Szenenbild aus der Fall Svjek

Alexi Pelekanos

Schwejk, Babylon und die Gulaschkanone

Abgründe der Gesellschaft passen in der Gegenwart in einen Tweet mit Bild. Damit muss das Theater nicht konkurrieren. Es kann aber daran erinnern, dass es viel radikalere Aufdeckerpotenziale hat. Dusan David Parizek nutzt die Geschichte vom „braven Soldaten Schwejk“ für eine Groteske, in der er Stereotype und Sprachschablonen so lange aufeinanderprallen lässt, bis das Lachen im Hals stecken bleibt - und nicht einmal ein mürbzart auf der Bühne serviertes Gulasch trösten kann.

Jaroslav Haseks in mehreren Teilen nach dem Ersten Weltkrieg veröffentlichter Anti-Krieg-Schelmenroman „Der brave Soldat Schwejk“ (im Original: „Osudy dobrého vojáka Švejka za světové války“) ist ein modernes Stück Weltliteratur schon in seiner Entstehung. Hasek entwickelte hier eine Figur, die sprichwörtlich von der Zeit eingeholt wurde. Als Schwejk 1911 zuerst als Bühnenfigur das Geschehen betrat, musste er sich nicht mit den Abgründen eines großen Krieges herumschlagen. Das war in der Endausbaustufe des Schelmenromans anders: Hasek und sein Protagonist standen in einer Welt, die neue nationale Gebilde zeigte, die aber gesellschaftlich noch zerütteter war als vor dem Krieg.

Szenenbild aus der Schwejk-Produktion

Alexi Pelekanos

Minimalistische Bühne, großartige Schauspieler und Theater, das auf Textdynamik setzt

Für den gefeierten Jungregisseur Parizek ist schon die Materiallage zum „Schwejk“ Anreiz genug, den Schelmenroman, der nie vollendet wurde und der in der Rezeption teils zum leichtfüßigen Pointenschlager verkommen ist, komplett auf den Kopf zu stellen. Er entfernt in dieser Koproduktion der Festwochen mit dem Prager Studio Hrdinu und dem Theater Bremen in seiner Version „Der Fall Svejk“ einfach die Figur des braven Soldaten und lässt Schwejk den Prozess machen. Er beginnt also vom Ende her und rückt den General Fink in den Mittelpunkt. Passagen aus dem Originaltext löst der Regisseur von den Figuren ab und verdichtet sie neu.

Figuren als Sprachmaschinen

Das Original wird hier durch die Figuren durchgezwängt, die auf der Bühne wie schizoide Sprachmaschinen wirken. In der Gestalt des Generals (Martin Baum) treffen sich historische Akribie und Stereotype, Weltläufigkeit und unterdrückter Hass. Der Alkohol treibt seine Diskurse an - und der brave, bekanntlich „beschissene“ Kadett Biegler (Peter Fasching), der von den großen Taten träumt, aber leider die Hosen voll hat, wirkt wie ein Brandbeschleuniger für den General. Der Hass zwischen den Nationen läuft geschmiert und wie von selbst.

Der abwesende Schwejk ist Stein des Anstoßes - aber irgendwie auch Alibi, um alle Vorurteile auszustoßen, die sich in den Figuren aufgestaut haben. Wie ein Gegenbild wirken da Oberleutnant Lukasch, der in Parizeks Interpretation als Lukasova (Ivana Uhlivora) eine Frau ist. Der von Schwejk in der Vorlage falsch überbrachte und dann verschlungene Liebesbrief wird zur Hintergrunderzählung, Oberleutnant Lukasova direkt mit dem Objekt der Begierde Gyula Kakonyi (Gabor Biedermann) konfrontiert. Auch hier müssen alle einmal über die Aufgeregtheit nationalistischer Stereotype drüber. Dazwischen treiben der Einjahrfreiwillige Marek (Vladimir Javorsky) und der Rechungsfeldwebel Vanek (Jiri Cerny) das Spiel der Vorurteile auf sarkastische Art an.

Gulasch auf der Bühne beim Fall Schwejk

ORF.at

Schwejkjade oder Happening Theater in der Pause. Auf der Bühne stehen Gulasch und Bier, doch die „Rechnung“ kommt am Schluss

Die Sicherheit von Bruck an der Leitha

Zu Beginn des Stücks meint man sich in eine dramaturgische Landschaft irgendwo zwischen Kafkas „Prozess“ und den Frontabschnitten in Jonathan Littells „Wohlmeinenden“ versetzt. Die Gesetze in dieser Welt sind verschoben, nur Orte wie „Bruck an der Leitha“ bieten Orientierung. Die Vorurteile zwischen den Völkern lässt der Regisseur in drei Sprachen aufeinanderprallen. Tschechisch und Ungarisch muss man dabei allerdings nicht können, um die Botschaften der Texte zu verstehen. Abgründe springen auch über babylonische Klippen.

Zum Ende hin steigert sich die Groteske, es erscheint ein Pausenzeichen, Gulasch und Bier werden aufgefahren. Und man weiß nicht, ist jetzt alles zu Ende oder kommt noch was. Tatsächlich, es kommt noch was. Immerhin ein Endspiel, in dem Theater mit intelligenter Regie und großartigen Schauspielern zeigt, dass es vor den Medien der Gegenwart alles andere als kapitulieren muss.

„Sie brauchen nicht glauben, dass Sie hier im Wirtshaus sind“, schreit der General dem Publikum entgegen. Man darf sich schon jetzt auf die Arbeit von Parizek in der kommenden Saison am Wiener Volkstheater freuen.

Gerald Heidegger, ORF.at

Links: