„Carmen“: Welterfolg einer Unbeugsamen
Schlechter hätte die Premiere kaum verlaufen können. Je länger die „Carmen“-Aufführung an diesem 3. März 1875 aber dauerte, umso kühler reagierte das Publikum. Am Ende war klar: Der junge Georges Bizet, zum Zeitpunkt der Uraufführung erst 36 Jahre alt, hatte die biederen Premierengäste in der Opera-Comique in Paris überfordert: zu schonungslos seine Darstellung von Gewalt, zu moralisch ambivalent seine Hauptfiguren.
Bekannte Geschichte
Dabei war die Geschichte um die verhängnisvolle Liaison zwischen dem Zigeunermädchen Carmen und den Sergeanten Don Jose zum Zeitpunkt der Premiere bereits bekannt. Niedergeschrieben wurde sie 1845 von Proper Merimee, der 15 Jahre zuvor Spanien bereist hatte. Wie der Autor später schrieb, beruht die Geschichte auf einem Vorfall in Malaga. Ein berüchtigter Raufbold hatte dort seine Geliebte getötet. Merimee erfuhr davon von seiner Bekannten, der Gräfin von Montijo.
Bizet nahm sich des Stoffes 1873 an. Henri Meilhac und Ludovic Halevy schrieben das Libretto. Nach einer längeren Pause - einer der Direktoren der Opera-Comique zweifelte daran, dass der Stoff zur Ausrichtung der Oper passte - vollendete Bizet sein Werk im Sommer 1874. Bis zur Premiere im März 1875 erfolgten auf Anregung des Theaters und der beteiligten Künstler aber noch zahlreiche Änderungen.
Bruch mit der Tradition
Das Werk, das Bizet schließlich vorlegte, war für seine Zeit durchaus revolutionär. In der Darstellung vieler Figuren folgte er zwar der Tradition der Opera comique, einer leicht bekömmlichen Opernform mit Musiknummern und Dialogen. Die realistische Darstellung der Hauptfiguren Carmen und Don Jose überschritt die Grenzen der Form aber bereits.
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Ungewohnt war auch die Ansiedlung der Handlung in der Lebenswirklichkeit von Zigeunern, Schmugglern und „gewöhnlichen“ Leuten. Und dann war da noch die Figur der Carmen, die dem damaligen Ideal der tugendhaften Frau so gar nicht entsprach: Sie rauchte, prügelte sich und gab sich sexuell unabhängig.
Der Weg zum Weltruhm
Trotz der gemischten Reaktionen bei der Premiere wurde „Carmen“ in Paris 48-mal aufgeführt. Den Weg zum Weltruhm ebneten aber erst die Aufführungen an der Wiener Staatsoper ab Herbst 1875. Am Anfang stand die Entscheidung von Bizets Freund Ernest Guiraud, die Dialoge in der Oper durch Rezitative zu ersetzen - ein dem Sprechen angenäherter Gesang. Operndirektor Franz von Jauner entschied sich aber doch noch dazu, Teile der Originaldialoge zu verwenden. Dadurch entstand ein Hybrid, das - neben anderen Versionen - bis heute Verwendung findet.
Am 23. Oktober 1875 wurde „Carmen“ erstmals in Wien aufgeführt. Das Publikum war begeistert. Auch die Komponisten Richard Wagner und Johannes Brahms wurden zu Fans der Oper – Brahms soll sie 20-mal gesehen haben. Von Wien ausgehend, nahm die Oper ihren Weg um die Welt. Im Februar 1876 wurde sie von der Brüsseler La Monnaie aufgenommen, im Juni 1878 vom Her Majesty’s Theatre in London. 1883 kehrte „Carmen“ nach Paris zurück, im darauffolgenden Jahr wurde sie erstmals an der New Yorker Metropolitan Opera aufgeführt. Dort wurde sie bisher über 1.000-mal gezeigt.
„Eine der wichtigsten Opern“
Ihre Anziehungskraft auf die Massen hat „Carmen“ bis heute nicht verloren - wohl auch deswegen wird die Oper heuer bereits zum dritten Mal als Spiel auf dem See bei den Bregenzer Festspielen aufgeführt. Festspielintendantin Elisabeth Sobotka beschreibt das Erfolgsgeheimnis von „Carmen" folgendermaßen: „Das ist zum einen sicher die ganz hinreißende Musik, unglaublich lebendig, farbig, das spanische Lokalkolorit mit den Tanzrhythmen, die wirklich hinreißend in die Beine fahren.“
Zum anderen sei es aber sicher auf die Entwicklung „dieser starken Frau Carmen hin zu diesem ganz tragischen, dramatischen Ende“. Sobotka nennt „Carmen“ gar eine der „wichtigsten Opern, die es überhaupt gibt“. Bizet erlebte den großen Erfolg seines Werkes nicht mehr. Er starb am 3. Juni 1875, dem Tag der 33. „Carmen“-Auffühung - im Glauben, einen der größten Flops der Operngeschichte geschrieben zu haben. Zuvor hatte er noch den Vertrag mit der Wiener Staatsoper unterschrieben.