Teufelsaustreibung auf dem „Spielplatz“
Es heißt, Tanz soll zumindest im klassischen Sinne leicht und mühelos aussehen. Wenn Stuart plötzlich nackt auf der Bühne steht und mit durchaus groben Handgriffen von der Kostümdesignerin Claudia Hill ausstaffiert wird, wirkt das keineswegs angenehm. Hill steckt der weiblichen Gestalt zwei Steppdecken in einer Art Gürtel fest, verklebt Busen, Lippen und Augenbrauen und befestigt je einen schweren beim Gehen hinderlichen Sack an ihren Füßen. Von Leichtigkeit keine Spur.
Wie ein gut gepolstertes Schlachtross und mit geharnischten Armen stapft Stuart in die Arena. Sie kämpft bzw. robbt über die Bühne und verleiht ihrem Auftritt dennoch etwas Erhabenes. Die altmodischen Decken mit den gelben und rosa Rosen zu einem Reifrock aufgebauscht, entschwindet sie den Blicken der Zuschauer in den Rängen und wird für die nächste Szene neu eingekleidet.
Bühnen-ADHS
Während die Besucher sich noch ihre Plätze suchen, geht auf der Bühne schon die Post ab. Wie auf einem Kinderspielplatz hasten einige Akteure von links nach rechts und umgekehrt, rutschen über die im Raum installierte schiefe Ebene und nützen die Bühnenmitte für allerlei anderen Schabernack.
Insgesamt interagieren zwölf Personen, darunter fünf Tänzer, miteinander, mit dem Publikum, dem Licht, der Musik, schlicht mit allem, was sie umgibt. Während der ersten 30 Minuten wird in einer musikalisch bombastischen Endlosschleife hyperaktiv performt, was das Zeug hält.

Iris Janke
Interaktion wird großgeschrieben: Auch das Publikum darf mitmachen und beeinflusst das Tempo
Die Performer borgen sich Hüte, Taschen oder Brillen der Zuschauer, es werden Kostüme übergeworfen, der Schminkstift wird da wie dort angesetzt, und glamouröse Posen gilt es nicht nur zu probieren, sondern auch zu fotografieren. Der wilde Reigen erinnert an eine Teufelsaustreibung, an allen Ecken des Raumes wird getanzt, in einer schwarzen Folie über die Bühne gerollt, gesprungen, mit den Armen gerudert ... und langsam dämmert es dem Publikum – hier passiert nichts Erwartbares!
Interaktion mit allem und jedem
Stuart zählt zu den einflussreichsten Tanzschaffenden. Bereits als Sechsjährige wirkte sie in den Produktionen ihrer Eltern mit, beide sind Theaterregisseure. In den ersten Tanzstudien konzentrierte sich der Teenager auf einfache Bewegungsabläufe, es folgte ein Tanzstudium an der New York University. Vor genau 20 Jahren gründete die in New Orleans geborene Stuart ihre Company Damaged Goods.
Veranstaltungshinweis
Meg Stuarts „Sketches/Notebook“ ist noch am 25., 26. und 27. Juli jeweils um 21.00 Uhr im Museumsquartier, Halle G, zu sehen.
Die experimentierfreudige Choreografin versucht, für jedes ihrer Stücke eine neue Ausdrucksform zu entwickeln. Wie der Titel schon andeutet, ist ihre jüngste Arbeit eine Skizze, eine Aneinanderreihung von Unfertigem. Die zusammenhanglosen Ideen wirken teils zerfahren, zerrissen und strengen an. Radikal choreografiert grimassieren, springen und tanzen sich die Darsteller wie hyperaktive Kinder durch 110 teils schwer verdauliche Minuten.
So rollen minutenlang bunte Murmeln über die Bühne, und einmal mehr wird diese zu einem Spielplatz, an dessen Treiben sich auch einige im Publikum gerne beteiligen. Und so manche Murmel verschwindet in einer Hosen- oder Handtasche. Andere Besucher wiederum quittieren den Trubel mit einem Blick auf die Uhr, welcher sich in regelmäßigen und immer kürzer werdenden Abständen wiederholt.
Schön wie schwer verdaulich
Schönes findet sich vor allem in den stillen Momenten, wenn die Zappelphilippe (fast) zur Ruhe kommen. Ein scheinbar unentwirrbares Menschenknäuel wabert wie eine Amöbe durch den Raum, verschlingt dabei die Choreografin und speit sie wieder aus. Der Tänzerhaufen wird mit Kleidern, einer Lampe, Pelz und diversen anderen Materialen gefüttert, bis er sich auflöst und wieder Neues entsteht.

Iris Janke
Nur bei genauer Betrachtung lässt sich erkennen, wie viele Tänzer im „menschlichen Haufen“ verknotet sind
Das „Neue“ ist ein erholsam-langsames Tete-a-Tete der Tänzerin Antonija Livingstone mit einer knisternden Plastikfolie. Wobei nicht klar ist, wer von beiden in der Bewegung die wichtigere Rolle spielt.
Am Ende geben die Performer, in glitzernde Gewänder gehüllt, noch eine Video-Lichtreflexionen-Show, die an eine Zaubervorstellung erinnert. Es fehlt nur noch das Kaninchen, das aus dem Hut eines Zuschauers gezogen wird.
Carola Leitner, ORF.at