„Es wurde eine politische Auseinandersetzung ausgelöst“
ORF.at: Wie geht es Ihnen in Ihrer dritten Amtszeit?
Sebastian Höglinger: Im dritten Jahr ist vieles eingespielter, viele Arbeitsprozesse werden leichter. Das verschafft einem ein bisschen Luft und man kann das Festival von Anfang an besser genießen. Obwohl wir heuer unsicher waren, wie sich die Wahl des Eröffnungsfilmes stimmungstechnisch auf das Festival auswirken wird.
ORF.at: War es geplant, dass der Eröffnungsfilm genau zu der momentanen Gedenkjahr-Thematik passt?
Höglinger: Wir sind schon vor zwei Jahren bei der Prisma Film gesessen und haben über den Film „Murer - Anatomie eines Prozesses“ gesprochen. Dass der jetzt genau zu diesem Zeitpunkt rauskommt und dann der Termin auch noch mit dem Jahrestag des Anschlusses zusammenfällt, das sind lauter Dinge, die man nicht planen kann. Aber man muss auf die Dinge reagieren. Man kann sich dann nicht einfach hinstellen und Dienst nach Vorschrift machen. Wer mit Bewegtbild arbeitet, der hat eine gewisse Verantwortung. Und man hat ja auch selten so ein Podium.
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ORF.at: Sie haben in Ihrer Eröffnungsrede sehr politische Töne angeschlagen. Bläst Ihnen deshalb ein rauer Wind von offizieller Seite entgegen?
Peter Schernhuber: Es wurde durch die Eröffnungsrede eine gewisse politische Auseinandersetzung ausgelöst. Im besten Fall ist das dann eine, die auf Respekt basiert. Was den Eröffnungsfilm betrifft, so hat es ja kurz vor der Eröffnung eine Stellungnahme von Landeshauptmann Schützenhöfer gegeben. Er hat darin festgehalten, dass er daran denkt, eine international besetzte, unabhängige Historikerkommission einzusetzen, nicht nur, um die ohnehin schon gut beleuchtete Zeit während des Nationalsozialismus zu untersuchen, sondern eben auch die Nachkriegszeit, in der der Film spielt.
ORF.at: Hat es das schon einmal gegeben, dass ein Politiker so tagespolitisch auf ein Filmfestival reagiert hat?
Schernhuber: Nein, das war eigentlich noch nie da und das ist überraschend und erfreulich, weil man dann in einen Dialog eintreten kann. Diese Art von Reaktion ist wünschenswert. Es geht hier ja nicht um persönliche Befindlichkeiten, sondern um eine inhaltliche Auseinandersetzung. Wenn die Reaktionen inhaltlich sind – egal ob es sich um Zuspruch oder Widerspruch handelt – dann kann man gut damit leben. Vielleicht ist im ersten Moment ein Ärgernis da, aber das muss man aushalten können. In diesem Sinne: Es weht uns kein Wind entgegen, aber es weht ein Wind.
ORF.at: Was hat sich verändert, seit sie die Intendanz vor zwei Jahren übernommen haben?
Höglinger: Wir sind ja nicht angetreten, um alles über Bord zu werfen und neu zu gestalten, weil wir ja ein funktionierendes Festival übernommen haben. Eines mit viel Publikumszuspruch, das auch international ungewöhnlich viel Aufmerksamkeit auf sich zieht, das ist ja keine Selbstverständlichkeit. Mir kommt aber oft vor, gerade weil wir im ersten Jahr dieses Label „jung“ aufgedrückt bekommen haben, geht das oft mit dem Glauben einher, alles neu, alles anders machen zu müssen. Diesen Imperativ verweigern wir. Man muss zwar immer justieren und generell an dem Format Festival arbeiten und auch mitunter zweifeln, aber es war nie der Anspruch da, alles niederzureißen.
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Schernhuber: Neu ist, dass das Festival - durch die Bündelung der historischen Programme zu einem Schwerpunkt - neben den großen Filmen im Wettbewerb immer auch eine Geschichte hat, die es miterzählt. Im Vorjahr war es „Pop“, heuer ist das Thema „Provinz“. Ich glaube, das verändert die Wahrnehmung eines Festivals von außen schon.
Diese ganzen Überlegungen, die wir im ersten Jahr als Reißbrettentwurf hatten, die kann man jetzt konkret erzählen. Wenn Katharina Daschner in der Neuen Galerie auf Shirin Neshat trifft, dann ist das genau das, was wir uns vor zwei Jahren gewünscht haben. Und wenn diese Begegnungen dann in der Bar enden und man über Projekte spricht und sich austauscht, ist das sehr erfreulich.
ORF.at: Sind Sie dem ungeliebten Label inzwischen entwachsen?
Schernhuber: Ich hatte gestern ein nettes Gespräch, das grundehrlich war, wo ein langjähriger Gast des Festivals gemeint hat: „Zugegeben, ich hätte es im ersten Jahr nie so gesagt, aber ich war schon skeptisch wegen eures jungen Alters, aber jetzt im dritten Jahr kann ich ganz ehrlich sagen, dass ich euch vertraue und dass es funktioniert. Man spricht jetzt über Inhalte, und das ist wohltuend.“ Das war eines der schönsten Komplimente.
Höglinger: Ich glaube, man wird unglücklich, wenn man sich in ein schlechtes Eck gerückt sieht mit dem Label „jung“. Wir haben uns bemüht, ein bisschen damit zu kokettieren. Man muss damit arbeiten, das darf man nicht persönlich nehmen.
ORF.at: Welche besonderen Momente gab es während des diesjährigen Festivals bisher?
Schernhuber: Wenn Ingrid Burkhard (wurde mit dem Großen Schauspielpreis ausgezeichnet, Anm.) als jemand, der so lange in der Branche ist, darüber spricht, wie viele junge Leute und neue Stimmen sie interessant findet und davon schwärmt, wie viel Leben da drinnen steckt, dann ist das wunderbar. Gerade weil das heurige Jahr von so vielen neuen Namen gekennzeichnet ist. Und ich finde es bei den Abendvorstellungen toll, wenn man sich durch die Menge quetschen muss, weil die Kinos so gut gefüllt sind und der Zuspruch so riesig ist.
ORF.at/Sonia Neufeld
Höglinger: Es ist beeindruckend, wenn man abends nach der letzten Vorstellung noch mal durch den Festivaldistrikt geht und das Gefühl hat, da ist eine sehr positive Stimmung, eine gute Atmosphäre in der Stadt.
Schernhuber: Ja, es gibt eine Wirkung über den Kinosaal hinaus. Wenn man zu Mittag am Würstelstand steht, dann weiß man, dass die Frau, die dort Würstel verkauft, wahrscheinlich nicht im Kino war, aber sie spricht über das Festival und über die Themen, die da verhandelt werden. Sie fragt nach und freut sich, dass neue Leute in der Stadt sind und dass da eine Stimmung herrscht, die es sonst nicht so gibt. Das finde ich schön.
Das Interview führte Sonia Neufeld, ORF.at