„Make no noise“: Wege in ein leichtes Land
Es ist eine stillgelegte Bohrinsel. Im Ölschlamm liegen verendete Vögel, ein einsames Bett steht in diesem Schmutz und ein einsamer Tisch. Auf dem Bett ein verwundeter Mann, vor dem Tisch eine wie in Trance erstarrte Frau. Auf sie bewegt sich der Soldat zu, bedroht sie erst mit einer Pistole, um sich dann gemütlich an den Tisch zu setzen und Jobangebote aus der Zeitung vorzulesen, abgehackt, immer wieder vor Vergnügen wiehernd.

Bregenzer Festspiele/ Anja Köhler
Holger Falk (Jospeh) und Measha Brueggergosman (Hanna)
Am Rand der Bohrinsel steht eine blonde Frau und hält dem Kranken in seinem Bett auffordernd einen Brief hin, stumm ist auch sie. Die Musik, die für uns Zuhörer einen eigenen Raum schafft, eine Welt außerhalb der Bohrinsel, kommt von den obersten Zuschauerrängen.
Aufführungen
Die Kammeroper „Make no noise“ von Miroslav Srnka ist nochmals am 19. August um 20.00 Uhr in der Werkstattbühne des Festspielhauses zu sehen.
Die ungewöhnliche Anordnung hat Sinn: Hanna und Joseph, die beiden Hauptfiguren, leben gänzlich in ihrer Innenwelt, haben keinen Kontakt mehr mit den Menschen am Rand der Bohrinsel und schon gar nicht mit der Welt an sich, der Welt von uns Zuschauern. Regisseur Johannes Erath schafft ein für die Sänger überaus anspruchsvolles, aber vollkommen stimmiges Setting für dieses Psychodrama.
Das geheime Leben der Worte
Die Kammeroper von Miroslav Srnka basiert auf Isabel Coixets in Cannes mit sämtlichen Preisen ausgezeichnetem Film „Das geheime Leben der Worte“. Der Komponist hat für dieses Seelendrama eine farbensprühende, fantasievolle und in ihrer menschlichen Dimension höchst zarte Musik geschaffen. Ohne diese Musik wäre „Make no noise“ wohl ein unerträglicher Alptraum, denn das Leid, das Hanna (Measha Brueggergosman) und Joseph (Holger Falk) erlitten, hat beide sprachlos gemacht. Das Tosen in ihrem Inneren ist unhörbar im chaotischen Klang der Außenwelt, aber dann beginnt Hanna stockend Laute hervorzuwürgen, und Joseph fleht wieder und wieder „breathe“, „atme doch“.

Bregenzer Festspiele/ Anja Köhler
Annika Schlicht
Joseph verlor beim Brand der Bohrinsel seinen Freund und Arbeitskollegen Martin (Maciej Idziorek). Oder stürzte sich Martin dabei absichtlich ins Feuer? Wusste er doch um das Verhältnis seiner Frau (Annika Schlicht) mit Joseph? Hannas Pflege erlöst Joseph von seinen Qualen. Er beginnt, Laute zu formen, Worte zu singen, und aus seiner Brust dringt ein Wohllaut, der schmerzt, dringen Laute von einer Innigkeit, die einem den Atem abschnürt.
Ein fantastisches Team
Holger Falk war der Joseph der Uraufführung von „Make no noise“ 2011 in München, auch das Ensemble Modern hat die Uraufführung bestritten. Jetzt erweist sich, wie dringend eine so wundervolle Musik, wie sie Srnka komponiert, wieder und wieder gespielt werden muss, damit ihre vielen Facetten sich entfalten können. Denn die Bregenzer Aufführung erweist sich rundum als Glücksfall. Und ein Glücksfall ist auch Measha Brueggergosman, für die Srnka die Rolle der Hanna komponiert hat. Ihrer Hanna zu folgen beim lautlosen Telefonat mit der Therapeutin (ungemein konzentriert und klanglich packend Annika Schlicht), das gehört zu den faszinierendsten Momenten dieses Abends.

Bregenzer Festspiele/ Anja Köhler
Measha Brueggergosman (Hanna), Maciej Idziorek (Boss) und Taylan Reinhard (Arbeiter)
Wenn aber Hanna davon erzählt, wie sie von einer zynischen Soldateska vergewaltigt und verstümmelt wurde, dann möchte man am liebsten die Flucht ergreifen. Die Intensität ihrer Qual teilt sich schier unerträglich mit, und dankbar hört man auf die sanften Glissandi der Streicher, die die Erstarrung in dieser Frau schmelzen lassen.
Dirk Kaftan, der musikalische Leiter, führt mit buddhistischer Ruhe durch das emotionale Inferno, setzt klare, traumhaft sichere Akzente, immer im völligen Einvernehmen mit der Regie von Johannes Erath. Es ist eine kühne, vibrierende Regiearbeit, die der Musik auf ideale Weise gerecht wird. Und Markus Holdermann setzt mit seinem Lichtkonzept eins drauf und macht innere Bezüge sichtbar, die immer wieder überraschen und beglücken.

Bregenzer Festspiele/ Anja Köhler
Measha Brueggergosman (Hanna), Holger Falk (Jospeh) und Annika Schlicht
Verfolgungsscheinwerfer markieren den Ausbruch aus dem inneren Gefängnis. Hanna und Joseph verlassen die Bohrinsel, gleiten langsam auf die Türen der Hinterbühne zu und ganz allein, ohne die Unterstützung der Instrumente, singen sie im Sternenhimmel einer Diskokugel davon, wie schön es ist beieinanderzusitzen. Kein Lärm mehr - nur Frieden. Make no noise! Und die Zuschauer, die diesen Abend erlebten, sind dankbar für ein solches Zeichen: Der Mensch kann dem Menschen auch ein Helfer sein. In bedrängter Zeit tut es gut, daran zu denken.
Ingrid Bertel, ORF Vorarlberg
„Make No Noise“: Premiere in der Kammeroper
Bericht von Ingrid Bertel.