Szene aus "Hinkemann"

Weltkrieg trifft den Unterleib

Das vom Sponsor Montblanc verlassene Young Directors Project ist heuer nach 13 Jahren in die letzte Runde gegangen: Einmal noch treten vier internationale junge Regisseure mit ihren Inszenierungen an, um neben einer wertvollen Füllfeder vor allem die prestigeträchtige Auszeichnung zu erspielen. Den Anfang machte am Donnerstag der serbische Theatermacher Milos Lolic mit Ernst Tollers „Hinkemann“ - einer Kriegsheimkehrertragödie, bei der im wahrsten Sinne des Wortes die Eier fehlen.

Das expressionistische Stück ist eine Anklage gegen Krieg und seine Folgen. Ernst Hinkemann (Jonas Anders) kehrt aus dem Ersten Weltkrieg zurück. Auf den ersten Blick ist er unversehrt, doch, wie seine Frau Grete (Katharina Schmidt) feststellen wird, ist er „doch gar kein Mann mehr“. „Ein Krüppel“, wie er selber sagt. Der Held kehrt als Eunuch zurück, man hat ihm das Geschlecht weggeschossen und ihm damit die Identität geraubt. Hinkemanns Rolle im Leben ist unklar geworden, zwischen ihm und der Welt ist plötzlich eine unsichtbare Barriere - Entmannung heißt für ihn Entmenschlichung.

Szene aus "Hinkemann"

Sebastian Hoppe

Ernst Hinkemann (Jonas Anders) kann sein Kriegstrauma nicht überwinden, seine Frau Grete (Katharina Schmidt) vermag ihm nicht zu helfen

„Da tut sich ein Abgrund auf, der heißt: Ohne Trost / Da wölbt sich ein Himmel, der heißt: Ohne Glück / Da wächst ein Wald, der heißt: Hohn und Spott / Da brandet ein Meer, das heißt: Lächerlich / Da würgt eine Finsternis, die heißt: Ohne Liebe / Wer aber hilft da?“ Hinkemanns Seelenpein wird unerträglich: Eine Rückkehr in sein Vorkriegsleben ist außerhalb jeder Reichweite. Grete betrügt ihn mit dem schmierigen Paul (Daniel Christensen), seine Freunde verlachen ihn, um Geld zu verdienen, muss er in einer Schaubude lebendigen Mäusen und Ratten die Köpfe abbeißen.

Hinkemann als „neuzeitlicher tragischer Held“

Für ihn sei Tollers Idee von Hinkemann als einem „neuzeitlichen tragischen Helden eine sehr starke und richtige“, so Lolic im Programmheft. Vom „Melodrama bis zu einem eindeutig politischen Stück“ und „bizarren Szenen aus einem halluzinogenem Musical“ sei alles im Text vorhanden. In seiner Inszenierung wird nun der Versuch deutlich, dem allen gerecht zu werden, alle Dimensionen unterzubringen. Vieles ist sehr präzise gearbeitet, vor allem in Bezug auf Personenführung und Dialogregie. Doch nicht alles lässt sich ohne vorherige Stückkenntnisse entschlüsseln, und mancher Strich hätte dieser Fassung gutgetan.

Letztlich ist es ein greller Jahrmarkt der Seelenpein, den Nestroy- und Dorothea-Neff-Preisträger Lolic hier inszeniert hat. Im Einheitsbühnenbild von Sabine Kohlstedt versinnbildlicht sich das im Skelett eines heruntergerockten Karussells, das zum Dreh- und Angelpunkt der Hinkemann’schen Tour de Force in den Wahnsinn wird.

Szene aus "Hinkemann"

Sebastian Hoppe

Hinkemann auf dem Seelenkarussell

Clownesk und Zirkushaft verwandeln sich die Gesichter von Hinkemanns Mitmenschen in eine grell geschminkte Masse, die als antiker Chor gleichzeitig den Bogen zur klassischen Tragödie schlägt und dessen lautstarkem Kommentar er sich nicht mehr entziehen kann. Jonas Anders ringt der Titelrolle alle darin angelegten Facetten ab und spielt die Entwicklung der Figur, ihren Kampf mit den äußeren Umständen und seiner eigenen Zerrissenheit sehr überzeugend.

