To the Lighthouse Rezension

Bregenzer Festspiele/Anja Köhler

Der Kampf in uns und mit uns

„To the Lighthouse“ erlebte am Mittwoch bei den Bregenzer Festspielen seine Uraufführung - eine Kammeroper des jungen griechischen Komponisten Zesses Seglias, basierend auf dem gleichnamigen Roman Virginia Woolfs, mit wenig Handlung. Und dennoch geschieht viel.

Eine Familie in ihrem Domizil am Meer, mitsamt Freunden. Der Kleidung nach zu urteilen offenbar am Beginn des vorigen Jahrhunderts. Vater Ramsay verweigert seinem Sohn James einen versprochenen Ausflug zu einem Leuchtturm. Der hasst seinen Vater, will ihn erstechen. Ein Sohn stirbt im Ersten Weltkrieg, die Mutter stirbt ebenso. Etwa zehn Jahre später, am selben Ort, wird die Fahrt zum Leuchtturm doch noch Wirklichkeit. Mehr Handlung gibt es nicht.

Aber es ist ein Panoptikum der menschlichen Seele: Gesellschaftliche Konventionen werden in Frage gestellt, eigene Vorurteile, Träume, Probleme und Selbstzweifel beackert. Dadurch, dass die Figuren über sich selbst sprechen und dies so offen und allgemeingültig tun, dass jeder seine eigenen Erfahrungen und Interpretationen hineinlegen kann, ist es ist eine Reise ins eigene Ich, zu den eigenen brennenden Fragen. Eine Reise, die auch funktioniert, ohne den zugrundeliegenden Roman zu kennen.

Gewagter Versuch

Die Nicht-Geschichte, die Zesses Seglias vertont hat, stammt aus dem 1927 erschienenen Roman „To the Lighthouse“ – einem erfolgreichen Werk von Virginia Woolf, einer der herausragenden Vertreterinnen der klassischen Moderne.

To the Lighthouse Rezension

Bregenzer Festspiele/Anja Köhler

Die Insel ist die Isle of Skye auf den Hebriden, die Familie Ramsay wohl an Woolfs eigene angelehnt, die ebendort lange Jahre Urlaub machte. Ein Roman mit wenig Handlung, die Figuren erzählen aus ihrer Innensicht. „Es ist wohl kaum etwas so ungeeignet fürs Theater wie Woolfs ‚To the Lighthouse‘“, meint etwa Dalia Schaechter, die die Haushälterin Mrs. McNab spielt. Sie findet gerade deshalb den Versuch spannend. Schaechter meistert wie alle Sängerinnen und Sänger die stimmlichen Herausforderungen mit Bravour.

Atmen und Flüstern, nicht Singen

Gesungen im eigentlichen Sinn wird kaum, sie sprechen, flüstern, murmeln, die Stimme mal tief, mal hoch, ja piepsig. Teilweise ist nur Atmen, Röcheln zu hören – verstärkt mit Mikrophonen. Es ist ein „in sich hinein Singen“, wie Seglias es ausdrückt. Für die meisten eine völlig neue Erfahrung, dass ihnen „Nicht-Singen“ abverlangt wird.

So ist Seglias den Gedankenwelten der Woolf’schen Figuren und ihren Gedankenmonologen gerecht geworden – auch das Orchester setzt er in diesem Sinn ein: „Manchmal erzeugt das Ensemble eine Klanglandschaft für die menschlichen Stimmen, manchmal kommentiert das Ensemble den Text und die Geschichte, zu jeder Zeit dient es jedoch der übergeordneten Dramaturgie.“

Auch ein Akkordeon, eine (ordentlich verzerrte) E-Gitarre, Bassflöten, Bassklarinette, sowie zig Schlaginstrumente hat Seglias in seine Partitur eingebaut, die vom Symphonieorchester Vorarlberg unter Claire Levacher Konzentration und Disziplin fordert. Diese Leistung wurde am Schluss vom Publikum mit besonderem Applaus honoriert.

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Uraufführung in Bregenz

Nur vier Tage vor Festival-Ende haben die Bregenzer Festspiele eine Oper zur Uraufführung gebracht. „To the lighthouse“ von Zesses Seglias feierte auf der Werkstattbühne Premiere.

Zwei Dimensionen

Felsen, ein Papierschiff, ein abgestorbener Baum - die Kulissen des dänischen Künstlers Jakob Kolding wirken wie ausgeschnitten aus Karton, grau in grau, grobkörnig, collagenartig. Auch Teller und Gläser, Gabeln und Pfeifen scheinen zweidimensional.

William Shakespeare (als Symbol für Virgina Woolfs Text, in dem er oft vorkommt) wird als Scherenschnitt auf die Bühne getragen – im Lauf des Abends kommen immer mehr Figuren dazu, etwa Thronfolger Franz Ferdinand, Sigmund Freud und Soldaten.

Die Sängerinnen und Sänger lässt Regisseur Olivier Tambosi ebenfalls wie einen Teil des Bühnenbildes wirken. Auch jene, die in der aktuellen Szene nichts zu singen haben, stehen oft auf der Bühne – eingefroren und umrisshaft. So wie im realen Leben die wichtige Personen stets präsent sind – als gute oder böse Erinnerungen.

Herzensangelegenheit und Vermächtnis

„To the Lighthouse“ ist die erste Uraufführung, die aus dem Opernatelier entstanden ist, einer Herzensangelegenheit von Festspielintendantin Elisabeth Sobotka. Während der vergangenen Jahre konnte das Publikum in Bregenz immer wieder dem Entstehungsprozess der Kammeroper zusehen. Regisseur und Librettist Ernst Marianne Binder, der die Entstehung des Werks auf Einladung Sobotkas jahrelang betreut hat, ist im Jänner überraschend gestorben. Olivier Tambosi hat die Arbeit Binders weitergeführt und ein eigenes Regiekonzept für das Libretto Binders entwickelt.

Für das Publikum ist das Wagnis aufgegangen. Zesses Seglias hat den langen Schlussapplaus mit einem T-Shirt entgegengenommen, auf dem das Konterfei von Ernst Marianne Binder zu sehen war.

Martin Hartmann, ORF Vorarlberg

Die Kritik war geteilter Meinung – das hören Sie hier:

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Reinhard Karger, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“

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Wolf Dieter Peter, „BR Klassik“

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