Hochzeit des Figaro Premiere

Bregenzer Festspiele

Tanzende Türen bei der „Hochzeit des Figaro“

Begeistert reagierte das Publikum auf die diesjährige Produktion des „Opernstudios“ der Bregenzer Festspiele: eine umwerfend musikalische, fantasievolle, rundum bezaubernde Inszenierung der Mozart-Da Ponte-Oper „Die Hochzeit des Figaro“.

Wer ist Figaro? Seit Beaumarchais 1775 den anarchistischen Barbier von Sevilla erfunden hatte, war er so bekannt, dass ihn Lorenzo Da Ponte zehn Jahre später dem Publikum nicht mehr eigens vorstellen musste. Und bekannt ist Figaro bis heute bekannt geblieben, so sehr, dass sein Name gleichbedeutend ist mit „Friseur“.

Nur hat er bei Mozart nichts mehr zu frisieren. Er ist vom gefährlich revoluzzerischen Mitwisser aller Geheimnisse und Intrigen zum simplen Diener geworden. „Cervello“, ein bisschen mehr Grips wünscht sich Susanna gleich in der ersten Szene von ihrem Verlobten. Doch der tanzt, stets gut gelaunt, durch’s Haus, ein Tralala auf den Lippen. Was hinter seinem Rücken vorgeht, kümmert ihn wenig. Dabei wird im verlotterten Haushalt des Grafen Almaviva intrigiert und spioniert, was das Zeug hält.

Hochzeit des Figaro

Bregenzer Festspiele

Schlüssellöcher und Falltüren

Jörg Lichtenstein inszeniert auf einer annähernd kahlen Bühne mit einigen sprechenden Requisiten. Da ständig durch Schlüssellöcher geschaut wird und Mozart-Da Ponte sämtliche türenschlagenden Effekte einer klassischen Komödie lustvoll nutzen, hat Bühnenbildner Nikolaus Webern leicht bewegliche – dabei bis zu drei Meter hohe – Türen geschaffen, die sich drehen und verspiegeln lassen, durch die Figaro mit Anlauf seine Susanna über die Schwelle trägt und die vom Ensemble in veritablen Tanznummern virtuos bewegt werden.

„Dove sono i bei momenti?“ Wo sind sie hin, die Momente reiner Liebe?, seufzt die so oft betrogene Gräfin Rosina (Mojca Bitenc mit betörendem Legato). Der Graf hat sich zwar ihre bürgerliche Mitgift einverleibt, die Gattin selbst aber abgeschoben, geht er doch am liebsten alleine auf die Jagd, vorzugsweise nach weiblichen Dienstboten. Dabei macht er auch vor der in jeder Hinsicht minderjährigen Barbarina nicht halt. Deren „Nadelarie“, ergreifende Klage des missbrauchten Kindes, interpretiert Jenifer Lary mit etwas zu viel opernhaftem Aplomb.

Hochzeit des Figaro

Bregenzer Festspiele

Es ist der erbitterte und offen zynische Kampf ums eigene Lebensglück, der Adel und Dienerschaft in dieser Oper miteinander verklammert. Aus vollem Hals preist der Chor der Bauernmädchen den Edelmut des Grafen, und es liegt eine besondere ironische Pointe darin, dass Regisseur Jörg Lichtenstein den Chor durch die Dienstboten im Hause Almaviva ersetzt. Mit augenzwinkerndem Verweis auf die Festspiel-Arbeiten von „Hotel Modern“ lässt er das Personal zum „tableau vivant“ arrangieren und beweist Witz bis ins kleinste Detail, wenn er etwa der mannstollen Marcellina ein riesiges Mascherl auf Haupt setzt. Clara Corinna Scheurle gibt der Rolle Esprit und überzeugt musikalisch ebenso wie Martin Summer, der sich als Bartolo mühsam aus dem Rollstuhl erhebt, um stimmgewaltig Rache zu schwören.

Rasantes Tempo

Natalia Skrycka bezaubert in der Hosenrolle des hormongesteuerten Cherubino, rudert - auf Bartolos Rollstuhl stehend - mit den Armen, bevor er vom zynischen Figaro gezwungen wird, als angehender Offizier die Karre durch den Dreck zu ziehen. Dessen große Arie „Non più andrai farfallone amoroso“ verlangt allerdings eine rasantes Tempo in der Artikulation – dem Adam Kutny nicht ganz gerecht wird.

Graf Almaviva („lebendige Seele“, was für ein Hohn!) ist in der Verkörperung durch Vincenzo Neri weniger bösartig, als vielmehr Opfer der eigenen Getriebenheit. Marionettensind sie allesamt, auch wenn jede und jeder meint, die andern an seinen Intrigenfäden zu halten. „Verzweifelt untauglich“ nennt Regisseur Jörg Lichtenstein die Mittel, mit denen sie ihr Glück erzwingen wollen. Momente des Innehaltens, in denen ihnen ihr eigenes Treiben schockartig bewusst wird, markiert er mit Lichtwechseln.

Glück oder Unglück?

Wird das Liebespaar Figaro und Susanna sein Glück finden? Die Chancen stehen schlecht! Sattsam routiniert macht Susanna (Anat Edri) dem Grafen schöne Augen; auch für die Reize des knackigen Cherubino ist sie empfänglich. Für Figaro dagegen bringt sie nicht eine einzige Liebesarie zustande. Lasziv breitet sie ihre Arme aus, doch im Schmelz der von Anat Edri umwerfend schön interpretierten „Rosenarie“ muss Figaro davon ausgehen, dass all die Verführungskunst seinem Nebenbuhler gilt. Die Genialität der Oper, die Johannes Brahms als das Höchste rühmte, das Menschen je geschaffen haben, liegt in der Spannung, die sie aushält – und die in dieser Inszenierung, aber auch vom geschmeidig musizierenden Symphonieorchester Vorarlberg unter Hartmut Keil überzeugend ausgestaltet wird.

Ingrid Bertel, vorarlberg.ORF.at