Autobiografische Momente, persönliche Erinnerungen

Was man heute als Posttraumatische Belastungsstörung kennt, war damals eine Krankheit ohne Therapie und Heilungschance - „Kriegszitterer“ nannte man die „an der Seele“ erkrankten Heimkehrer, denen nicht zu helfen war. Toller selbst litt an dem Syndrom, auch er hatte sich im Ersten Weltkrieg freiwillig zum Fronteinsatz gemeldet. Ausgezeichnet für seine Leistungen kehrte er zurück, als Held befördert. Doch das im Krieg Erlebte, Mord, Lärm, Angst und Hilflosigkeit führten zu seinem vollständigen psychischen und körperlichen Zusammenbruch.

Veranstaltungshinweis

„Hinkemann“ ist bei den Salzburger Festspielen noch am 1., 2. und 3. August jeweils um 20.00 Uhr im republic zu sehen.

Mit seinen Stücken „Hoppla wir leben“, „Die Maschinenstürmer“, „Die Wandlung“ und „Masse Mensch“ gehörte der 1893 geborene Toller in den 1920er Jahren zu den meistgespielten Bühnenautoren des Berliner Avantgardetheaters. Als führender Kopf der revolutionären Münchner Räterepublik verurteilt, verbrachte er die Jahre 1920 bis 1924 in Festungshaft, wo auch die Tragödie „Hinkemann“ entstand.

1933 emigrierte Toller nach New York, wo er 1939 „in völliger Verzweiflung über die Trägheit der demokratischen Welt und die Brutalität der faschistischen Führer“ Selbstmord beging. Einen anderen Ausweg sieht auch Hinkemann in der Inszenierung Lolics nicht. Er dreht sich aus der Welt - und erhängt sich am Karussell.

Szene aus "Hinkemann"

Sebastian Hoppe

Grell und laut: Der Chor der Mitmenschen

Das Ende des Regiewettbewerbs

Für das YDP ist damit auch das Ende eingeläutet, nachdem sich die Montblanc Kulturstiftung „neu erfinden“ wolle, wie es auf der Pressekonferenz hieß. Der Wettbewerb, den Jürgen Flimm 2002 ins Leben gerufen hatte, war über Jahre hinweg Sprungbrett für junge Regisseure und hat, mit Gewinnern wie Alvis Hermanis und David Bösch, einige Karrieren nachhaltig gefördert.

YDP 2014

Nach Milos Lolics „Hinkemann“ sind heuer noch eine Koproduktion mit dem Mozarteum Salzburg („36566 Tage“, ab 9. August), ein Gastspiel des britischen Little Bulb Theatres Kent („Orpheus“, ab 11. August) und die Uraufführung eines Stückes über Georg Trakl („Der Abschied“, ab 18. August) zu sehen.

In den letzten Jahren schien dem Projekt allerdings schon das Herzblut gefehlt zu haben - sprich: eine stringente dramaturgische Handschrift. Vor allem die Auslegung als Wettbewerb war immer unklarer geworden, in manchen Saisonen wäre man nicht gern in der Haut der Jury gesteckt, waren doch Produktionen aus völlig unterschiedlichen Ligen miteinander zu vergleichen.

Dennoch: Das YDP war eine Startrampe, die sich, vielleicht künftig in einer anderen Form als zuletzt, ein Festival wie die Salzburger Festspiele leisten sollte. Schauspielchef Sven-Eric Bechtolf kündigte jedenfalls an, er wolle jetzt „ein Taschentuch nehmen, weinen und dann nach vorne sehen“. Statt Eigenproduktionen könne er sich künftig etwa die Gastspieleinladung interessanter Produktionen vorstellen.

Sophia Felbermair, ORF.at

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