der Seele als erwünschte Wirkung der Tragödie, beschäftige ihn schon seit Langem. „Denn Katharsis öffnet immer einen Weg ins Unbewusste, aber gleichzeitig auch eine Tür in die Zukunft, vielleicht eine bessere Zukunft.“
Die verzögerte Katharsis in Europa
Eine bessere Zukunft, die dann aber nur dem Theaterpublikum vorbehalten wäre? Nein, sagt Fabre, denn Katharsis sei in Wahrheit mehr als die Tragödie im Theater. „Auch was im Moment in Europa passiert, ist eine Art von Katharsis. Wenn die Menschen an den Grenzen zurückgewiesen werden, dann verzögern wir das nur. Wir leben in einer neuen Ära, und Europa wird sich verändern - aber im Moment bremsen wir die Katharsis für den Kontinent, weil wir uns dem nicht stellen.“
In „Mount Olympus“ will er den Weg zur Katharsis mit einer Art programmierter Überforderung erzeugen, das betrifft sowohl Publikum als auch Ensemble. „Es ist sehr, sehr fordernd für alle Beteiligten. Nach jeder Vorstellung sind wir für ungefähr eine Woche völlig aus dem Takt. Die biologische Uhr ist völlig durcheinander.“ Er habe schon oft von Zuschauern gehört, dass sich im Laufe der Performance die Perspektiven verschieben: Wenn man zwischendurch hinausgeht und zurückkommt, empfinde man die Vorstellung als Realität.
„Provokation liegt im Auge des Betrachters“
Dass es auf der Bühne auch ziemlich explizite Szenen zu sehen, hören und riechen gibt, mag manche Beobachter von außen irritieren - beim Publikum sei das bisher aber sehr gut angekommen. Provozieren wolle er damit niemanden - aber „Provokation liegt im Auge des Betrachters“, sagt Fabre.

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Vor dem Fabre-Universum warten Buchsbäume auf den Transport nach Wien
Anfeindungen wegen seiner Arbeiten habe er aber schon oft erlebt, er empfindet das als „Unhöflichkeiten“. Tatsächlich wurde Fabre, der wegen seiner oft umstrittenen Kunstaktionen in belgischen Medien gerne als „Flamand terrible“ bezeichnet wird, schon mehrmals unter Polizeischutz gestellt. Die Aufregung nimmt er aber sichtlich gelassen. „Das ist auch die Position eines Künstlers in der Gesellschaft“, sagt er mit Schulterzucken. "Und es ist die Aufgabe der Gesellschaft, für die Verletzlichkeit der Schönheit zu kämpfen.
Hinweis
„Mount Olympus“ ist bei den Festwochen am 21. Mai um 19.30 Uhr im MuseumsQuartier Halle E zu sehen.
Mit dem 24-Stunden-Opus hat er nun in vielerlei Hinsicht wieder eine Schmerzgrenze erreicht, findet Fabre - wobei er lachend anmerkt: „Die griechischen Dionysien haben drei Tage und drei Nächte gedauert“ - und auch die griechische Mythologie gäbe noch einiges her.
In Planung: Eine Ode an Belgien
Sein nächstes Theaterprojekt geht aber in eine ganz andere Richtung: „Es wird ein Stück über Belgien - im ganz Allgemeinen. Ich feiere mein eigenes Land, die Absurdität und Irrwitzigkeit, die Schönheit.“ Aber auch darüber hinaus gehen dem 58-Jährigen die Ideen nicht aus: „Ich habe noch viele Pläne“, sagt er, „es braucht ein ganzes Leben, um ein junger Künstler zu werden.“
Sophia Felbermair, ORF.at, aus Antwerpen