„Mackie Messer“ als Haifisch ohne Zähne
Als gern gespielter Wiedergänger auf den Spielplänen deutschsprachiger Bühnen ist mit der „Dreigroschenoper“ in puncto Inszenierung schon ziemlich alles gemacht worden: von Giorgio Strehlers legendären Autowerkstatt-Inszenierungen in Mailand (1956) und Paris (1986) über Paulus Mankers Burgtheater-Version in Viviennne-Westwood-Kostümen (1996) bis zur Klaus-Maria-Brandauer-Show mit Campino und Birgit Minichmayr im Berliner Admiralspalast (2006).

Ruth Waltz
„Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“
Verlassen konnte man sich so gut wie immer auf eines: Egal was sich der Regisseur ausdenkt, die Musik ist stets gleich, gelten die Erben Weills doch als äußerst heikel, was die Genehmigung zur Neubearbeitung der Musik fürs Theater betrifft. Für die Festspielinszenierung von Intendant Sven-Eric Bechtolf und „Jedermann“-Regisseur Julian Crouch als „einmaliges Experiment“ wurde diesbezüglich jetzt eine Ausnahme gemacht. Der Brite Martin Lowe, der schon für den aktuellen „Jedermann“ auf dem Domplatz komponiert hatte, machte sich daran, den 1920er-Jahre-Sound ins 21. Jahrhundert zu hieven - blieb dabei aber irgendwo in der Mitte stecken.
Gassenhauer unter Denkmalschutz
Von der „Moritat von Mackie Messer“ bis zur „Seeräuber-Jenny“: Die Gassenhauer haben einen neuen Anstrich, bleiben aber unter Denkmalschutz - zumindest teilweise. Klar herauszuhören ist Lowes Versuch, den scheppernden Weill-Klängen Reverenz zu erweisen, auch wenn vieles geglättet klingt. Den Ouvertürenauftakt macht noch ein altes Grammofon mit der Einspielung des Originals - schnell legen sich aber satte symphonische Streicherklänge über die Trompeten und künden damit von den folgenden Musicalrevuenummern, die einmal besser, einmal schlechter funktionieren.
Gesungen und gesprochen wird trotzdem weiterhin das, was man nur allzu gut kennt - dem Brecht-Text bleibt die „Salzburger Dreigroschenoper“ ganz treu. „Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“ Da klatscht das schicke Festspielpublikum und denkt mit ziemlicher Sicherheit an Hypo-Desaster und Euro-Krise. Recht viel mehr von Brechts Gesellschaftskritik kommt nicht über die Rampe. Aktuelle - auch lokale - Bezüge, die sich eventuell aufdrängen würden, bleiben völlig ausgespart. Mit Absicht, wie Bechtolf schon im Vorfeld mehrfach betonte - „einen Gegenwartsbezug braucht es nicht“.
Opernparodie statt Gesellschaftskritik
Statt also den Spagat zwischen gesellschaftskritischem Lehrstück und Opernparodie zu versuchen, verlegten sich die Regisseure ganz auf Zweiteres, statt auf eine inhaltlich konzeptuelle Idee setzen sie ganz auf ein Bilderideenfeuerwerk, das drei Stunden hinweg gut unterhält.

Ruth Waltz
Auch Bert Brecht schaut vorbei
Die ästhetische Handschrift Crouchs kennt man vom „Jedermann“: Liebevoll verschrobene Riesenpuppen, kopflose Bettler, wandernde Häuser bzw. Möbelstücke und überdimensionale Prospekte verwandeln die Felsenreitschule in ein Zirkusmärchen-London des 19. Jahrhunderts. Mit Schattenspielen, Projektionen und als Platz für die großen Chorauftritte werden die Arkaden des Gemäuers bespielt, riesige Galgen dienen als Prospektaufhängung und künden von dem, was Macheath später drohen wird.
Pferdeballett und Häftlingschoreografien
Auch Bechtolf zitiert sich selbst: Hat er heuer schon im „Figaro“ seine Opera-buffa-Neigung unter Beweis gestellt, sieht man einmal mehr solide Komödienregie, ergänzt durch große, operettenhafte Gruppenchoreografien getanzt von einem großen Ensemble an Häftlingen, Pferden, Bettlern und Huren (Choreografie: Ann Yee).

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Eifersuchtsdrama vor der Todeszelle
Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so
Gesanglich sind die Schauspieler dort, wo sie bei Brecht und Weill auch hingestellt wurden - eben perfekt unperfekt und immer leicht schräg. In der Rollengestaltung fehlen aber die dreckigen Kanten, die Gefährlichkeit und Doppelbödigkeit. Michael Rotschopf singt und spielt gut - ist aber ein zu harmloser, gelackter Mackie Messer. Den Verbrecher nimmt man ihm - der gerade in Fernsehrollen schon oft als Ungustl überzeugen konnte - hier nicht ab. Wenn der Haifisch Zähne zeigt, dann nur zum Lächeln.
Auch von Mrs. Peachum (Pascal von Wroblewsky) und dem korrupten Polizeichef Tiger Brown (Sierk Radzei) würde man sich mehr wünschen als breit ausgespielte Komödie - Brechts Umkehrung der Verhältnisse und die Verknüpfung von Macht und Ohnmacht, Recht und Unrecht kommen da nicht recht durch.
Charles Dickens lässt grüßen
Polly (Sonja Beisswenger) und Lucy (Miriam Fussenegger) sind überdrehte Puppen, die sich nicht recht einordnen lassen, Mackies Gaunertruppe ein Haufen dümmlicher Ganoven - ungefährlich wie ihr Chef. Graham F. Valentine als Bettlerkönig Jonathan Jeremiah Peachum wirkt aus einem Charles-Dickens-Roman entsprungen und ist als Einziger im Machtdreieck Mackie-Brown-Peachum irgendwie böse.

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Wenn die Köpfe rollen, dann sagt Polly unbeeindruckt: „Hoppla“
Sowohl schauspielerisch als auch musikalisch sticht Sona MacDonald als Spelunken-Jenny hervor. Schon bei der „Moritat“ zum Auftakt, insbesondere aber im „Salomonsong“ (bei dem auch Brecht als Riesenpuppe kurz vorbeischaut), ist sie es, die mit viel Kraft Abgründe aufreißt, wo vorher Feelgood-Komödie aufgeschüttet wurde.
„Es geht auch anders, doch so geht es auch“
Das große Ganze bleibt trotzdem gefällig, wie auch der Premierenapplaus deutlich zeigte. Trotz vieler Bravos für alle Beteiligten schaut frenetischer Jubel anders aus. Vereinzelte Buhrufe waren nur kurz für die Musik zu hören.
Hinweis
„Mackie Messer - eine Salzburger Dreigroschenoper“ ist bei den Salzburger Festspielen noch am 13., 14., 16., 20., 23., 25. und 27. August jeweils um 19.00 Uhr in der Felsenreitschule zu sehen. Am 15. August um 20.00 Uhr ist die „Dreigroschenoper“ konzertant in der Originalversion zu sehen.
Zum Abschied gibt das Ensemble dem Publikum zur Sicherheit noch einmal die vermutlich bekanntesten Zeilen der „Moritat“ mit auf den Weg: „Denn die einen sind im Dunkeln und die andern sind im Licht, und man siehet die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht.“ Ein Ohrwurm mehr auf dem Weg in die Sommernacht. Es gilt, was in der „Zuhälterballade“ gesungen wird: „Es geht auch anders, doch so geht es auch.“ Irgendwie.
Sophia Felbermair, ORF.at