Szene aus "Noise"

Nurith Wagner-Strauss

Viel Lärm um viel

In der Zielgeraden drehen die Festwochen heuer noch einmal richtig auf - nicht nur, was den Lärmpegel betrifft. Mit „Noise“ feierte gestern die letzte Uraufführung des Festivals ihre Premiere - und der Name ist Programm. Acht Jugendliche des jungen theaters basel hat Regisseur Sebastian Nübling hier auf die Bühne geholt und ihnen damit ein Forum gegeben, in dem sie - stellvertretend für ihre Generation - explodieren dürfen.

Schön sein, brav sein, normal sein - und dabei am besten ruhig: Die Anforderungen, an denen die Jugend verzweifelt, gegen die man sich mit viel Lärm stemmt, sind alles andere als neu. Auch nicht, dass sie sich dagegen wehren und versuchen auszubrechen. Diese Geschichte hätte man in jeder Generation erzählen können. Das macht sie aber (gut erzählt) nicht weniger interessant, wie Nübling mit „Noise“ zeigt.

Szene aus "NOISE"

Nurith Wagner-Strauss

„Bewegen kann sich nur der Einzelne. Wir. Also ich.“

2012 war der deutsche Regisseur zuletzt bei den Festwochen zu Gast, damals mit der Londoner Produktion „Three Kingdoms“ von Simon Stephens, einer weit klassischeren Inszenierung. Heuer ist es eine Uraufführung, die er zusammen mit Nachwuchsschauspielerin aus Basel erarbeitet hat und für die es vermutlich keinen besseren Festwochen-Spielort als die aufgelassene Sargfabrik im 23. Bezirk, die heuer als F23 gleich für mehrere Produktionen genutzt wurde, gibt.

Fangenspielen in der Fabrikshalle

In einer großen, leeren Halle dürfen sich die acht Jugendlichen nun völlig verausgaben - die Wut über ihr Leben, das Establishment und Zwänge herausschreien. Von einer Handkamera begleitet, sausen sie durch das im Raum verteilt stehende Publikum, surfen auf Paletten, die später zum Laufsteg werden sollen, und verfolgen einander in alle Winkel des Raums. Immer wieder wird die (scheinbar) chaotische Tour de Force für eine Ladepause unterbrochen. Die Handys werden gezückt und mit Lautsprecherkabeln verbunden - Zeit für Social-Media-Updates, Selfies, SMS und Handyspiele: Teenageralltag zwischen den Adoleszenzproblemen, die dann wieder auf den Tisch bzw. per Live-Kameraübertragung auf die großen Stoffbahnen in der Mitte des Raums kommen.

Szene aus "NOISE"

Nurith Wagner-Strauss

Ladepause in der Sargfabrik

Es geht um Schönheitsideale, denen sie nicht entsprechen müssen wollen, um Sex, den sie haben dürfen wollen, und um Drogen, die sie probieren können wollen. Die Geschichten der Jugendlichen verschneidet Nübling mit Texten des Schweizer Autors Guy Krneta über Konsumzwang und Anarchie, Gesellschaftskritisches und -analytisches. Die Brüche zwischen diesen fremden „erwachsenen“ Passagen und jenen der Jugendlichen sind spürbar und teilweise auch irritierend. Dabei reflektieren die Zwischenschnitte aber, worum es im Großen und Ganzen geht, und deshalb funktioniert die Mischung auch letztlich sehr gut.

Einfach nur sein

Vieles in „Noise“ ist extrem. Nicht nur extrem laut. Einige der erzählten Episoden gehen unter die Haut, Erlebnisse in zerrütteten Familien und Drogenerlebnissen etwa. Vieles ist aber ganz einfach nur völlig normal für Erwachsene, die sich an die eigene Jugend erinnern können. „And now you do what they told ya. And now you’re under control“ - der Refrain des Rage-Against-the-Machine-Songs darf hier durchaus als Ansage ans Publikum gewertet werden.

Hinweis

„Noise“ ist bei den Festwochen noch am 18., 19., 20. und 21. Juni jeweils um 20.00 Uhr im F23 Zusammenbau zu sehen. Im Anschluss an die Vorstellung am 19. Juni findet ein Publikumsgespräch statt.

Nübling hat eine Frage als Ausgangspunkt vor seine theatralische Suche nach Antworten gestellt: „Überall wird nach Freiraum geschrien/ geschrieben/demonstriert. Aber wofür wird dieser Raum eigentlich gebraucht?“ Gefunden hat er viele verschiedene Antworten - von denen sich der Großteil auf eine Grundaussage eindampfen lässt: um (einfach und bedingungslos) sein zu dürfen.

Sophia Felbermair, ORF.at

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