Experimente zahlen sich aus
Einzelne Highlights zu benennen fällt schwerer als sonst, einfach weil zu viele Produktionen auf ganz unterschiedliche Weise überzeugen konnten. Die Abkehr der Festwochen als Schaulaufen der großen Namen, wie in früheren Jahren, ist voll aufgegangen. Zwar waren die großen Namen und alten Bekannten in diesem Jahr auch nicht abwesend. Aber es sind gewiss nicht Stars wie Romeo Castellucci und Frank Castorf, die in diesem Jahr mit ihren Produktionen besonders herausstachen.
Die Wiederentdeckung eines zu Unrecht Vergessenen
Einen spannenden Schwerpunkt setzte Hinterhäuser erneut im Musikbereich. Die zweitägige Hommage an den 1996 verstorbenen Komponisten Mieczyslaw Weinberg bot eine erstklassige Konzertserie, mit der der Beweis erbracht wurde, dass der polnische Musiker völlig zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist.
Georg Friedrich Händels „Jephta“ bleibt als spannender Versuch in Erinnerung, aus einem Oratorium eine moderne Oper zu gestalten, die quasi die Morpheme des Musiktheatralischen aufleuchten ließ. Im Bereich der Bühnenpoesie behält man Achim Freyers Umsetzung der zeitgenössischen Oper „Luci miei traditrici“ im Gedächtnis.
Weniger überzeugen konnte Andrea Breths grau gehaltene Inszenierung von Bela Bartoks Oper „Herzog Blaubarts Burg“ im Tandem mit Robert Schumanns „Geistervariationen“. Aber auch Castelluccis sperrige und lärmende Installation „Go Down, Moses“, ließ selbst Fans des italienischen Theatermachers ratlos zurück.
Guido Mancari
Im Schauspielbereich trotzten die Festwochen in diesem Jahr jedem Gerede von der Krise des Theaters. Man entdeckte hier sowohl die Grundbauform des Theatralen in vielen Produktionen wieder als auch das Potenzial, Elementarteilchen des politischen Handelns aufzudecken. Als besonders virulent wird hier das russische Theater in Erinnerung bleiben. Die Umsetzung der „Toten Seelen“ mag hier als Höhepunkt gelten, was energetische Virulenz von Theaterarbeit anbelangt.
Englische Königsdramen neu bearbeitet
In zwei ganz unterschiedlichen Zugängen waren heuer englische Königsdramen zu sehen. Zum einen Ewald Palmetshofers Bearbeitung von „Edward II.“ , der das Stück von Christopher Marlowe pointiert und mit unglaublich präziser Rhythmik zugespitzt hat. Die junge Regisseurin Nora Schlocker fand dazu starke Bilder, ohne plakativ werden zu müssen.
Ivo van Hoves „Kings of War“ - eine Compilation der Shakespeare-Stücke „Henry V.“, „Henry VI.“ und „Richard III.“ - punktete einerseits mit einer ebenfalls gelungenen Neuübersetzung von Rob Klinkenberg (deutsch: Sabine Rieger), andererseits aber auch mit einem Schauspielensemble, dem zu Recht der Ruf als eines der derzeit besten anhaftet.
Jan Versweyveld
Punkten konnten aber auch heitere Produktionen wie das belgische Slapstick-Feuerwerk „We don’t speak to be understood“, das ohne Text, aber dafür mit viel Körpereinsatz überzeugte. Die russische Produktion „Abschied vom Papier“ betrauerte amüsant-charmant das Verschwinden einer Zeit und ihrer heute fast musealen Gegenstände wie Löschpapier und Schreibmaschine.
Als lustvolle Groteske inszeniert präsentierte sich auch Simon Stones Bearbeitung von Henrik Ibsens „John Gabriel Borkman“ , das mit Martin Wuttke, Birgit Minichmayr und Caroline Peters zum tragisch-komischen Schauspielerfest wurde.
Reinhard Werner/Burgtheater
Theater in der ganzen Stadt
Von der Innenstadt, wo sich das Festwochen-Zentrum nun im zweiten Jahr als zentraler Treffpunkt etabliert hat, bis an den Stadtrand haben sich die auffälligen großen W-Aufsteller heuer verbreitet und damit auch die Ambition der weiteren Öffnung des Festivals signalisiert. Mit dem australischen Gastspiel „small metal objects“ ging man dann auch mitten auf die Mariahilfer Straße - die Begegnungszone wurde zur Bühne, die Passanten zu Statisten.
Nurith Wagner-Strauss
Eine der spannendsten Entdeckungen des Jahres war aber weitaus weniger zentral in der Stadt zu finden: Die neue Spielstätte F23 in der stillgelegten Sargfabrik im 23. Bezirk, fernab von den niedergelassenen Hochkulturbetrieben, in denen sich das Festwochen-Publikum sonst im Mai und Juni zusammenfindet.
Dort hinaus lockte zuerst Castorf mit dem Abschluss seiner Dostojewski-Auseinandersetzung, einer sechsstündigen Inszenierung der „Brüder Karamasow“ . Die aufwendige Arbeit des Volksbühnen-Starensembles blieb ein einmaliges, dem Premierenpublikum vorbehaltenes Erlebnis, fielen doch die weiteren Vorstellungen wegen der Erkrankung zweier Schauspieler aus.
Atmosphärisches Highlight: Autokino
Das Areal in Liesing stand aber noch bei zwei weiteren Gelegenheiten als Festwochen-Spielort offen. Der südafrikanische Künstler Brent Meistre installierte dort für „Analogue Eye“ an einigen heißen Juni-Abenden ein Autokino, in dem Kurzfilme gezeigt wurden und das vor allem atmosphärisch zu den wirklichen Topproduktionen des Programms zählte.
Michael Veigl
Auch das letzte Stück, das in der ehemaligen Fabrik gezeigt wurde, erwies sich als eines, das die Anreise mehr als rechtfertigte: Sebastian Nüblings Uraufführung „Noise“. Acht Jugendliche des jungen theaters basel holte der Regisseur in die Fabrikshalle, wo sie dem Publikum eine wilde und lautstarke Tour de Force durch ihre Lebensrealität boten.
Die meistgelesenen Storys
Die ORF.at-Leser interessierten sich heuer laut Statistik am meisten für folgende Festwochen-Storys:
Staffelübergabe der Schauspielchefs
In der nächsten Saison verabschiedet sich Hinterhäuser wieder von den Festwochen, um 2017 die Intendanz bei den Salzburger Festspielen anzutreten. 2016 steht ihm die in Russland geborene Theaterwissenschaftlerin, Autorin, Theaterkritikerin und Festivalleiterin Marina Davydova als Schauspielkuratorin zur Seite.
Bei seinem einjährigen Gastspiel in dieser Rolle hat Schmidtke bewiesen, dass es möglich ist, in kurzer Zeit ein Programm aufzustellen, das sich in seiner Vielfalt harmonisch zusammenfügt und dabei trotzdem seine Kanten hat. Wenn dieses Kunststück auch seiner Nachfolgerin gelingt, darf man sich schon jetzt auf das nächste Jahr freuen.
Sophia Felbermair und Gerald Heidegger, ORF.at